Nach dem Diesel-Urteil: Im Straßenkampf ist nun der Bund gefordert
Die Bundesregierung sollte zwei Dinge schnell auf den Weg bringen. Die blaue Plakette und Nachrüstungen für ältere Dieselautos. Ein Kommentar.
So sieht ein politischer Scherbenhaufen aus. Bundesrichter haben entschieden, was eigentlich Kernaufgabe einer Bundesregierung gewesen wäre: Die Bürger davor zu schützen, dass der zunehmende Straßenverkehr und die Interessen einer Industrie die Gesundheit gefährden, die Umwelt zerstören oder das Alltags- und Berufsleben beeinträchtigen.
Doch die Verhandlung in Leipzig konnte nur einen verfahrenstechnischen Fortschritt bringen. Ungeklärt bleibt auch nach dem Urteil die Frage, was praktisch geschehen soll in den vielen Städten und Kommunen, die die Luftverschmutzung nicht in den Griff bekommen, weil immer mehr Autos unterwegs sind.
Die Politik steckt wegen früherer Versäumnisse in dem Dilemma, schnell wirksame Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zum Schutz der Gesundheit zu ergreifen, die es eigentlich gar nicht gibt. Die Verkehrswende, über die viel diskutiert wird, ohne dass etwas nachhaltig geschieht, lässt sich nicht über Nacht herbeiführen. Alle Versuche, es trotzdem so aussehen zu lassen, wirken hilflos. Etwa wenn die amtierende Bundesregierung plötzlich über einen kostenlosen ÖPNV nachdenkt. Oder bizarr, wenn Nassstaubsauger, Feinstaubkleber oder Mooswände an viel befahrenen Straßen Linderung vom Diesel-Smog bringen sollen. Auch kann niemand gezwungen werden, ein Elektroauto zu fahren. Verkehrsbetriebe oder Unternehmen werden ihre Fuhrparks nicht binnen weniger Wochen erneuern oder elektrifizieren. Nicht zuletzt, weil die passenden Fahrzeuge fehlen und erst in einigen Jahren auf den Markt kommen.
Die Grenzwerte müssen eingehalten werden
Es bleibt dabei: Die seit acht Jahren in der EU geltenden Grenzwerte müssen eingehalten werden, sonst droht Deutschland eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Am Ende könnte es also richtig teuer werden, für uns Steuerzahler, wenn Strafen fällig werden. Über die Höhe von Grenzwerten und Messmethoden am Straßenrand zu diskutieren, ergibt vor diesem Hintergrund wenig Sinn. Gesetz ist Gesetz. Die Geduld in Brüssel ist jedenfalls am Ende, der Zustand, dass mehr als 50 deutsche Kommunen seit Jahren gegen geltendes Umweltrecht verstoßen, wird nicht mehr hingenommen. Die Uhr tickt.
Statt die Kommunen nun dem Straßenkampf zu überlassen, der ein heilloses Regulierungschaos verursachen würde, ist der Bund gefordert. In der verfahrenen Situation, die auch die Leipziger Richter nicht beenden konnten, sollte die künftige Bundesregierung zwei Dinge schnell auf den Weg bringen: eine blaue Plakette und Hardware-Nachrüstungen für ältere Dieselwagen. Beides haben Ex-Verkehrsminister Alexander Dobrindt und sein amtierender Nachfolger Christian Schmidt aus falsch verstandener industriepolitischer Rücksichtnahme verhindert.
Nun sollte rasch über sinnvolle Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen für die blaue Plakette, über Schilder und Kontrollmöglichkeiten diskutiert und entschieden werden, damit bald Klarheit herrscht, wer, wann, wo und mit welchem Fahrzeug in die Stadt fahren darf. Angemessen ist es auch, die Hersteller für Diesel-Nachrüstungen zahlen zu lassen, wenn sie technisch möglich und wirtschaftlich sinnvoll sind. Gut zwölf Milliarden Euro würde das kosten. Wann, wenn nicht jetzt, sind die Autokonzerne in der wirtschaftlichen Lage, diese Kosten zu tragen? Sie haben sie schließlich verursacht – mit tatkräftiger Unterstützung des Gesetzgebers, der rechtliche Grauzonen schuf, die die Unternehmen mit allen technischen Tricks ausgenutzt haben.
Viele glauben der Autolobby, die allen Ernstes argumentiert, man möge nur zwei oder drei Jahre abwarten, dann habe sich das Problem quasi von selbst gelöst, weil alle Dreckschleudern vom Markt verschwunden seien. Das ist zynisch – oder logisch, weil die Konzerne das Neuwagengeschäft gerne mitnehmen. Doch so einfach sollte man sie nicht aus der (Diesel-)Affäre entlassen. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen und Glaubwürdigkeit wiederzuerlangen. Das liegt auch im wohlverstandenen Geschäftsinteresse der Autobauer.