Tagesspiegel eMobility Summit 2015: Die Rakete zünden
Die Praxis zeigt im Kleinen: Elektromobilität ist machbar. Doch der Massenmarkt liegt jenseits der Schaufenster in ferner Zukunft. Der Ruf nach staatlicher Hilfe wird lauter.
In zehn Jahren, so schätzt Henning Kagermann, könnte eine neue Generation von Batterien die Nachfrage nach Elektroautos sprunghaft steigen lassen. Der Vorsitzende der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) rechnet mit E-Fahrzeugen, die – Lithium-Schwefel- oder Lithium-Luft-Akkus unter der Haube – eine Reichweite von 400 bis 500 Kilometern haben; zu den Kosten eines Benziners oder Dieselfahrzeugs. „Das würde E-Autos plötzlich sehr attraktiv machen“, sagte Kagermann am Dienstag auf dem Tagesspiegel-Summit. „Darauf muss man vorbereitet sein.“
Das Auto- und Erfinderland Deutschland scheint für den Fortschritt gewappnet zu sein – auch wenn noch offen ist, ob die Batterie der Zukunft (und ihre Zellen) aus Deutschland kommen. Die Regierung hat die Elektromobilität zu einer nationalen Aufgabe erklärt, die Industrie hat 17 Milliarden Euro investiert, der Staat 1,5 Milliarden Euro an Förderung gewährt. Die NPE bündelt das Know-how von 150 Experten, die die praktischen Erfahrungen aus zahllosen, bundesweiten Projekten und Schaufenstern sammeln. Die Zukunft kann kommen. Allein die Gegenwart bereitet selbst optimistischen Vordenkern wie Henning Kagermann Kopfschmerzen. Denn wir haben die Autos, die Standards und Normen, die richtigen Ausbildungswege und Wissenschaftler – nur die Käufer fehlen.
„Wir drücken, wie wir können“, sagte der NPE-Chef und meinte damit das Werben der Experten um mehr öffentliche Förderung, die den trägen Markt in Schwung bringen könnte. 975 000 E-Autos fehlen noch bis zur Million, die die Regierung in fünf Jahren erreicht haben will. Ohne entsprechende Maßnahmen „wird es nicht gehen“, warnte Kagermann. „Wir rufen nach Anreizen, aber wir wollen sie ja nicht für immer.“ Drei bis fünf Jahre lang, schätzt Kagermann, sind vor allem für gewerbliche Käufer noch finanzielle Anreize notwendig, „dann sollte es sich von selbst entwickeln“. Eine Sonderabschreibung für Unternehmen fordert die NPE schon seit Jahren vergeblich. „Jetzt ist die Zeit, das anzuleiern“, sagte Kagermann.
Unterdessen kann man in den vier Schaufenster-Regionen – Berlin-Brandenburg ist eine davon – elektromobile Praxis erleben. In insgesamt 90 Projekten, mit 400 Partnern und 180 Millionen Euro Förderung wurden 500 Millionen Euro unternehmerisches Kapital investiert. Das Auto-Bundesland Baden-Württemberg kann dabei in seinem Schaufenster „Living Lab“ aus dem Vollen schöpfen – und versteht sich als Vorreiter eines „revolutionären Prozesses“, wie der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann am Dienstag erklärte. 200 000 der eine Million E-Autos will das Land 2020 beisteuern.
Dass es aber nicht nur um elektrische Autos, sondern um die Verbindung verschiedener Verkehrsträger geht, zeigt die Landeshauptstadt Stuttgart demnächst mit einer neuen, 300 000 Mal ausgegebenen Mobilitätskarte. Sie erlaubt die Nutzung von E-Bussen und Bahnen, 300 Pedelecs und 500 elektrischen Carsharing-Autos. „Wir haben nur ein Jahr Vorbereitung gebraucht, weil die Nachfrage so groß war“, berichtete Hermann. Den Fuhrpark seines eigenen Ministeriums hat er elektrifiziert: Im Stadtgebiet sei man mit E-Fahrzeugen unterwegs, im Umland mit Plug-in-Hybriden. „Die öffentliche Verwaltung sollte vorbildlich sein“, kritisierte Hermann den Nachholbedarf in anderen Ministerien und Ämtern. „Da kämen viele Elektroautos zusammen.“
Die Bedenken, es könne auf Betriebshöfen und Behördenparkplätzen an der nötigen Infrastruktur – also an Ladesäulen, Strom und Service – fehlen, kann Norbert Verweyen ausräumen. Der Geschäftsführer des nach eigenen Angaben größten Anbieters von Ladeinfrastruktur in Europa, RWE Effizienz, zeigte auf dem Tagesspiegel-Summit, dass elektrisches „Tanken“ kundenfreundlich sein kann. Und, dass es sich auch für den Anbieter rechnet, wenn er mit Unternehmen ins Geschäft kommt. 3900 Ladepunkte hat RWE in Europa bereits installiert, davon zwei Drittel im öffentlichen Raum und 2440 in Deutschland. 1000 kamen allein im vergangenen Jahr hinzu, die Hälfte davon hierzulande. „Das Geschäft ist klein aber fein“, sagte Verweyen. 100 Stadtwerke sind in das Netz eingebunden, „und nicht nur solche, an denen RWE beteiligt ist“, betonte er. Geld verdient RWE mit den Ladesäulen im öffentlichen Raum nicht. „Da gehen wir in Vorleistung“, sagte Verweyen. Für die Markteinführung sei es dennoch wichtig, dass RWE hier dabei sei.
Auch bei der Infrastruktur liegt Deutschland nur im Mittelfeld
Dieser Markt der Elektromobilität liegt auch bei der Infrastruktur international nur im Mittelfeld. 5500 öffentliche Normalladepunkte gibt es aktuell laut NPE in Deutschland, 100 Schnellladepunkte kommen hinzu. Den Bedarf bis 2020 schätzt die NPE auf 70 000 Normal- und 7100 Schnellladepunkte. Da 85 Prozent der Punkte nach Schätzungen der Experten künftig im privaten Bereich zu finden sein werden, scheint die Aufgabe, ein flächendeckendes öffentliches Netz aufzubauen, beherrschbar. Einen ersten Schritt geht Tank und Rast zusammen mit dem Bund: Nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums wird das Unternehmen seine 400 Raststätten an Bundesautobahnen mit Schnellladesäulen und Parkplätzen für Elektrofahrzeuge ausstatten.
Wo der Standort Deutschland sechs Jahre nach der Verabschiedung des Nationalen Entwicklungsplans Elektromobilität insgesamt steht, wird eine Regierungskonferenz am 15. und 16. Juni in Berlin diskutieren. Henning Kagermann dürfte dort erneut sein Plädoyer für eine gezielte Förderung bekräftigen. „Es ist wie beim Zünden einer weiteren Raketenstufe“, sagte er am Dienstag. „Man muss den richtigen Zeitpunkt treffen.“