Mobilität im Großstadtverkehr: Wie sich die Menschen in Zukunft fortbewegen werden
Die Mobilität in der Stadt der Zukunft hängt entscheidend davon ab, wie die verschiedenen Verkehrsträger miteinander verwoben werden. Doch schon jetzt zeigt sich, es gibt eine Tendenz zu weniger Autonutzung und mehr umweltfreundlichem Radeln.
Das Rad muss nicht neu erfunden werden. „Wir werden in Zukunft nicht grundsätzlich anders in unseren Städten mobil sein, dafür aber umso intelligenter“, sagt Klaus Beckmann, Leiter des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) in Berlin. Wissenschaftliche Untersuchungen der zurückliegenden Jahre haben ergeben, dass die städtische Bevölkerung in Deutschland und in großen Teilen Europas in ihrer Mobilität weitaus flexibler ist als lange angenommen. Und darauf lässt sich aufbauen.
Zukunftsweisende Verkehrsplanung dank punktgenauer Smartphone-Apps
Die Schlüsselworte Beckmanns lauten „multimodales“ und „intermodales“ Verhalten. Das bedeutet: Verkehrsteilnehmer nutzen je nach Situation das am besten geeignete Verkehrsmittel (multimodal) und/oder sie wechseln auf einem Weg zum Ziel die Verkehrsmittel (intermodal). „Das Ziel einer zukunftsweisenden Verkehrsplanung ist, dass die Menschen alle Möglichkeiten gleichberechtigt nebeneinander sehen“, sagt Beckmann. Smartphones mit punktgenauen Apps helfen dabei, orts- und zeitunabhängig über Liniennetze, Fahrpläne, Mieträder oder Carsharing-Angebote informiert zu sein.
„Nicht Zwang, sondern Einladung“, dafür plädiert Steffen de Rudder mit Blick auf die immer bessere Harmonisierung der verschiedenen Verkehrsmittel. Auch für den Städtebauexperten am Institut für europäische Urbanistik der Bauhaus- Universität Weimar ist Kommunikation und Überzeugungsarbeit der Schlüssel zur „new urban mobility“. „Eine gezielte Förderung des Fahrradverkehrs oder neue Modelle des Carsharings setzen sich umso eher durch, je höher die gesellschaftliche Akzeptanz ist“, sagt de Rudder. Und das habe nicht zuletzt mit dem gebotenen Komfort zu tun. In Sachen Fahrradverkehr verweist de Rudder gerne auf eine Stadt wie Kopenhagen. Vom Autoverkehr abgetrennte Bike-Highways mit zwei Spuren in jeder Richtung, Haltestangen an den Ampeln, schräggestellten Mülleimern für die Entsorgung im Vorbeifahren – die Raffinesse liegt oft im Detail. Taxis können selbstverständlich auch Fahrräder mitnehmen, gerade wird ein Förderprogramm für Duschen an Arbeitsplätzen aufgelegt, damit sich verschwitzte Radfahrer vor Dienstantritt frisch machen können. Blogs wie „Cycle Chic“ belegen, dass Fahrradfahren in der Stadt keine Sache von Öko-Freaks ist, sondern in allen gesellschaftlichen Schichten Alltag ist.
Mobilitätskonzepte müssen an die jeweilige Stadt angepasst werden
Für Difu-Chef Beckmann ist am ehesten Zürich so etwas wie eine Modellstadt für ein ausgewogenes Konzept aufeinander abgestimmter Verkehrsmittel. „Schon in den 70er und 80er Jahren hat man hier sehr zielorientiert darauf hingearbeitet, den öffentlichen Nahverkehr leistungsstark auszubauen und gleichzeitig Fußgänger, Fahrrad- und Autofahrer zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern zu machen.“ Dabei seien stets die Bürger sehr stark in die Entscheidungen miteinbezogen worden, entsprechend groß ist die Zustimmung zur Verkehrspolitik.
Auch in den meisten deutschen Großstädten sieht Beckmann hervorragende Ausgangssituationen. Überall dort, wo es ein gut ausgebautes öffentliches Verkehrsnetz und ein positives Nebeneinander aller Verkehrsträger gibt, komme es in den kommenden Jahrzehnten darauf an, „ein integriertes Verständnis“ von Mobilität zu erreichen. Sein Fachkollege de Rudder spricht von der „innovativen Ausgestaltung der Schnittstellen“. Für beide steht fest, dass es kein allgemeingültiges Patentrezept für alle Städte gibt. Für jede einzelne müssen die Mobilitätskonzepte auf die spezifischen Anforderungen ausgerichtet sein.
Auch in Deutschland gibt es eine ganze Reihe von Kommunen, von denen andere viel lernen können. Karlsruhe etwa, wo konsequent auf den Ausbau eines hochwertigen Stadtbahnnetzes gesetzt wurde, dessen Qualität sich messbar im Bewusstsein der Bürger festgesetzt hat. Oder Münster, die klassische deutsche Fahrradstadt, die bei Themen wie Wegeführung oder Sicherheit immer neue Standards setzt. Freiburg hat ein weitgehend integriertes Verkehrskonzept verwirklicht, das bis in die Gestaltung attraktiver Fahrpreise reicht. Und eine Stadt wie Tübingen geht neue Wege, indem einzelne Stadtviertel fast vollständig vom Autoverkehr befreit werden. Viele gute Beispiele, die Vorbild und Impuls sein können.
Der Radfahreranteil in Berlin steigt an
Nicht zuletzt Berlin verfügt über ausgezeichnete Voraussetzungen. Ein – trotz aller Pannen – bestens ausgebautes S- und U-, Straßenbahn- und Busnetz, relativ viel Platz auf innerstädtischen Straßen und einen im Gegensatz zu anderen Städten sehr geringen Autobesitz von rund 300 Pkw pro 1000 Einwohner – in vergleichbaren Metropolen liegt er bei circa 500 Pkw pro 1000 Einwohner. So ist etwa der Radfahreranteil am Verkehr in den letzten Jahren von 10 auf rund 14 Prozent angewachsen – Tendenz weiter steigend.
Intelligente Mobilität, so Beckmann, führe schrittweise natürlich dazu, dass beträchtliche Mengen an CO2 in den Städten eingespart werden. Überdies erwartet er in den kommenden Jahrzehnten einen massenhaften Anstieg von Elektroautos und -fahrrädern in den Städten – weit über Europa hinaus. Diese Konkurrenz habe zwangsläufig zur Folge, dass auch Verbrennungsmotoren immer besser und effizienter würden.
Und noch ein Trend wird sich nach seinen wissenschaftlichen Erkenntnissen künftig verstärken: „Wir werden mehr benutzen und weniger besitzen.“ Der Anteil junger Menschen zwischen 18 und 29 Jahren, die motorisiert sind, nehme aktuell ab. Daraus eine grundsätzliche Abkehr vom Auto zu diagnostizieren, sei sicherlich verfrüht. Aber in der jüngeren Generation sei die Bereitschaft und das Know-how viel größer, Sharing-Angebote zu nutzen. Beckmann bringt es auf diese griffige Formel: „Unsere Mobilität wird sich nicht revolutionär verändern, sondern evolutionär.“
Klaus Grimberg