IG-BCE-Chef Vassiliadis: „Die Energiepolitik erinnert an die DDR“
Michael Vassiliadis, Vorsitzender der IG BCE, über Flüchtlingshilfe und die Sorgen der Arbeitnehmer, teuren Strom und die Zukunft der heimischen Kohle.
Herr Vassiliadis, zur DGB-Jahresauftaktklausur Mitte der Woche kommen Kanzlerin und Vizekanzler sowie Frank Jürgen Weise, der Chef der Arbeitsämter und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Was wollen die alle beim DGB?
Da kommt zum Ausdruck, dass die Gewerkschaften einerseits als Partner anerkannt sind, andererseits auch Verantwortung annehmen und das Gespräch suchen mit den Verantwortlichen in Regierung und Verwaltung. Wir kümmern uns eben um weit mehr als nur um die nächste Lohnerhöhung. Das unterscheidet uns beispielsweise von der Lokführergewerkschaft GDL.
Ist der DGB wichtiger geworden für die Politik?
Die Bedeutung von Verbänden und Gewerkschaften für die Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder klar gezeigt. Zum Beispiel in der Finanzkrise. Mit den Folgen ist Deutschland schneller und besser fertig geworden als andere Länder. Diese Erfahrung trägt immer noch. Es gibt selbstverständlich Meinungsverschiedenheiten, aber es gibt eben auch wechselseitigen Respekt vor der Kompetenz und der Handlungsfähigkeit der verschiedenen Akteure.
"Nicht erledigt sind die Themen Leiharbeit und Werkverträge"
Was sind die Hauptthemen für die Gespräche mit Merkel und Gabriel?
Die Regierung hat Reformen umgesetzt, die uns wichtig waren, in der Alterssicherung wie bei der Tarifeinheit. Die Mehrheit in der Union und Frau Merkel waren auch für den Mindestlohn. Das ist erledigt. Nicht erledigt ist die Regulierung von Leiharbeit und Werkverträgen. Das wird plötzlich wieder infrage gestellt. Es ist offen, ob es dabei um Details in der Sache oder um etwas anderes geht.
Was anderes?
Die Arbeitgeber üben ja schon seit Längerem Fundamentalkritik nach dem Motto, es müsse Schluss sein mit sozialpolitischer Romantik und ein vermeintlicher Linksrutsch rückgängig gemacht werden. Das ist Quatsch, verfängt aber offenbar in der Union. Mit den Reformen, die ich genannt habe, sind einige wichtige soziale und politische Fragen beantwortet. Das war überfällig nach jahrelanger strittiger Diskussion. Und die Welt ist auch nicht untergegangen. Im Gegenteil. Für die Exportnation und den Innovationsstandort Deutschland hat sich der Mindestlohn als sehr positiv erwiesen. Nun können wir uns der sozialen Realität der übrigen Arbeitnehmer zuwenden.
Wie sieht die denn aus?
Die ist jedenfalls nicht überall goldig. Die Leute machen sich Sorgen um die Alterssicherung, wegen der Mieten und weil der Leistungsdruck in den Betrieben immer größer wird. Viele Menschen sind verunsichert, und das ist offenbar ein Grund, warum Pegida oder die AfD auch unter Arbeitnehmern Anhänger finden.
"Flüchtlingshilfe darf nicht zulasten der Arbeitnehmer gehen"
Und das Flüchtlingsthema?
Unsere Mitglieder und die Beschäftigten bilden die Mitte der Gesellschaft. Daher finden wir auch bei uns beides: einerseits Kritik und Skepsis, ob die großen Probleme der Integration tatsächlich gelöst werden. Andererseits ist die Hilfsbereitschaft unter Gewerkschaftsmitgliedern besonders groß. Was es nicht gibt, sind Konflikte im Betrieb. Zum einen sind die Flüchtlinge dort noch gar nicht angekommen, zum anderen klappt da die Integration. Da ist nicht die Herkunft ausschlaggebend, sondern dass man kollegial zusammenarbeitet.
Dann ist ja alles gut.
Was wir spüren, ist jedoch das Bedürfnis nach mehr Leadership und einem besseren Management in Politik und Verwaltung. Die Menschen wollen Antworten auf konkrete Frage, etwa beim Wohnungsbau, statt zu erleben, dass alle möglichen Vorkommnisse parteipolitisch missbraucht werden.
Was können Gewerkschaften tun?
Wir orientieren uns an unseren Werten der Solidarität und Toleranz. Dafür werben wir. Aber wir verlangen auch politische Klarheit, dass die Unterstützung von Flüchtlingen nicht wieder zulasten unserer Mitglieder geht. Deshalb war es wichtig, dass die absurde Idee vom Tisch ist, den Mindestlohn aufzuweichen.
Neben den Flüchtlingen wird die Energiewende auch in diesem Jahr wieder ein großes Thema sein. Worauf kommt es an?
Energiepolitik zielt immer auf das Herz- Kreislauf-System unserer Wirtschaft. Weitere Irritationen sind deshalb unbedingt zu vermeiden. Ansonsten ziehen insbesondere die energieintensiven Industrien die Investitionsbremse noch fester an. Die Energiewende muss künftig so gestaltet sein, dass es uns gelingt, die Verlagerung von Investitionen zu stoppen.
"Klimafundamentalisten fordern das Ende der Kohle"
2015 haben Sie entscheidend mitgewirkt bei der Abwehr der sogenannten Klimaabgabe, die manche Kohlekraftwerke unwirtschaftlich gemacht hätte. Nach dem Klimagipfel in Paris wird es eng für die schmutzige Kohle.
Klimaschutz ist eine Frage globaler, nicht allein nationaler Verantwortung. Das hat Paris gezeigt, aber die Verbindlichkeit der Verabredungen ist doch sehr vage. Konkret in ihren Zusagen zur CO2-Einsparung waren bislang nur Deutschland und die Europäer. Niemand anders geht so entschieden beim Klimaschutz voran. In Deutschland gilt das von der Politik gesetzte Ziel der Energiewende: bis 2050 rund 90 bis 95 Prozent CO2-Einsparung. Daran hat Paris nichts geändert, auch wenn einige Klimafundamentalisten nun mit einer geradezu naturgesetzlichen Selbstverständlichkeit das sofortige Ende der Kohle ausrufen.
Fakt ist, dass wir hierzulande das von der Regierung ausgerufene Klimaziel bis 2020 kaum erreichen werden.
Das liegt dann nicht an der Kohle oder der Energieerzeugung. Da gibt es klare Verabredungen, die eingehalten werden. Entscheidend ist jedoch, dass in Zukunft die Struktur der Energieversorgung stimmt. Jetzt müssen wir uns auf den Ausbau der Netze und vor allem auf die Möglichkeiten konzentrieren, Strom aus erneuerbaren Energien zu speichern. Das ist die wichtigste Voraussetzung, um eine echte Versorgung auf regenerativer Basis zu schaffen. Und bis zum Sommer will Sigmar Gabriel sein Stromenergiemarkt- Design fertig haben. Da geht es auch darum, die hoch subventionierten Erneuerbaren näher an den Markt zu bringen.
Brauchen wir 2040 noch Kohle?
Eine Ausstiegsdebatte um bestimmte Termine, vielleicht noch garniert mit ein paar karitativen Elementen für die betroffenen Regionen, macht keinen Sinn. Allein schon deshalb, weil das zu höheren Preisen an der Strombörse führt, die unmittelbar die energieintensive Industrie treffen. Und wer glaubt, das wäre gut für Energieversorger wie RWE, der irrt.
RWE lebt aber ganz wesentlich von der Kohlerverstromung.
Alle großen Energiekonzerne leider sehr unter den politischen Eingriffen in den Markt. Die Regierung macht Vorgaben, die Folgen müssen andere ausbaden. Das erinnert schon an DDR-Planwirtschaft. Fakt ist, die großen Unternehmen verdienen fast kein Geld mehr und leben vielfach von den Reserven. Auch RWE ist wirklich in Not. Da geht es um zehntausende gute Arbeitsplätze, im Übrigen mit Tarifvertrag und Mitbestimmung.
Und wie rettet man diese Arbeitsplätze?
Wenn man eine Branche oder ein Unternehmen derartig politisiert, dann muss sich die Politik auch darum kümmern.
"Der Verkauf der Vattenfall-Kohleaktivitäten ist schwierig"
Hat Vattenfall unter den gegebenen Umständen überhaupt eine Chance, die Braunkohleaktivitäten in Ostdeutschland zu verkaufen?
Der Preis spielt natürlich eine Rolle. Ich habe auch dem schwedischen Ministerpräsidenten gesagt: Wenn die schwedische Politik die deutschen Vattenfall-Aktivitäten so diskreditiert, dann drücken sie natürlich den Preis. Warum sollte jemand viel Geld für ein Unternehmen bezahlen, von dem der Verkäufer nichts mehr hält?
Wenn der Verkauf nicht klappt, ist also wieder die Politik schuld?
Für die ostdeutsche Braunkohle gibt es Interessenten mit eigenen Geschäftsmodellen. Alle Interessenten haben aber eine Frage: Was will die deutsche Politik? In diesem Frühjahr werden wir eine Antwort brauchen. Das ist wie in der Flüchtlingspolitik. Irgendwann reichen pauschale Botschaften nicht mehr, da wird es dann konkret. Und in dem Moment muss man sich damit auseinandersetzen.
Die Umweltpolitik, personifiziert durch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD), will so schnell wie möglich raus aus der Kohle.
Dass die Umweltministerin vor allem den Klimaschutz im Blick hat, überrascht mich nicht. Ich bin mir aber nicht sicher, ob sie eine Vorstellung von den Risiken eines Strukturbruchs hat. Zuständig ist im Übrigen der Energieminister, und wichtig wird auch sein, wie die Kanzlerin dazu steht.
Vielleicht erfahren Sie das am kommenden Donnerstag, wenn Angela Merkel beim DGB ist. Wie ist eigentlich der Stand des DGB-internen Streits über Organisationsabgrenzungen und Tarifeinheit?
Vor einem Jahr habe ich mir Sorgen gemacht, aber unter der Moderation von Reiner Hoffmann sind wir heute deutlich geschlossener als vor einem Jahr. Wir sind uns der Verantwortung bewusst, die wir als Führer der größten Arbeiterbewegung in der freien Welt haben. Wir wollen gemeinsam stärker werden, daran werden wir weiter arbeiten.