Nach dem Klimagipfel in Paris: Kohleausstieg – aber schnell
Umweltministerin Hendricks will Gespräche über Strukturwandel bis Mitte 2016 führen. Dann will das Kabinett über den Klimaschutzplan 2050 entscheiden.
Zwei Tage nach der Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens ist die Debatte in der deutschen Innenpolitik angekommen. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) sagte am Montag, einen „Klimaschutzplan 2050 ohne eine Aussage zur Verstromung fossiler Energien werden wir nicht verabschieden können“. Seit dem Sommer diskutiert das Umweltministerium mit Verbänden, Bundesländern, Kommunen und Bürgern über den Klimaschutzplan 2050. Im Sommer 2016 soll er ins Kabinett gehen, kündigte Hendricks an. Und bis dahin sollen Gespräche mit der Industrie und den Gewerkschaften über einen „strukturierten Kohleausstieg ohne Strukturbrüche“ geführt sein, sagte sie weiter.
Bis 2050 hat sich Deutschland schon 2007 vorgenommen, die Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Das bedeute im Umkehrschluss, dass bis dahin das Energiesystem auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgebaut sein müsse. Hendricks wiederholte ihre Einschätzung, dass ein sozialverträglicher Ausstieg aus der Kohlenutzung in 20 bis 25 Jahren möglich sei. Allerdings habe sie nicht vor, nun gleich ein Kohleausstiegsgesetz mit Enddatum 2040 vorzulegen, stellte sie klar. An die Industrie gerichtet sagte Hendricks: „Die Industrie muss gar nichts befürchten, aber sich auf den Weg machen.“ In eine Zukunft, die bis Mitte des Jahrhunderts auf Kohle, Öl und Gas nicht mehr angewiesen sein soll, wie es im Pariser Abkommen steht. Auch Verkehr und Landwirtschaft würden sich ändern müssen.
Progressive Unternehmen fordern mehr Klimaschutz
35 Unternehmen, der ökologische Unternehmerverband Baum und die Unternehmerstiftung Zwei Grad forderten am Montag gemeinsam mit Germanwatch, dass die Bundesregierung einen verlässlichen Rahmen setzt. Die progressiven Unternehmen, darunter Netzbetreiber 50 Hertz, Discounter Aldi Süd, Einzelhändler Rewe, die Berliner Dussmann Gruppe und Lebensmittelkonzern Unilever wünschen sich vor allem, dass die Regierung ihr Klimaaktionsprogramm bis 2020 so nachbessert, dass das Ziel, bis dahin 40 Prozent weniger Kohlendioxid auszustoßen als 1990, erreicht wird.
Die Bergbaugewerkschaft findet Ausstiegsdebatten "unsinnig"
Dass zumindest die Bergbaugewerkschaft IGBCE das Pariser Abkommen und den Dialogprozess zum Klimaschutzplan 2050 ganz anders versteht, machte IGBCE-Chef Michael Vassiliadis klar: „Es ist unredlich, den Eindruck zu erwecken, die ganze Welt folge automatisch dem Beispiel Deutschlands“, wird er in einer Pressemitteilung zitiert. Und es sei „unsinnig, in Deutschland eine Ausstiegsdiskussion nach der anderen zu beginnen“, fügte er hinzu. Vassiliadis empfahl, lieber mehr Geld in Entwicklungsländern zu investieren, um Kohlendioxid einzusparen. „Jeder Cent davon ist besser eingesetzt und bringt mehr Tonnen CO2 aus der Welt, als in Europa neue Einsparungsziele hinter dem Komma zu definieren.“ Vassiliadis beharrt darauf, dass fossile Energieträger solange nötig seien, wie es „keine technisch und wirtschaftlich überzeugende Lösung gibt, den volatilen Strom aus Wind und Sonne zu speichern“.
Industrieverbände wehren sich gegen mehr Klimaschutz
Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte vor zu viel klimapolitischem Ehrgeiz. „Deutschland darf in der Klimapolitik nicht vom Vorreiter zum Einsiedler werden“, sagte BDI- Präsident Ulrich Grillo. „Es ist nicht die Zeit, überstürzt über neue EU- oder nationale Ziele nachzudenken.“ Barbara Minderjahn, Geschäftsführerin des Verbands Industrieller Kraftwerke (VIK), sekundierte: „In der Umsetzung des Vertrags sollten EU und Deutschland darauf achten, dass Länder außerhalb Europas beim Klimaschutz aufholen.“
Opposition wünscht sich schnelleren Ausstieg aus der Kohle
Der Opposition geht Hendricks’ Ehrgeiz dagegen nicht weit genug. Annalena Baerbock, Klimaexpertin der grünen Bundestagsfraktion, sagte am Montag: „Wer wie die Bundesregierung in Paris eine Begrenzung der Erderwärmung von deutlich unter zwei Grad unterschreibt, muss konsequent raus aus der Kohle.“ Ihre Kollegin von der Linken, Eva Bulling-Schröter, verlangte ein Kohleausstiegsgesetz bis 2035. Und Greenpeace sähe den Ausstieg gerne bis 2030.