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Christine Behle, ehemals Inspektorin bei der Stadt Wuppertal, ist stellvertretende Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
© dpa

Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst: „Die Arbeitgeber zwingen uns zu Warnstreiks“

Christine Behle, stellvertretende Vorsitzende von Verdi, über weitere Streiks im öffentlichen Dienst, die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus und den ÖPNV.

Frau Behle, sind Sie zufrieden mit der Streikbereitschaft in der Corona-Zeit?

Bei den Warnstreiks im ÖPNV lag die Streikbeteiligung bei mehr als 90 Prozent, aber vielen Beschäftigten geht es so wie Gewerkschaftern auch: Man ist mit gemischten Gefühlen dabei. Zum einen gibt es große Not, weil Kolleginnen und Kollegen mit Schichten bis zu 14 Stunden im öffentlichen Personenverkehr in einer schwierigen Situation sind. Der Wunsch, dass wir diese Belastungen reduzieren, ist sehr groß. Zum anderen sehen wir das Infektionsrisiko und auch die öffentliche Wahrnehmung der Warnstreiks.

Das Verständnis hält sich in Grenzen.
Wir haben auch sehr viel Zuspruch und wir können nicht wegen der Pandemie die Anliegen der Beschäftigten auf die lange Bank schieben, zumal diese Anliegen in den vergangenen Corona-Monaten noch deutlicher geworden sind: hohe Belastungen und relativ schlechte Bezahlung. Im öffentlichen Dienst haben wir versucht, die Verhandlungen zu verschieben, das wollten die Arbeitgeber nicht.

Warum ruft Verdi jetzt schon zu Warnstreiks, obgleich die entscheidende Verhandlung erst am 22. Oktober ansteht?
Wir haben eine Vielzahl von kleinen Aktivitäten gehabt, bei denen die Beschäftigten für ein paar Stunden rausgegangen sind. Bislang gab es keine flächendeckenden Streiks, sondern wir senden eher kleinteilig Signale an die Arbeitgeber, die auch in der zweiten Runde kein Verhandlungsangebot vorgelegt haben.

Je näher der 22. Oktober kommt, desto heftiger werden die Signale?
Wir haben die Arbeitgeber aufgefordert, bereits vor dem 22. Oktober ein Angebot zu machen. Die sogenannten Verhandlungstische für die Sparkassen und für das Gesundheitswesen wollen die Arbeitgeber abwarten und dann möglicherweise mit einem Angebot kommen. Davon hängt es ab, ob wir die Streikaktionen erweitern müssen.

Für die Sparkassen, die unter den niedrigen Zinsen leiden, wollen die Arbeitgeber eine Kostenentlastung, und für die rund 500 000 Beschäftigten in kommunalen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen möchte Verdi einen Zuschlag.
Darüber verhandeln wir separat und streben bis Mitte Oktober ein Ergebnis an.

Was viele nicht verstehen: Es gibt die Tarifauseinandersetzung für den öffentlichen Dienst mit fast 2,5 Millionen Beschäftigten und zeitgleich den Konflikt im öffentlichen Nahverkehr, der knapp 90 000 Beschäftigte betrifft. Warum findet das gleichzeitig statt und belastet die Bürger doppelt?
Das hängt mit dem Auslaufen der Tarifverträge zusammen und mit Verzögerungen durch die Pandemie.

Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber bewertet die Warnstreiks als „unverantwortliches Verhalten in diesen krisengeplagten Zeiten“ und dürfte damit der Stimmung in der Bevölkerung nahekommen.
Ich nehme ein gemischtes Bild wahr. Viele Menschen respektieren die Leistungen im öffentlichen Dienst gerade auch während der Pandemie und haben Verständnis für die Warnstreiks, weil nur so bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen sind. Gleichzeitig gibt es eine Debatte, die wir auch intern führen, über den Zeitpunkt. Aber den haben wir uns nicht ausgesucht. Wir hätten die Verhandlungen lieber auf das nächste Jahr verschoben – die Arbeitgeber wollten nicht.

Weil die Gewerkschaften eine Einmalzahlung von 1500 Euro je Beschäftigten für 2020 verlangten, was die Kommunen drei Milliarden Euro gekostet hätte.
Eine Forderung ist eine Forderung und wird nie 1:1 umgesetzt. Aber die Arbeitgeber haben sich überhaupt nicht auf Verhandlungen eingelassen. Sie haben dann in den ersten zwei Verhandlungsrunden kein Angebot gemacht. Damit zwingen sie uns zu Warnstreiks, weil es sonst keine Bewegung gibt.

Sie bemühen immer wieder das Bild der Helden der Arbeit im öffentlichen Dienst. Die hat es aber in Handel und Handwerk, Industrie und Dienstleistungsbranchen auch gegeben. Was im öffentlichen Dienst anders ist: Hier wird das Kurzarbeitergeld auf 90 oder sogar 95 Prozent aufgestockt.
Nur ein Bruchteil des öffentlichen Dienstes war und ist in Kurzarbeit, vor allem im kulturellen Bereich. Der Großteil arbeitet und trägt dazu bei, dass wir die Pandemie bewältigen. Außerdem argumentieren wir nicht vorrangig mit der Pandemie, sondern mit Personalmangel und Nachholbedarf. Zehn bis 15 Prozent der Stellen im öffentlichen Dienst sind nicht besetzt, und das liegt auch an den Arbeitsbedingungen und der Bezahlung.

Dafür sind die Arbeitsplätze sicher.
Es gibt keinen Arbeitgeber, der mehr befristet Beschäftigte hat, als der öffentliche Dienst. Von guten Arbeitsbedingungen sind wir häufig weit entfernt, die Belastung ist hoch und die Arbeitsplatzunsicherheit oft groß.

Die Tarifverhandlungen für 2,3 Millionen Beschäftigte der Kommunen und beim Bund werden am 22. Oktober fortgesetzt, bis dahin wird es Warnstreiks geben. Im ÖPNV wird ab Mitte der Woche gestreikt – erstmal in Hessen, Niedersachsen und Bremen.
Die Tarifverhandlungen für 2,3 Millionen Beschäftigte der Kommunen und beim Bund werden am 22. Oktober fortgesetzt, bis dahin wird es Warnstreiks geben. Im ÖPNV wird ab Mitte der Woche gestreikt – erstmal in Hessen, Niedersachsen und Bremen.
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Der letzte Abschluss vor zweieinhalb Jahren hat immerhin um 7,5 Prozent höhere Einkommen gebracht und die Lücke zur Privatwirtschaft etwas geschlossen.
Dafür war die Laufzeit des Vertrages mit 33 Monaten sehr lang. Für Berufsanfänger gab es damals überproportional mehr Geld, um die Attraktivität zu erhöhen. Das war wichtig, hat aber noch nicht zu einem Gleichziehen mit der privaten Wirtschaft geführt, vor allem nicht in den stark beanspruchten Pflegeberufen.

Was genau möchten Sie für die Krankenhäuser erreichen?
Zwei Dinge. Der Fachkräftemangel hat in den Krankenhäusern die Belastungen enorm verstärkt. Wir fordern eine Pflegezulage von 300 Euro im Monat, um den Beruf attraktiver zu machen. Neben der Vergütung geht es auch um Entlastung. Wir wollen die Pause in der Wechselschicht bezahlen, was in der Wirkung eine Arbeitszeitverkürzung von 2,5 Stunden in der Woche bedeuten würde.

Wäre nicht mehr Personal wichtiger als Geld?
Die Katze beißt sich in den Schwanz: Wenn man nichts tut für die Arbeitsbedingungen und Einkommen, dann kommt kein zusätzliches Personal. Es müssen Anreize geschaffen werden und die Situation derjenigen, die bereits tätig sind, muss verbessert werden.

Es gibt viel Ärger über die Warnstreiks im öffentlichen Personenverkehr. In den Bundesländern wird dezentral über die Arbeitsbedingungen verhandelt, aber mit den Streikaktionen soll die bundesweit zuständige VKA zu Verhandlungen gezwungen werden. Worum geht es?
Wir wollen bundesweit Verbesserungen der Rahmenbedingungen in einem Manteltarifvertrag. Es ist so ähnlich wie im Krankenhaus: Nach Jahrzehnten des Stellenabbaus gibt es zu wenige Menschen im ÖPNV. Seit Ende der 1990er Jahre ist die Zahl der Fahrgäste fast um ein Viertel gestiegen und die Beschäftigtenzahl um ein Fünftel gesunken. Jetzt fehlen 15 000 Arbeitskräfte – und die bekommen wir nur mit besseren Arbeitsbedingungen.

Warum wird das nicht in den Bundesländern verhandelt?
Wegen der enormen Unterschiede zwischen den Ländern: hier gibt es 26 Tage Urlaub, dort 30, die Arbeitszeit reicht von 36,5 bis 39 Stunden, die Zulagen sind unterschiedlich und es gibt ein Lohngefälle bis zu 800 Euro. Unser Ziel ist es, dass perspektivisch alle Mitarbeiter im ÖPNV gleich viel verdienen, unabhängig vom Arbeitsort.

Ob das die Leute verstehen, die wegen der Streiks mit dem Taxi fahren müssen?
Wir wollen mal die Kirche im Dorf lassen. Ein Streiktag ist geradezu vernachlässigbar im Verhältnis zu den Ausfällen im Nahverkehr: In 60 Prozent der Verkehrsunternehmen fallen täglich Linien oder Fahrten wegen Personalmangel aus. Zudem haben wir die Streiks frühzeitig angekündigt, damit sich die Fahrgäste darauf einstellen können. Dadurch haben viele Menschen sehr verständnisvoll reagiert.

Wann wird wieder gestreikt?
Die VKA ist weiterhin nicht zu Verhandlungen bereit. Deshalb werden wir zu weiteren Warnstreiks aufrufen müssen. Die ersten werden am Dienstag in Hessen und am Mittwoch in Niedersachsen und Bremen stattfinden.

Sie sind stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa, die mit staatlicher Hilfe erstmal gerettet wurde, 150 Flugzeuge dauerhaft außer Betrieb nehmen und bis zu 25 000 Arbeitsplätze streichen will. Wie ist der Stand der Dinge?
Meine Sorge ist schon sehr groß. Alle Airlines und alle Flughäfen sind abhängig vom Pandemieverlauf und haben das Geschäft nicht in der eigenen Hand.

Die Beschäftigten müssen sich auf Kurzarbeit bis weit ins nächste Jahr einstellen?
Bis Ende des Jahres. Die Verlängerung der Kurzarbeit war für den Luftverkehr eine Überlebensfrage. Die Prognosen der Internationalen Luftverkehrsvereinigung werden ständig nach unten korrigiert, jetzt wird erst für 2024 ein Niveau von 75 Prozent im Vergleich zu 2019 erwartet.

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