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Mit voller Kraft in den Warnstreik - zum Beispiel am 22. September bei einem Recyclinghof in Duisburg.
© dpa

Warnstreiks im öffentlichen Dienst: Kaffeekränzchen am Templiner See

Ein Kommentar zum aktuellen Tarifkonflikt: Beide Seiten pflegen auch im Coronajahr ihre Rituale. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Alfons Frese

In Zeiten von Corona sind viele Mitarbeiter im öffentlichen Dienst besonders gefordert, in Gesundheitsämtern, Krankenhäusern und Arbeitsagenturen. Sie sind die „Corona-Helden“, die im März und April gefeiert wurden. Diese Beschäftigten sind oft stark beansprucht und dabei Gefahren für die eigene Gesundheit ausgesetzt. Andererseits hat der öffentliche Dienst in der Pandemie auch Vorteile: Die Arbeitsplätze sind selbst in der Rezession sicher. Im April einigten sich die kommunalen Arbeitgeberverbände mit Verdi zudem auf eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes auf bis zu 95 Prozent des letzten Nettos. Davon können Kurzarbeiter in der Wirtschaft nur träumen.

Streiks passen nicht in die Zeit

Jetzt ruft Verdi 4,8 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen auf und wird dieser Tarifforderung in den kommenden Wochen mit Warnstreiks Nachdruck verleihen. Passt das in eine Zeit, in der viele ihre Arbeit verloren haben oder weiter Kurzarbeitergeld beziehen? Muss es jetzt wirklich sein, dass der Müll mal nicht abgeholt wird oder Krankenhäuser auf Notdienste umstellen – wo doch das öffentliche Leben im Empfinden der Bürger gerade erst wieder ein paar Wochen und halbwegs normal funktioniert?

Angebot erst in der 3. Runde

Trotz der besonderen Umstände pflegen die Tarifparteien auch diesmal ihre Rituale. Das vergangenen Wochenende verbrachten Arbeitgebervertreter und Gewerkschaftsfunktionäre im Hotel am Templiner See, um sich darauf zu verständigen, dass man sich noch nicht verständigen will. Es ist eine schlechte Tradition der Arbeitgeber, zweimal zu Kaffee und Kuchen anzureisen, und erst beim dritten Mal ein wirklich verhandelbares Angebot vorzulegen.

Die Forderung der Gewerkschaften nach 4,8 Prozent mehr Geld für 2,4 Millionen Beschäftigte liegt seit Wochen vor. Zu den Ritualen gehören Warnstreiks, um die Zahlungsbereitschaft der Arbeitgeber zu erhöhen. Bis zum 22. Oktober müssen wir uns deshalb auf Beeinträchtigungen einstellen; erst dann trifft man sich in Potsdam wieder.

Die Arbeitgeber wollten nicht verschieben

Diesen Tarifkonflikt hätte Verdi wegen Corona gerne auf das nächste Jahr verschoben. Das lehnten die kommunalen Arbeitgeber ab. Sie fürchten, im Wahljahr könnte sich Innenminister Horst Seehofer, der für den Bund die Verhandlungen führt, als Anwalt der Staatsbediensteten inszenieren und die Sache teuer werden. Also muss jetzt eine Lösung her.

Verdi-Chef Frank Werneke führt die Verhandlungen auf Seiten der Gewerkschaften. Wie erfolgreich das sein wird, hängt auch vom Druck der Straße ab.
Verdi-Chef Frank Werneke führt die Verhandlungen auf Seiten der Gewerkschaften. Wie erfolgreich das sein wird, hängt auch vom Druck der Straße ab.
© dpa

Die Arbeitgeber hätten aufgrund der besonderen Umstände am vergangenen Wochenende ein verhandlungsfähiges Angebot vorlegen sollen. Es fehlte der Mumm. Doch offenbar können sie nicht ohne Streiks. Dabei sind sich alle der besonderen Lage bewusst.

Kitastreiks sind kaum vorstellbar

Kann schon sein, dass in den kommenden Wochen der Müll später abholt wird, das Schwimmbad geschlossen bleibt und es im Krankenhaus Notdienst gibt. Geschlossene Kitas ein paar Wochen nach Wiederaufnahme des Regelbetriebs sind kaum vorstellbar, anders als vor fünf Jahren, als die Erzieherinnen fast vier Wochen lang streikten - flankiert vom Verständnis der betroffenen Eltern.

Pflegepersonal besser stellen

Das war damals. Heute stecken wir in der Pandemie. Das Tarifergebnis wird deshalb deutlich hinter der Forderung zurückbleiben. Wie begrenzt die Spielräume sind, habe gerade die bescheidenen Tarifkompromisse auf dem Bau und bei der Bahn gezeigt. Überproportional mehr Geld will Verdi für 500 000 Beschäftigte in kommunalen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Das setzt die Tarifpolitik von 2018 fort, als über eine Erhöhung von Nachtschichtzuschlägen und mehr Urlaub bei Wechselschichtarbeit die Bedingungen im Krankenhaus überproportional verbessert wurden. Ein Erfolg der Beschäftigten, deren Engagement und Streikbereitschaft jeder Tarifforderung überhaupt erst eine Umsetzungschance verschafft. Und umgekehrt: In der Altenpflege sind die Einkommen auch deshalb so erbärmlich, weil es wenig organisierte und streikbereite Arbeitnehmer gibt.
Das ist angemessen und löst ein Versprechen ein, das viele Politiker und die Gesellschaft als Ganzes diesen Menschen gegeben haben.

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