Frank Bsirskes Tarifbilanz: Der Zocker
Die Streiks bei der Post und in den Kitas waren teuer und wenig erfolgreich. Verdi-Chef Bsirske will im September trotzdem wiedergewählt werden.
Frank Bsirske hat Urlaub. Nach einem turbulenten ersten Halbjahr braucht der Verdi-Chef Erholung. Zumal die kommenden Monate auch nicht gemütlich werden. Anfang August zeichnet sich ab, ob der Kitastreik fortgesetzt werden muss. Und im September steht der Bundeskongress der mit gut zwei Millionen Mitgliedern zweitgrößten deutschen Gewerkschaft an. Dann wird Bsirske, der inzwischen die Rente mit 63 in Anspruch nehmen könnte, zum fünften Mal an die Spitze gewählt. „Der erfolgloseste Gewerkschafter Deutschlands“, wie in Kreisen der Industriegewerkschaften gelästert wird. Tatsächlich hat Verdi seit der Gründung im Jahr 2001 fast 800 000 Mitglieder verloren. Dieses Jahr sollte es mal wieder einen Mitgliederschub geben, vor allem durch siegreiche Arbeitskämpfe bei der Post und im Sozialbereich. In Leipzig, auf dem alle vier Jahre anstehenden Gewerkschaftskongress, wird Bsirske den Delegierten zu erklären haben, warum die Arbeitskämpfe nicht gewonnen wurden.
Das Hauptziel wurde bei der Post nicht erreicht
Vergangenen Montag in der Berliner Verdi-Zentrale: „Beim nächsten Mal können die ihren Streik alleine machen.“ Verdi-Mitglieder bei der Post geben ihre Streikzettel ab, um nach dem Ende des Arbeitskampfes den Anspruch auf das Streikgeld geltend zu machen. Verdruss oder Verständnislosigkeit statt Freude oder Genugtuung. „Ich bin gespalten“, lautete die um Loyalität bemühte Einschätzung eines Briefträgers, der seit mehr als 20 Jahren für die Post arbeitet und sich ebenso lange bei Verdi engagiert. Zum ersten Mal seit 1994 hatte es wieder einen unbefristeten Streik gegeben. Ziel des Kampfes: die Rückführung der 49 DHL Delivery GmbH in den Geltungsbereich des Konzerntarifvertrags.
Das Management hatte einen Großteil der Paketzusteller in die Deliverys ausgegliedert, um so den Haustarif der Post verlassen und niedrigere Logistiklöhne zahlen zu können. Ergebnis des vierwöchigen Streiks mit bis zu 32 000 Teilnehmern: Es bleibt alles, wie es ist. „Ich möchte nicht in der Haut von Andrea Kocsis stecken“, sagt ein führender Gewerkschafter über die Verhandlungs- und Streikführerin von Verdi. „Ohne eine Rückführung der 49 DHL Delivery GmbHs gibt es keinen Frieden im Betrieb und deshalb gehen wir diesen Schritt“, hatte Kocsis, die auch stellvertretende Verdi-Vorsitzende ist, das Ziel des Arbeitskampfes beschrieben.
Für die Niederlage gibt es verschiedene Gründe. Die rund 6500 Beschäftigten in den Deliverys selbst durften gar nicht streiken, da sie unter den Logistik- Tarifvertrag fallen. Der Arbeitskampf war also eine Art Solidaritätskampf der übrigen Postzusteller, für die kürzere Arbeitszeiten, mehr Geld und sichere Arbeitsplätze gefordert wurden. Das war eine Art Beiwerk im Verdi-Forderungskatalog neben dem Hauptthema der 49 Regionalgesellschaften. Dieses Thema betraf aber mittelbar nur die 7650 Paketzusteller, weil die Angst haben, auch in einer der Deliverys zu landen.
Weniger als die Hälfte der Verdi-Mitglieder streikte
Die Post hat ungefähr 140 000 Zusteller, rund 80 000 gehören zu Verdi, aber nur maximal 32 000 haben sich am Streik beteiligt. Nach vier Wochen konnte die Gewerkschaft nicht nur nicht mehr zulegen, sondern hier und da bröckelte die Streikbereitschaft. Und das Management der Post stand beinhart und ließ durchblicken, dass man bereit sei, Streikschäden im Volumen eines Jahresgewinns hinzunehmen – aber bei den Deliverys niemals nachgeben werde. Schließlich entlarvte sich die Hoffnung der Verdi-Strategen, die Regierung als Großaktionär der Post könnte Einfluss nehmen auf die Postführung, als Illusion. Der Bund hält noch 21 Prozent an der Post, und der Wert dieser Beteiligung ist nach dem Tarifabschluss vom vergangenen Sonntag ordentlich gestiegen: Der Wert der Post-Aktie stieg in den paar Tagen um rund sechs Prozent. Ein Tarifabschluss für die Aktionäre.
„Wir sind mit dem Abschluss sehr zufrieden“, sagte Kocsis. Was soll sie auch anderes sagen. Immerhin: Die noch unter den Post-Tarif fallenden Paketzusteller bleiben, wo sie sind, werden also nicht in die Deliverys verlagert. Weitere Auslagerungen der Zusteller sind bis Ende 2018 ausgeschlossen und betriebsbedingte Kündigungen sogar bis 2019. Dafür ist wiederum Bescheidenheit angesagt: In diesem Jahr gibt es nur eine Einmalzahlung, im nächsten Jahr steigen die Einkommen um 2,0 und 2017 um 1,7 Prozent. Der Tarifvertrag hat eine ungewöhnlich lange Laufzeit von 32 Monaten. In den nächsten Jahren gibt es also keine Tarifkonflikte.
Richtig eng wird es für Bsirske im Kita-Konflikt
Die Niederlage bei der Post ist bitter, doch richtig eng wird es für Bsirske in der Kita. Der Gewerkschaftschef wollte die Arbeit in den Sozial- und Erziehungsberufen durch eine Veränderung der Eingruppierungen aufwerten und ging dazu mit einer Forderung nach durchschnittlich zehn Prozent mehr Geld ins Rennen. Nach ein paar Wochen Streik bemühten sich Bsirske und die Vertreter der kommunalen Arbeitgeber tage- und nächtelang um einen Kompromiss: vergeblich. Es folgte ein wochenlanges Schlichtungsverfahren und eine Empfehlung, die im Schnitt 4,5 Prozent mehr Geld vorsah. Die Arbeitgeber akzeptierten, und Bsirske hätte auch gerne, konnte aber nicht, weil einige Berufsgruppen unzufrieden sind. Die Erwartungen wurden bei vielen nicht annähernd erfüllt. Jetzt stimmen die Verdi-Mitglieder ab über den Schlichterspruch. Und wenn die ablehnen? Erneut streiken, nachdem schon ein vierwöchiger Arbeitskampf in der Schlichtung endete?
In einer Hinsicht ist Bsirskes Kalkül aufgegangen: Der Kitastreik hat, wie man hört, 25 000 neue Mitglieder gebracht. Aber bleiben die auch der Gewerkschaft treu? Und wie viele treten aus, weil sie frustriert sind über den Schlichterspruch? Schließlich: War es das wert? Auf fast 100 Millionen Euro werden die Streikkosten bei der Post und in den Kitas geschätzt. In den kommenden Jahren kann sich Verdi nicht mehr viel erlauben. Gute Aussichten für die Arbeitgeber.