Streiks in Deutschland: Wie Arbeitsausstände die Republik lahmlegen
Es wird immer mehr gestreikt hierzulande – vor allem in den Dienstleistungsbereichen. Mitglieder der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mischen besonders oft bei Ausständen mit.
Der Standort Deutschland ist in Gefahr, kaum noch jemand investiert einen Cent in die größte Volkswirtschaft der alten Welt. Könnte man meinen, wenn man manchem Arbeitgebervertreter glauben mag. „Das Bild, das die deutsche Sozialpartnerschaft derzeit potenziellen Investoren bietet, ist düster: Immer mehr Arbeitnehmer bestreiken immer mehr Betriebe und es kommt zu immer mehr Ausfalltagen.“ Kurzum: Wirtschaften wird hierzulande immer schwieriger. Das behauptet das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
Für die Verbraucher sind Streiks heute spürbarer
Bei der anderen Seite klingt das ganz anders: „Deutlich geringeres Streikvolumen, anhaltend viele Konflikte“, lautet der Titel der Arbeitskampfbilanz 2014 der gewerkschaftseigenen Böckler-Stiftung. Danach liegt die Bundesrepublik „im internationalen Vergleich des Arbeitskampfvolumens nach wie vor im unteren Bereich“. So zumindest 2014. Gefühlt holt Deutschland in diesem Jahr auf. Das IW erklärt das so: „Streiks sind für die Bürger heute viel spürbarer als früher, da vor allem im Dienstleistungssektor gestreikt wird.“ Und Dienstleistungen – ob das nun Verkehrs-, Gesundheits- oder Erziehungsleistungen sind – sind näher am Verbraucher als die Produktion der Industrie.
Auch die Industrie wird bestreikt - aber nicht so oft
In der Metall- und Elektroindustrie gibt es zwar fast immer Warnstreiks im Zusammenhang mit Tarifverhandlungen. Doch sind die Ausstände in der Regel sehr begrenzt. Der letzte wirkliche Arbeitskampf liegt mehr als zehn Jahre zurück. 2003 focht die IG Metall in Ostdeutschland um die Angleichung der Arbeitszeit und einen Tarif zur Einführung der 35-Stunden-Woche wie im Westen. Die IG Metall verlor, weil ihre Truppen zu schwach waren. So gilt die tarifliche 38,5-Stunden-Woche in der ostdeutschen Metallindustrie bis heute.
Verdi hat beim Streiken die Nase vorn
Die Streikgewerkschaft Nummer eins ist heute Verdi. Die kommunalen Arbeitgeber werfen der Dienstleistungsgewerkschaft und ihrem Vorsitzenden Frank Bsirske vor, den Arbeitskampf in den Kitas vor allem zu einem Zweck vom Zaun zu brechen: Mitglieder gewinnen. Für die These sprechen zwei Gründe: Seit der Verdi-Gründung hat die Gewerkschaft rund 800 000 Mitglieder verloren; heute gehören nur noch zwei Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu Verdi. Zum Anderen haben Arbeitskämpfe in den vergangenen Jahren neue Mitglieder gebracht. Deshalb gehört es zu Bsirskes Kalkül, mit der Großauseinandersetzung in den Kitas zusätzliche Beitragszahler zu bekommen. Zumal Bsirske im September auf dem Verdi-Bundeskongress zum fünften Mal gewählt werden will. Erfolgreiche Streiks und neue Mitglieder machen sich da gut.
Im vergangenen Jahr gab es 214 Tarifkonflikte mit Arbeitsniederlegungen
Fast 90 Prozent aller Arbeitskämpfe und gut 97 Prozent aller Ausfalltage waren nach Berechnungen der Böckler-Stiftung im vergangenen Jahr dem Dienstleistungssektor zuzuordnen. Insgesamt zählte die Stiftung 214 Tarifkonflikte mit Arbeitsniederlegungen, vier weniger als im Vorjahr. Von den 214 Streiks fanden gut 160 im Organisationsgebiet von Verdi statt. „Außerhalb des Dienstleistungsbereichs gab es erneut besonders viele, häufig kleinere Streiks in der von der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) organisierten Getränke- und Lebensmittelindustrie“, haben die Statistiker ermittelt. Zwar gab es 2014 im Vergleich zu 2013 einen leichten Rückgang, doch alles in allem gibt es seit rund zehn Jahren einen Anstieg der Arbeitskämpfe. Für Böckler-Wissenschaftler Heiner Dribbusch hängt das zusammen mit der „zunehmenden Zersplitterung der Tariflandschaft“. Outsourcing, wie zuletzt bei der Paketzustellung der Post, führe zu neuen Konflikten. Gleiches gilt für neue Marktteilnehmer wie Amazon, die bislang jeden Tarif ablehnen.
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