Unternehmensnachfolge: Der Nächste, bitte!
227.000 Unternehmer wollen bis 2020 ihre Firma an die nächste Generation abgeben. Doch die Nachfolger fehlen.
Wenn er seine Ruhe braucht, sperrt Peter Dorscheid einen Teil seines Ladens mit einer rotweißen Plastikkette ab. Hinter der sitzt er dann an seiner Werkbank und restauriert alte Plattenspieler, Radio- und Fernsehgeräte. Er lötet, schraubt und poliert, er baut Motoren ein und tauscht Stecker aus, bis selbst Modelle aus den dreißiger Jahren wieder laufen. Touristen, die ab und an in seinen Laden stolpern, fotografieren Dorscheid dann. Den Mann, der ein Handwerk beherrscht, das nahezu ausgestorben ist.
Für Dorscheid ist das ein Alleinstellungsmerkmal, aus ganz Deutschland bekommt er Aufträge. Kaum einer wisse heute noch, wie man solch alte Geräte repariert, sagt er. Aber genau das ist auch das Problem. Denn Dorscheid findet niemanden, der seinen Kreuzberger Laden samt Werkstatt übernehmen will. Mit 67 Jahren ist er längst im Rentenalter. Doch das Geschäft für immer zusperren, die Kunden im Stich lassen? „Kommt nicht infrage“, sagt er.
Weniger junge Menschen wollen eine Firma übernehmen
Wie Dorscheid geht es vielen Unternehmern. Sie haben sich vor Jahrzehnten selbstständig gemacht, einen erfolgreichen Betrieb aufgebaut. Doch nun, da sie in Rente gehen könnten, finden sie keinen Nachfolger. Allein bis Ende 2020 wollen in Deutschland 227.000 Unternehmer ihre Firma an die nächste Generation abgeben, zeigt eine Auswertung der KfW Bank. Das sind zwar in etwa so viele wie bei der Befragung im Vorjahr. Gleichzeitig geht aber die Zahl derer, die einen Betrieb übernehmen wollen, immer weiter zurück. Gerade einmal 57.000 Menschen sind zuletzt pro Jahr als Nachfolger bei einem Unternehmen eingestiegen. 2001 waren es noch doppelt so viele. Das heißt: Deutschland gehen die Nachwuchsunternehmer aus.
Dabei könnten sie in den meisten Fällen eine gut gehende Firma fortführen. Laut KfW machen 87 Prozent der Unternehmen, die derzeit einen Nachfolger suchen, Gewinne. Auch Dorscheid kann sich nicht beklagen, Aufträge hat er reichlich. Seinen halben Laden füllen Rollwagen, auf denen Geräte auf die Reparatur warten. An vielen kleben gelbe Zettel, auf denen er notiert hat, was gemacht werden muss und was die Ersatzteile kosten. Vieles kann er überhaupt nur reparieren, weil er über die Jahrzehnte einen Fundus aufgebaut hat. In fein säuberlich beschrifteten Schubladen bewahrt er Schalter für alte Röhrenfernseher auf, Riemen für Plattenspieler, Motoren, Kondensatoren – oft in zehnfacher, teils in hundertfacher Ausführung. Die Schaltpläne, ohne die sich viele Altgeräte gar nicht mehr reparieren ließen, füllen die Regale seiner Werkstatt bis unter die Decke. Ein kleiner Schatz, den er gerne an einen Nachfolger weiterreichen würde. Doch der ist nicht in Sicht.
Viele Unternehmer denken zu spät ans aufhören
So schließt Dorscheid weiter jeden Morgen seinen Laden auf, knipst die Lampe über seiner Werkbank an und legt los. Unterstützung bekommt er dabei einzig von seiner Lebensgefährtin, die ihm Telefonate abnimmt, die Geräte sauber hält und den Touristen als Andenken Streichholzschachteln mit dem Firmenlogo in die Hand drückt. Sie war es auch, die irgendwann zu ihm sagte: „Du weißt schon, dass du das nicht ewig machen kannst?“ Eine naheliegende Frage – doch Dorscheid hatte sich bis dahin darüber keine Gedanken gemacht.
Lieber Herr Dorscheid bleiben Sie uns noch lange erhalten! War einige Zeit nicht mehr bei Ihnen, aber das liegt an der Qualität Ihrer Reparaturen.
schreibt NutzerIn don.bolko
Gudrun Laufer überrascht das nicht. Bei der Berliner Handwerkskammer betreut sie regelmäßig Unternehmer, die wie Dorscheid einen Nachfolger suchen. „Viele der Firmenchefs, die zu mir kommen, sind schon über 70“, sagt Laufer. Sie haben sich schlicht viel zu spät mit der Frage auseinandergesetzt, was mit ihrem Geschäft passieren soll. Oder aber sie suchen schon lange nach einem Nachfolger – finden aber keinen.
Sowohl für den Einzelnen als auch für die Gesellschaft ist das ein Problem. „Viele Selbstständige haben keine vernünftige Altersvorsorge“, sagt Laufer. Sie haben sich darauf verlassen, dass sie mal einen entsprechend hohen Preis für ihren Betrieb erhalten. Bleibt die Suche nach einem Nachfolger dann erfolglos, müssen sie nicht nur ihr Lebenswerk auflösen – ihnen droht auch noch Altersarmut. Dazu kommt, dass an diesen Firmen Jobs hängen. Allein in Berlin brauchen in den nächsten vier Jahren 6200 Unternehmen einen Nachfolger, schätzt die Industrie- und Handelskammer. Diese Betriebe beschäftigen 82.000 Menschen.
Weniger Menschen wollen eine Firma führen
Ein Grund für diese missliche Lage lautet paradoxerweise: Es geht Deutschland zu gut. Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief. Die KfW schreibt von einer „Fülle attraktiver Beschäftigungsmöglichkeiten“, die sich jungen Menschen böten. Da sei der Druck nicht da, sich selbstständig zu machen. Warum den gut bezahlten Job kündigen und mit dem eigenen Betrieb ins Risiko gehen?
Auch die Kinder, die früher wie selbstverständlich im elterlichen Betrieb eingestiegen sind, wiegeln heute oft ab. „Immer seltener gibt es einen Nachfolger in der Familie“, bestätigt Laufer. Viele Kinder hätten gesehen, wie sehr sich ihre Eltern für den Betrieb aufgeopfert hätten, und könnten sich das selbst nicht vorstellen, meint sie. Besonders groß ist die Ablehnung dann, wenn die Söhne und Töchter studiert haben. Gerade einmal fünf Prozent der studierten Unternehmerkinder ziehen es in Erwägung, den elterlichen Betrieb fortzuführen.
Peter Dorscheid hat zwei Söhne, die beide wie er Handwerker geworden sind – der eine arbeitet als Fahrradtechniker, der andere als Restaurator. Seinen Laden aber will keiner der beiden übernehmen. Dorscheid sagt, er nehme ihnen das nicht übel. Im Gegenteil, er könne sie verstehen. Auch er wollte in jungen Jahren das Fotogeschäft der Mutter nicht fortführen, sondern lieber sein eigenes Ding machen. Den Laden musste seine Mutter schließlich aufgeben. Dorscheid könnte nun ein ähnliches Schicksal drohen. Zumal er auch keine Mitarbeiter hat, denen er den Betrieb übergeben könnte.
Eine Lösung lautet: einen Mitarbeiter zum Chef machen
Dabei ist das häufig für beide Seiten eine gute Lösung. Wenn Gudrun Laufer Firmen besucht, die einen Nachfolger brauchen, fragt sie meist als Erstes: Gibt es nicht einen Mitarbeiter, der sich den Chefposten zutraut? Am Ende kann es dann schon mal der Jüngste im Team sein, der die Firma rettet. So wie im Fall von Automobiles Françaises, einer Kfz-Werkstatt in Niederschöneweide im Südosten von Berlin.
Dort ist Sven Orzelski mit 31 Jahren vom Mitarbeiter zum Chef aufgestiegen, vom Angestellten zum Firmeninhaber. Dabei hatten seine Vorgesetzten ihn als Nachfolger zunächst gar nicht auf dem Schirm. Stattdessen gingen Christa Weltecke und Rolf Runtemund extern auf die Suche. Sie druckten Flyer, gestalteten ihre Website neu, trugen sich in die Nachfolgebörse der Handwerkskammer ein. Selbst Konkurrenten fragten sie, ob sie nicht Interesse hätten, die Kfz-Werkstatt und die sechs Mitarbeiter zu übernehmen. Ohne Erfolg. Bis Orzelski vorschlug, er könne die Firma doch fortführen.
Sieben Jahre war er zu dem Zeitpunkt bereits im Betrieb, direkt nach seiner Ausbildung zum Karosserie- und Fahrzeugmechaniker hat er dort angefangen. Eine lange Zeit, in der Orzelski immer wieder darüber nachgedacht hat, wie gerne er sich selbstständig machen würde. „Ich wollte schon immer mein eigener Chef sein“, sagt er. In seiner Freizeit hatte er sich deshalb bereits ein zweites Standbein aufgebaut: Per 3-D-Druck fertigte er Ersatzteile für Oldtimer und verkaufte sie – ganz offiziell mit Gewerbeschein. Die Chancen, davon langfristig leben zu können, schätzte er aber gering ein. Außerdem, sagt er, mag er die Arbeit in dem Kfz-Betrieb, in dem fast jeder Auftrag eine neue Herausforderung ist.
Eine Kfz-Werkstatt, die in der Nische erfolgreich ist
Denn repariert und restauriert werden hier französische Oldtimer. Spezialisiert hat sich der Betrieb auf den Citroën DS, der zwischen 1955 und 1975 gefertigt worden ist. Aber auch alte Peugeot- und Renault-Modelle landen hier. „Diese Wagen haben ein solch kompliziertes Fahrwerk, dass sich da eine normale Werkstatt nicht herantraut“, sagt Orzelski. In manchen Fällen gibt es nicht einmal mehr Ersatzteile. Da müssen er und seine Kollegen improvisieren. Entsprechend lange bleiben die Wagen bei ihnen in der Werkstatt. Auf einer der Hebebühnen steht derzeit ein alter Reisebus, ein Citroën U23. Vier Jahre arbeiten Orzelski und seine Mitarbeiter daran schon. Der Besitzer hat ihn in Frankreich erworben, wo er zu Werbezwecken zum Einsatz gekommen ist. Als sie in der Berliner Werkstatt dann die Folie abkratzten, kam darunter jede Menge Rost zum Vorschein. Auch brauchte der Bus neue Bremsen, der Motor musste neu verchromt werden, ein Tischler hat extra eine Innenverkleidung für den Kofferraum angefertigt. Wenn der Besitzer den Bus demnächst abholt, werden die Kosten für die Restauration bei 80.000 bis 90.000 Euro liegen.
Und dann kommt gleich der nächste Wagen auf die Bühne. Denn Orzelski hat eine lange Warteliste. Ein halbes Jahr Vorlaufzeit müssen seine Kunden bei ihm derzeit für aufwendigere Reparaturen einplanen. „Wir haben so viele Aufträge, dass wir gut noch zwei Vollzeitkräfte einstellen könnten“, sagt Orzelski. Doch so wie es an Nachfolgern mangelt, fehlt es an Fachkräften.
Der Senior hilft gerne aus
Ein halbes Jahr nach der Übergabe hat Orzelski es nicht bereut, den Betrieb übernommen zu haben – auch wenn er die Zeit, die er nun am Schreibtisch sitzt, unterschätzt hat. Dazu kommt, dass er parallel noch seinen Meister macht. Den bräuchte er nicht zwingend – er ist lang genug im Betrieb, um ihn als „Altgeselle“ zu führen. Trotzdem ist ihm der Meisterbrief wichtig. Abends und am Wochenende lernt er für die Prüfungen. Auch wegen dieser Doppelbelastung ist er froh, dass die früheren Inhaber regelmäßig vorbeischauen. Auf ihr Wissen will er nicht verzichten. Es sei schon vorgekommen, dass sie zu dritt vor einem Wagen gestanden und nicht mehr weitergewusst hätten, sagt Orzelski. Der Senior dagegen habe nur kurz draufgeschaut – schon sei ihm eingefallen, wie sie das in einem ähnlichen Fall vor 20 Jahren gelöst hätten.
Auch Christa Weltecke, die den Betrieb bis vor einem halben Jahr mit ihrem Mann geleitet hat, sitzt derzeit noch regelmäßig im Büro, um ihren letzten Jahresabschluss zu machen. „Es ist schön, nicht von heute auf morgen ganz raus zu sein“, sagt sie. Bei Orzelski habe sie ein gutes Gefühl. „Er kennt den Betrieb und bisher macht er das gut“, sagt Weltecke.
Wenn Interessenten abspringen
Solch ein Glück hatte Peter Dorscheid nicht. Dabei gab es bereits zwei Interessenten für seine Werkstatt für alte Radio- und Fernsehgeräte. Sie sind bei ihm „ins Praktikum“ gegangen, wie Dorscheid das nennt. Wann immer es zeitlich bei ihnen passte, haben sie sich von ihm erklären lassen, woran er gerade arbeitet. Hin und wieder kommen die zwei heute noch vorbei. Den Laden zu übernehmen, dazu konnten sie sich aber nicht durchringen. Der eine hat sich entschieden, doch lieber zu studieren. Dem anderen fehlt das fachliche Wissen: An alten Geräten herumzuschrauben, ist sein Hobby und soll es bleiben.
Aber Dorscheid gibt nicht auf. Er sucht weiter nach einem Nachfolger. Bis er den findet, will er seinen Laden fortführen. Wie lange? 20 Jahre, sagt er, ginge das schon noch. In 20 Jahren, da wird Dorscheid 87. Doch er sagt: „Solange ich löten kann, mach ich weiter.“