Junge Handwerker in Berlin und Brandenburg: "140 von 740 Stellen konnten nicht besetzt werden"
In Brandenburg steht dem Handwerk eine große Krise bevor. Der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Cottbus im Interview.
In den kommenden fünf Jahren steht in etwa 2000 Handwerksbetrieben in Südbrandenburg ein Generationswechsel an. Jeder fünfte Betrieb sucht einen Nachfolger – oft vergeblich. Der Tagesspiegel sprach mit dem Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Cottbus, Knut Deutscher.
Herr Deutscher, ist die Situation schwieriger als – sagen wir mal – vor zehn Jahren?
Ja, das ist sie. Es war zwar auch in den vergangenen Jahren zunehmend schwer, junge Menschen für das Handwerk zu begeistern. Die alte Tradition, dass die Kinder die Unternehmen weiterführen, ist längst passé. Und jetzt wird es dramatisch, weil es so viele Handwerksbetriebe betrifft. Deshalb hat die Handwerkskammer Cottbus kürzlich sogar eine „Aktionswoche Unternehmensnachfolge“ durchgeführt.
Ist die Situation in ganz Deutschland so oder nur in Südbrandenburg?
Sie ist in den meisten Regionen der ehemaligen DDR so, weil sich dort nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung sehr viele Menschen selbstständig gemacht haben. Die waren damals Mitte 30 oder Anfang 40, gehen also jetzt in den Ruhestand.
Hat Berlin eine ähnliche Situation?
Da betrifft es meines Wissens nur etwa zehn Prozent, also 3000 von insgesamt 30.000 Handwerksbetrieben.
Und warum finden sich keine Nachfolger?
Die eigenen Kinder haben oft hautnah erlebt, was ihre Eltern leisten mussten, besonders die Gründergeneration im Osten. Da gab es hohe Arbeitslosigkeit, wenig Kaufkraft, eine sterbende Industrie. Sich da zu behaupten, bedeutete – und zwar noch mehr als generell im Handwerk – viel Arbeit, wenig Urlaub, große Verantwortung für Angestellte. Das ist nun wirklich nicht die Vorstellung, die junge Menschen heutzutage vom Leben haben.
Gibt es Bereiche, die besonders betroffen sind?
Die meisten Nachfolger werden in den Branchen Elektro und Metall sowie Bau- und Ausbauhandwerk, aber auch im Bereich der Nahrungsmittel, also Bäcker, Fleischer und so weiter gesucht.
Der Bereich der Handwerkskammer reicht von Wildau bei Berlin bis Elsterwerda an der sächsischen Grenze. Herrschen da nicht sehr unterschiedliche Bedingungen?
Absolut. Das Berliner Umland hat eine ganz andere Wirtschaftskraft und natürlich direkten Zugriff auf den Berliner Markt – obwohl man morgens um sechs Uhr auch bereits auf der A13 zwischen Ortrand und Berlin unzählige Firmenwagen in Richtung Berlin fahren sieht. In Berlin gibt es auch eine ganz andere Nachfrage, da werden aber auch bessere Löhne gezahlt.
Wie sieht es denn generell im Bereich der Handwerkskammer Cottbus mit dem Nachwuchs aus?
Seit Längerem ähnlich bescheiden. In diesem Lehr- und Ausbildungsjahr konnten bei uns 140 von 740 Stellen nicht besetzt werden.
Liegt das auch an den (zu) niedrigeren Löhnen?
Maurer und Zimmerer beginnen mit einem Gehalt von 675 Euro im ersten Lehrjahr, das sich dann auf über 1000 Euro steigert. Das finde ich ganz ordentlich.
Stimmen die Klagen, wonach eine Vielzahl der Bewerber grundlegende Anforderungen an rechnerische oder andere fachliche Fähigkeiten beziehungsweise auch an Ordnung und Disziplin nicht erfüllen?
Unsere Handwerksmeister sagen ja, die Landesregierung sagt nein. Aber im Ernst – und um mal bei dem Beispiel von vorhin zu bleiben: Wenn die Mitarbeiter um sechs Uhr zu einem Kunden in Berlin aufbrechen, da kann man als Auszubildender nicht erst um 6.30 Uhr am vereinbarten Treffpunkt sein.
Könnten nicht zunehmend auch Flüchtlinge für die Handwerksberufe geworben werden?
Das versuchen wir. Flüchtlinge können in unseren Ausbildungsstätten die Berufsbilder kennenlernen. Allerdings müssen gerade im Handwerk die sprachlichen Voraussetzungen stimmen. Eine Arbeitsschutzbelehrung muss verstanden werden, schon aus Gründen der eigenen Sicherheit. Und da gibt es leider bei vielen jungen Geflüchteten noch Defizite.
Knut Deutscher ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Cottbus. Sie ist eine von drei Handwerkskammern im Bundesland Brandenburg.
Wer Interesse hat, in Südbrandenburg ein Unternehmen weiterzuführen, kann sich im Internet unter www.hwk-cottbus.de informieren oder sich telefonisch an die dortige Handwerkskammer wenden.