Ausländerfeindlichkeit: "Dass internationale Fachkräfte ungern nach Sachsen kommen, ist eine Tatsache"
Während der Demonstrationen in Chemnitz mussten einige ausländische Fachkräfte im Home-Office arbeiten. Dieses Klima schadet der Wirtschaft noch heute.
Als Rafaat (Name von der Redaktion geändert) nach Dresden kam, gingen jeden Montag Hunderte Pegida-Demonstranten auf die Straße. Der Araber hatte davon online erfahren. Rafaat ist selbst Muslim und befürchtete Ablehnung. Doch da er als Informatiker in einem Spezialgebiet arbeiten wollte, gab es wenige Arbeitsmöglichkeiten. Schon gar nicht in seiner Heimat. Eine Arbeitserlaubnis in Deutschland zu erhalten, erschien ihm einfacher als in den USA. Nach Dresden ging er dann mit einem Alternativplan im Kopf – vielleicht würde er nur ein Jahr bleiben und dann eine Stelle in den USA bekommen.
Andreas von Bismarck, Vorstandssprecher des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“, bestätigt Rafaats Einschätzung. „Dass auch internationale Fachkräfte ungern nach Sachsen kommen, ist keine Sorge mehr. Es ist eine Tatsache.“ Stellen könnten oft gar nicht oder nicht mit den Wunschkandidaten besetzt werden. Von Bismarck stützt sich auf Berichte von Mitgliedern seines Vereins, der 2016 im Zuge zunehmender Fremdenfeindlichkeit gegründet wurde. Heute gehören dem Verein 70 meist mittelständische Unternehmen aus allen Branchen und Regionen an.
Bewerber hätten Bedenken, dass sie und ihre Familien nicht willkommen sein könnten. Manche sorgten sich, ihre Kinder in Sachsen zur Schule zu schicken. Der Verein erhalte auch Zuschriften von Personen, die wegen ihrer Bedenken einen Job in Sachsen abgelehnt haben. Die Betroffenen sind dabei nicht unbedingt aus dem Ausland. Auch Deutsche aus anderen Bundesländern mit Migrationshintergrund gehören dazu.
16 Prozent weniger Erwerbstätige bis 2030
Fachkräfte fehlen überall. Von den Chemnitzer IHK-Unternehmen klagen etwa 58 Prozent über Einschränkungen durch den Fachkräftemangel. Einer aktuellen Konjunkturumfrage zufolge geben sieben von zehn IT-Unternehmen an, dass sie der Mangel behindere. Die Bundesagentur für Arbeit stellt in einer Analyse vom Juni in vielen Branchen Engpässe fest – bei sozialen Dienstleistungen und in technischen Berufen vor allem.
Ursächlich dafür ist der demografische Wandel. Bis 2030 soll es zwischen zehn und 16 Prozent weniger Erwerbstätige geben. Derzeit liegt der Durchschnittslohn in Sachsen noch 22 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Das trägt auch nicht gerade zur Attraktivität des sächsischen Arbeitsmarktes bei. Zudem suchen Unternehmen verstärkt Fachkräfte mit Spezialisierungen. „Wir brauchen dringend Fachkräfte, egal woher“, sagt von Bismarck.
Der Vereinsvorstand steht mit seinen Beobachtungen nicht allein. Bei der Chemnitzer Industrie- und Handelskammer (IHK) heißt es, ihre Mitgliedsunternehmen hätten während der Ausschreitungen rechtsextremer Gruppen vor einem Jahr vereinzelt Vorbehalte bei internationalen Bewerbern wahrgenommen. Die stellvertretende Vorsitzende des DGB in Sachsen, Anne Neuendorf, ist regelmäßig in Kontakt mit Arbeitgebern. „Sämtliche Unternehmen haben sehr deutlich gemacht, dass es hier ein Problem gibt“, sagte sie dem Tagesspiegel.
Bosch, BASF, Amazon oder Lovoo betonen Weltoffenheit
Handlungsbedarf sieht der Halbleiterhersteller Globalfoundries, mit etwa 3200 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in Dresden. Das Unternehmen ruft dazu auf, sich bei der Landtagswahl für Kandidaten und Parteien zu entscheiden, die mit „Mut, Visionen und Werten in die Zukunft führen wollen“. Mit dem Statement wolle man ein klares Zeichen setzen. „Wir sehen durchaus Probleme, die die Attraktivität Sachsens mindern. Deshalb werden wir aktiv“, sagt Unternehmenssprecher Jens Drews.
Ähnlich sieht das der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bei Volkswagen Sachsen, Jens Rothe. VW Sachsen ist vor Kurzem dem Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ beigetreten. Seit ein paar Jahren hätten vor allem Fachkräfte mit einem Migrationshintergrund Vorbehalte, in die Region zu kommen. „Manche Mitarbeiter lassen ihre Familien aus Sorge am alten Standort zurück“, erzählt Rothe. Generell nehme er auch immer mehr Vorbehalte gegenüber andersaussehenden oder andersdenkenden Menschen in der Belegschaft wahr. Obwohl das Unternehmen internationaler denn je sei. „Hier hilft es nur, aufzuklären und miteinander zu reden“, sagt der Betriebsratschef.
Der Verein „Wirtschaft für eine weltoffenes Sachsen“ empfiehlt seinen Mitgliedsunternehmen, neuen Mitarbeitern einen Mentor aus der Belegschaft an die Seite zu stellen. Zudem bietet der Verein Workshops für Firmen an, die sich mit Fremdenfeindlichkeit befassen.
Konzerne wie Bosch, BASF, Amazon Web Services und die Datingplattform Lovoo, die in Sachsen Standorte unterhalten, betonen ihre Weltoffenheit. Sebastian Matkey von Lovoo zufolge nimmt das Unternehmen keinerlei Bedenken bei internationalen Bewerbern wahr. Lovoo beschäftigt in Dresden Mitarbeiter aus 25 Nationen. Das Chemnitzer Start-up Staffbase entwickelt Apps zur internen Kommunikation in Unternehmen. „Der Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte ist sehr angespannt. Für unsere sächsischen Standorte konnten wir trotzdem in den vergangenen Monaten erfolgreich Mitarbeiter aus Deutschland und dem Ausland anwerben“, sagt Martin Böhringer von Staffbase.
Home-Office während der Chemnitz-Ausschreitungen
Während der Ereignisse im August letzten Jahres in Chemnitz habe das Unternehmen kurzfristig auf die Sorgen der Mitarbeiter reagiert und beispielsweise Taxifahrten nach Hause übernommen sowie Homeoffice angeboten. Seiner Meinung nach habe sich aber gezeigt, dass die anfänglichen Sorgen unbegründet waren. Wer erst einmal in Sachsen gelandet sei, der fühle sich auch wohl. Ein großer Pluspunkt im Freistaat sind in seinen Augen günstige Wohnungen, verfügbare Kindergartenplätze und gute Schulen. So führt Sachsen den Bildungsmonitor des Instituts der Deutschen Wirtschaft an.
Sächsische Hochschulen schlagen bislang keinen Alarm, die Zahl der Studierenden aus dem Ausland hat an der TU Dresden, der TU Chemnitz und der TU Bergakademie Freiberg in den vergangenen Jahren zugenommen. Die TU Chemnitz, wo es besonders viele ausländische Studenten gibt, hilft den „Neuen“ sehr erfolgreich mit Paten: Beim International Student Barometer 2018/19 bewerteten die Studierenden das Chemnitzer Programm unter 200 Hochschulen weltweit am besten. Ein Großteil möchte nach einem Studium in Sachsen auch dort arbeiten, so Anke Wagner von der Vermittlungsplattform „Scientists to Business“. Doch oft fehle schlicht der Kontakt zu den ansässigen Unternehmen.
Kretschmer betont die Bedeutung ausländischer Fachkräfte
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer hat die Problematik ebenfalls erkannt. In der "Welt am Sonntag" hat der CDU-Politiker die Bedeutung der Zuwanderung ausländischer Fachkräfte für Sachsen betont. „Die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland hat sich in den vergangenen 5 bis 10 Jahren dramatisch verbessert. Wir brauchen beispielsweise jetzt in allen Regionen in Sachsen Fachkräftezuwanderung aus dem Ausland, so gut geht es der Wirtschaft.“
Deshalb sei es jetzt wichtig, in Ostdeutschland und in Sachsen ein positives, offenes Klima zu haben. „In Ostdeutschland dürfen keine Extremisten das Kommando übernehmen und auch keine Politiker, die sagen wir bräuchten keine Fachkräfte-Zuwanderung“, sagte Kretschmer. „Sachsen ist ein fröhliches, weltoffenes Land, aber das muss es auch bleiben.“ Er sprach sich dafür aus, die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu vereinfachen und mehr Unterstützung bei Deutschkursen zu leisten.
Rafaat lebt inzwischen einige Jahre in Dresden. Bis heute frustriert es ihn, wenn ihn insbesondere ältere Fahrgäste in der Straßenbahn anstarren oder Passanten ihn oder seine Familie im Vorbeigehen beleidigen. Er nennt das „höflichen Rassismus“. Rafaat kann kaum Deutsch, bekommt die Beleidigungen nur über Freunde mit.
Einmal wollte sich in der Bahn ein betrunkener Mann auf ihn stürzen. Insgesamt sei die Situation dennoch weniger schlimm, als er zunächst befürchtet hatte. Am meisten störe ihn, dass in Dresden viele kein Englisch können. Deshalb hat er seinen Alternativplan, in die USA zu ziehen, noch nicht ganz aufgegeben.
Lisa Oder, Anna Parrisius