Ausschreitungen in Chemnitz: Ingenieure aus dem Ausland wollen nicht nach Sachsen
Immer mehr Unternehmen sorgen sich in Sachsen vor einem geringerem Ansehen in der Welt - und weniger Fachkräften, die sie brauchen.
Sogar im fernen Neuseeland ist sein Sohn auf die rechten Ausschreitungen mit hoch gestrecktem Hitlergruß in Chemnitz angesprochen worden. „Der Imageschaden für die Stadt und die Region ist immens“, sagt Hans-Joachim Wunderlich, Hauptgeschäftsführer der IHK Chemnitz. Und nicht nur das. „Das Bild, das jetzt von unserer Stadt weltweit gezeichnet wird, droht auch unsere Anwerbeversuche von Arbeitskräften im In- und Ausland zunichte zu machen.“
Chemnitz ist die drittgrößte Stadt Sachsens hinter Leipzig und Dresden. Die Arbeitslosenquote liegt derzeit bei 7,3 Prozent, den Menschen sei es wirtschaftlich nie besser gegangen. 65 Prozent der Betriebe schätzen ihre Lage dort „ausnehmend gut“ ein. Es gebe, so Wunderlich, 5000 offene Stellen in der Stadt, die Betriebe bräuchten Menschen, die in Chemnitz arbeiten und leben wollen. „Aber mit dem weltweiten Image, dass Neonazis die Stadt als Aufmarschgebiet missbrauchen und Menschen mit Migrationshintergrund bedrohen, wird dies schwierig.“ Es habe sogar schon Anrufe von Jobsuchenden bei Firmen gegeben, die gefragt hätten, ob man überhaupt noch dorthin kommen könne. Dabei gehe es aber nicht darum, „ob Deutsche Angst vor Ausländern haben müssten“, sagt Wunderlich. „Es geht darum, ob Deutsche in Chemnitz Angst vor Deutschen haben müssen.“
Das Image "Made in Germany" leidet
In Sachsen melden sich immer mehr Unternehmer und Verbandspräsidenten zu Wort. Zum einen beklagen sie ihr beflecktes Ansehen in der Welt, in der es Chemnitz auf die Titelseite der New York Times geschafft hat. Was sollen Geschäftspartner, Kunden und Investoren über „Made in Germany“ denken? Zum anderen sprechen sie über die Not, Fachkräfte anzuwerben, was ohnehin nicht leicht sei. Siemens-Chef Joe Kaeser, der selbst schon wegen seiner Kritik an der AFD bedroht wurde, meint: „Wir haben über 378 000 Kollegen weltweit und fast 130 000 in Deutschland. Alle diese Mitarbeiter müssen sich wohlfühlen, egal welcher Herkunft sie sind.“ Zudem würden deutsche Firmen nicht nur ihre Produkte exportieren, sondern auch Werte. „Wir tragen eine besondere Verantwortung wegen unserer Geschichte, das dürfen wir nicht vergessen“, meinte er.
Ähnlich äußert sich Uwe Hück, Betriebsratsvorsitzender bei Porsche. Der Autobauer hat zwei Werke in Sachsen – in Leipzig und Schwarzenberg. Das Unternehmen lebe von Vielfalt, erklärt Hück. „Respekt bedeutet Achtung vor jedem Menschen – egal wo er herkommt, welche Farbe seine Haut hat, was er arbeitet, ob er arm oder reich ist“, sagt er. „Was zählt, ist der Mensch. Wir dürfen Fremdenfeindlichkeit nicht akzeptieren.“
Weitaus drastischer klingt es beim Chiphersteller Globalfoundries, der in Dresden rund 3200 Mitarbeiter aus 50 Ländern beschäftigt. Es sei derzeit nicht so einfach, einen Ingenieur aus dem Ausland davon zu überzeugen, nach Sachsen zu ziehen und seine Familie mitzubringen. „Wir müssen ihm erklären, dass die Region Dresden sicher ist, dass Kinder alleine zur Schule gehen können und man durch das Tragen eines Kopftuches nicht ausgegrenzt wird“, sagte Standort-Sprecher Jens Drews dem Handelsblatt.
Verein wegen Fremdenfeindlichkeit gegründet
Was wirtschaftliche Folgen betrifft, meint der Ökonom Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden: „Kurzfristig schadet das zwar nicht unbedingt, aber mittelfristig kann sich der Eindruck verfestigen, dass Ausländer, denen man das ansieht, hier in Sachsen nicht erwünscht sind.“ Wobei er aber betont, nicht zu glauben, dass die Mehrheit der Menschen in dem Bundesland so denkt.
„Wir sorgen uns seit zwei Jahren um den Ruf des Freistaates Sachsen“, sagt indes Andreas von Bismarck. Das allein war das Motiv, den Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ zu gründen, für den er spricht. „Für die Sicherung des Wohlstandes in Sachsen ist sowohl die Offenheit gegenüber ausländischen Fachkräften als auch das Bekenntnis zur Internationalität existenziell.“ Die Deutsche Bank und etliche Mittelständler finanzieren derweil die Anzeigenkampagne „Chemnitz ist weder grau noch braun“.
Studien, die all diese Äußerungen untermauern, gibt es kaum. Kai Bussmann, Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Halle, hat 2004 die bisher einzige quantitative Studie zu den ökonomischen Auswirkungen von Fremdenfeindlichkeit verfasst. 600 deutsche Unternehmen wurden anonym befragt. Bei fast einem Drittel der Firmen war Fremdenfeindlichkeit Thema in Bewerbungsgesprächen, im Osten bei 40 Prozent. Zudem bekamen ostdeutsche Betriebe deswegen sechsmal mehr Absagen als Firmen im Westen.
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