Gas und Energiewende: Das blaue Gold
Gas könnte die Energiewende retten. Dafür muss viel investiert werden.
Kohleausstieg, Netzausbau und Windstromerzeugung bestimmen die aktuelle Energiediskussion. Weniger Beachtung findet dagegen, wie wichtig Erdgas für die Energieversorgung Deutschlands jetzt und in den nächsten Jahren sein soll.
Gewerbe und Industrie nutzen Erdgas zur Strom- und Wärmeproduktion oder als Grundstoff für Düngemittel und Chemikalien. Die Energiewirtschaft erzeugt damit Strom und Wärme. Haushalte verwenden es zum Heizen oder Kochen, als Kraftstoff treibt es Autos und Lastwagen an. Und das mit steigender Tendenz: Nach Schätzungen des Energieverbandes BDEW verbrauchten die Deutschen 2017 rund 985 Milliarden Kilowattstunden Erdgas – deutlich mehr als im Schnitt der vergangenen zehn Jahre.
Von elementarer Bedeutung ist Erdgas für die Wärmeversorgung. Fast die Hälfte aller gut 40 Millionen Wohnungen in Deutschland wird damit beheizt. Nicht nur für die Wärmeversorgung wurde im vergangenen Jahr mehr Erdgas eingesetzt, auch in der Stromerzeugung legte der Verbrauch zu. Gaskraftwerke lieferten 2017 rund 13 Prozent des insgesamt in Deutschland erzeugten Stroms. Auch das ist mehr als in den Jahren davor, als die Quote teils unter zehn Prozent lag.
Erdgas ist ein fossiler Energieträger
So erfreulich der Verbrauchszuwachs für die Gasversorger ist, so bedenklich ist er aus Klimaschutzsicht. Denn auch Erdgas ist ein fossiler Energieträger. Er verursacht zwar pro erzeugter Einheit Strom oder Wärme nur etwa halb so viel CO2 wie Kohle und deutlich weniger als Öl. Auch das ist eigentlich noch zu viel, wenn die Treibhausgasemissionen in den nächsten Jahren drastisch reduziert werden sollen. Für den Wärmemarkt, aus dem etwa ein Drittel des CO2-Ausstoßes stammt, bleibt Gas aber bis mindestens 2040 der im Vergleich kostengünstigste CO2-Sparer, wie eine von Gasversorgern in Auftrag gegebene Studie der Unternehmensberatung Enervis zeigt.
Moderne Brennwertkessel, Brennstoffzellenheizungen und Blockheizkraftwerke könnten zudem mehr Effizienz in die Wärmeversorgung bringen und den Treibhausgasausstoß reduzieren. Nach BDEW-Auswertungen entsprechen von den etwa 21 Millionen Heizsystemen in deutschen Wohnhäusern drei Viertel nicht dem Stand der Technik und belasten dadurch das Klima mehr als nötig.
Allein durch Austausch veralteter Heiztechnik gegen moderne Gas-Brennwertkessel könnte der CO2-Ausstoß der Wärmeversorgung rasch und bezahlbar um mehr als 30 Millionen Tonnen reduziert werden. Das entspräche knapp zwei Dritteln der für den Gebäudebereich im Klimaschutzplan für 2030 vorgesehenen Minderung um 47 Millionen Tonnen. Zur Verringerung der Emissionen könnte auch beitragen, alte Ölheizungen durch moderne Gas-Brennwertkessel zu ersetzen: Allein in Berlin gibt es noch 70 000 Ölheizungen.
Synthetisches Gas könnte Erdgas verdrängen
Die Modernisierung und Effizienzsteigerung ist jedoch nur der erste Teil der von Unternehmen der Gasbranche im vergangenen Jahr entwickelten Klimaschutzstrategie unter der Überschrift „Gas kann grün“. Vorgesehen ist außerdem, zunehmend erneuerbare Gase zu nutzen. Das wäre zum einen Biomethan, das schon heute als vollwertiger Ersatz zum Einsatz kommt. Hinzukommen soll synthetisches Gas, das aus erneuerbarem Strom gewonnen wird und fossiles Erdgas verdrängen könnte. Das Herstellungsverfahren, für das sich der Fachbegriff Power-to-Gas durchgesetzt hat, wurde in den vergangenen Jahren so weit entwickelt und getestet, dass es technisch gesehen einsatzfähig ist – wirtschaftlich ist es aber noch nicht so weit.
Bei Power-to-Gas wird mit regenerativem Strom ein Elektrolyseur betrieben, der aus Wasser Wasserstoff erzeugt. Dieses Gas kann als Energiequelle eingesetzt oder zu Flüssiggas veredelt werden. Wasserstoff und synthetisches Methan können mit Erdgas transportiert und genauso zum Heizen, zur Stromproduktion oder auch als Kraftstoff genutzt werden.
Vieles hängt von der künftigen Bundesregierung ab
Interessant ist Power-to-Gas aber vor allem deshalb, weil es eine Möglichkeit schafft, große Mengen erneuerbaren Stroms auch langfristig zu speichern. Große Stromspeicher sind nötig, um so genannte Dunkelflauten mit wenig Wind und Sonne überbrücken und Überschüsse aus produktionsstarken Phasen später nutzen zu können. Das Erdgasnetz und die etwa 50 unterirdischen Gasspeicher könnten durch Power-to-Gas zur Großbatterie der Energiewende werden.
„Power-to-Gas ist der kostengünstigste Langfristspeicher für Strom“, sagt Michael Sterner, Professor für Energiespeicher an der Ostbayerischen Technischen Hochschule, „ohne das Verfahren wäre ein treibhausgasneutrales Energiesystem nicht zu schaffen.“ Das zeigte Ende 2017 auch eine Studie der Unternehmensberatung Enervis für den Bundesverband Windenergie und die Initiative Erdgasspeicher. Setze man dagegen erneuerbare und synthetische Gase ergänzend zum regenerativen Strom ein und nutze dafür die Erdgasinfrastruktur, sei die Dekarbonisierung der Energieversorgung kostengünstiger zu erreichen als durch vollständige Elektrifizierung. Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften spricht sich ebenso für Power-to-Gas aus wie der Industrieverband BDI und die Deutsche Energieagentur.
Ob Deutschland die Klimaschutzpotenziale des Erdgases und der Gasinfrastruktur nutzt, hängt stark davon ab, wie die künftige Bundesregierung die Weichen stellt. Es wird darauf ankommen, ob die Förderpolitik stärker am CO2-Ausstoß ausgerichtet wird, ob es mehr finanzielle Förderung der Heizungssanierung und der Weiterentwicklung von Power-to-Gas geben wird – und ob der Kohleausstieg vorankommt. Das würde dem Erdgas auch bei der Stromerzeugung zum Durchbruch verhelfen.
Der Autor schreibt für das unabhängige Fachmedium "Energie & Management".
Peter Focht