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Im Berliner Regierungsviertel sind viele Gebäude mit Photovoltaikanlagen ausgestattet – wie hier das Jakob-Kaiser-Haus.
© Paul Langrock/Zenit

Zukunft der Energie: Wie weit sind wir mit der Energiewende?

Deutschland hat seinen Vorsprung verspielt. Die Probleme stapeln sich. Zeit für den Neustart des Großprojekts.

Zu Anfang ein kleines Gedankenexperiment: Wie weit sind wir mit der Energiewende? Ziemlich weit und ziemlich fortschrittlich, dürfte die Antwort von vielen Deutschen lauten. Eine Autobahnfahrt reicht schließlich aus, um mit eigenen Augen die vielen neuen Wind- und Solarparks zu sehen. Tatsächlich gibt es nur wenige Länder, die den Ausbau erneuerbarer Energie so entschlossen vorangetrieben haben wie Deutschland. Und zwar über Jahrzehnte hinweg und mit enorm hohen Kosten für die Verbraucher, wohlgemerkt.

Das Resultat: 36 Prozent des verbrauchten Stroms kam 2017 aus grünen Anlagen. Das ist eine Menge für ein Land ohne viel Wasserkraft. Deutschland war auch der Pionier der weltweiten Solar- und Windkraftindustrie. Das bleibt ein historischer Verdienst.

Die Sache hat bloß einen Haken: Die Erfolge liegen in der Vergangenheit. Heute steckt die Energiewende in der Krise und erinnert an andere ehrgeizige Projekte, die aus dem Lot geraten sind. Eine Art Stuttgart 21 und Flughafen BER, nur im Großformat und auf das ganze Land verteilt. Es fühlt sich zwar nicht so an, doch die Statistiken sprechen für sich. Seit 2009 gelingt es nicht mehr, die Treibhausgasemissionen zu senken: Sie stagnieren bei rund 900 Millionen Tonnen pro Jahr. Das von Bundeskanzlerin Angela Merkel und jeder ihrer Regierungen verfolgte Ziel, die Emissionen bis 2020 auf 750 Millionen Tonnen zu reduzieren ist längst in weiter Ferne. Nur die Grünen träumen noch davon, es zu schaffen.

In den Bereichen Verkehr und Gebäude hat sich wenig getan

Es kommt noch schlimmer. Anfang des Jahres wurde bekannt, dass Deutschland auch die weniger ambitionierte europäische Vorgabe für 2020 nicht einhalten wird. Die Peinlichkeit wird zur Blamage, wenn man feststellt, dass andere nordeuropäische, ebenfalls sehr wohlhabende Länder wie Dänemark, Schweden, die Niederlande und Großbritannien das Ziel locker erreichen.

Natürlich, die starke Wirtschaft und die wachsende Bevölkerung haben es nicht leichter gemacht, die Emissionen zu senken. Die Bilanz wäre aber so oder so schlecht ausgefallen. Das hat, grob eingeteilt, zwei Ursachen. Erstens, dass die Treibhausgasemissionen aus deutschen Kraftwerken insgesamt nicht so stark gesunken sind wie erhofft. Auch wenn es der Umweltbewegung schwerfällt, das einzugestehen: Das Abschalten zahlreicher älterer Kernkraftwerke und der Komplettausstieg aus der ungeliebten Atomkraft hat dazu beigetragen. Vor allem aber sind die meisten Kohlekraftwerke noch am Netz. Zeitweise liefert allein die Braunkohle rund ein Drittel des Stroms. Das ist zu viel für das Klima.

Zweitens: In den Bereichen Verkehr und Gebäude, die jeweils etwa ein Drittel der deutschen Emissionen ausmachen, hat sich wenig bis gar nichts getan. Ein Beispiel, wie es geht, sind die Niederlande, wo große Autos besonders hoch besteuert werden und so der Verkehr deutlich sauberer geworden ist. Die Fahrt über die deutsche Autobahn mit den SUVs auf der Überholspur zeigt eben auch, woran es hierzulande hakt. Oder Dänemark, wo neue Öl- und Gasheizungen nicht mehr eingebaut werden dürfen und stattdessen auf lokale Wärmenetze gesetzt wird. Klar, das kostet und tut weh. Aber die Energiewende fällt aus, wenn an allen alten Gewohnheiten starr festgehalten wird. Dafür ist Deutschland inzwischen ein ziemlich gutes Beispiel.

Grüne Großkraftwerke kommen ohne Subventionen aus

Die neue Bundesregierung – lassen wir Mutmaßungen über die finale Konstellation einmal außen vor – hat natürlich die Aufgabe, die Energiewende wieder auf den richtigen Pfad zu bringen. Richtig, das heißt effizient, also möglichst viel möglichst günstig zu erreichen. Fehler, wie vor zehn Jahren die Solarenergie extrem rasch auszubauen, als sie noch sehr teuer war, dürfen sich nicht wiederholen.

Die gute Nachricht lautet, dass die Zahl der Optionen für die Politik in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Die Kosten für neue Windkraftwerke, vor allem aber für Photovoltaikanlagen, sind in den vergangenen Jahren viel schneller gefallen, als von fast allen Experten vorausgesagt. Die Installationen übertreffen deshalb ebenfalls alle Erwartungen. Und das wiederum sorgt dafür, dass sich die Finanzierung weiterer Kostensenkungen auf sehr viele Schultern verteilt.

Eine Aufwärts-Spirale ist in Gang. Hierzulande gab es vergangenes Jahr erstmals den Fall, dass grüne Großkraftwerke ohne Subventionen auskommen. Mitte der 2020er Jahre sollen mehrere deutsche Windparks auf hoher See ohne staatliche Hilfe auskommen (nur die Stromkabel müssen allerdings die Verbraucher bezahlen). Und auch bei der staatlich unterstützten Stromwende gibt es Fortschritte. Die Umstellung auf Ausschreibungen statt fixe Vergütungen für Grünstrom hat die Kosten noch einmal deutlich gesenkt. Das war eine der besseren Ideen der Politik zur Energiewende in den vergangenen Jahren.

Eon, EnBW und Vattenfall richten sich neu aus

Die dezentrale Energieerzeugung kommt ohnehin ganz gut voran. Solaranlagen werden inzwischen fast ausschließlich dort installiert, wo der Strom auch verbraucht oder gespeichert wird. Das lohnt sich im Augenblick zwar nur, weil man bei Bedarf zwar auf das Stromnetz zugreifen kann, es aber nicht mehr voll mitbezahlt. Dennoch: Die Dynamik ist enorm. Auch im Verkehr und bei der Gebäudeversorgung tun sich neue Optionen auf, die vor ein paar Jahren noch weit weg schienen. Die deutschen Autobauer reagieren endlich kraftvoll auf den Druck durch E-Auto-Pioniere wie Tesla und chinesische Massenhersteller wie Geely. Jeder vierte Wagen, der bei Volkswagen aus der Fabrik rollt, soll in einigen Jahren einen Elektrontrieb haben. Die Heizung wird digital, der Stromzähler ebenso.

Die Kombination und Verschränkung verschiedener Energieströme machen es möglich, die Schwankungen bei Wind- und Sonnenenergie auszugleichen. Diese neue Welt besteht ebenso aus Bits und Bytes wie aus Kilowattstunden und Kraftwerkskesseln.

Überhaupt, die Unternehmen: Eine Zeit lang schien es so, als würden zumindest die großen Player die Energiewende blockieren. Auch diesen Eindruck muss man inzwischen revidieren. Eon, EnBW und Vattenfall, drei der vier alten Energieriesen und Atomkonzerne, haben sich neu ausgerichtet, investieren in neue Technologien und haben mit fossiler Energiegewinnung nicht mehr viel am Hut. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), einst verlässlich energiewendeskeptisch, hat sich jüngst der großen Transformation verschrieben und behauptet, damit sogar die Wirtschaftskraft des Landes steigern zu können.

Statt unklarer Spielregeln braucht es systematische Ordnung

Was es dafür aber aus der Politik braucht, ist eine neue Ordnung für unser Energiesystem, eine grundsätzliche Systematik. Denn es herrscht ein Durcheinander bei den Spielregeln der Energiewende. Natürlich, die Sehnsucht nach Einfachheit und Klarheit wird sich nie ganz erfüllen lassen. Doch dass die vielen Regeln, Steuern, Fördermittel, Ausnahmetatbestände die Energiewende eher lähmen als beflügeln, bestreitet kaum ein Experte, egal welcher Couleur. Klare Regeln und Anreize wären ein wichtiger Anfang: zum Beispiel ein eindeutiger Preis für Treibhausgas-Emissionen über alle Branchen hinweg und dafür die Reduzierung von Subventionen. Auch, wenn das bedeuten würde, dass Lobbyisten und die Vertreter von Spezialinteressen sowohl aus der alten als auch der neuen Energiewelt quengeln würden.

Aber auch jeder Bürger muss sich darauf einstellen, dass sich etwas ändern wird. Mit dem Bezahlen der steigenden Stromrechnung wie bislang wird es in Zukunft nicht mehr getan sein. Vielleicht werden große Autos teurer, vielleicht kann man seine alte Ölheizung nicht mehr einfach durch eine neuere ersetzen. Man muss hinnehmen, dass trotz Datenschutzbedenken ein digitaler Stromzähler installiert wird – kann sich aber dafür auf jede Menge Neuerungen und Bequemlichkeiten freuen. Viele davon machen sogar Spaß. Wer schon mal im Elektroauto das Gaspedal durchgedrückt und auf den ersten Metern einen Porsche abgehängt hat, weiß, was damit gemeint ist.

Von der Erfolgsgeschichte zum Großprojekt in Not – und wieder zurück: Das wäre der Energiewende zu wünschen. Die kommenden Jahre entscheiden, ob das gelingt.

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