11,6 Milliarden Euro investiert: Chinesische Investoren übernehmen so viele deutsche Firmen wie nie zuvor
Von Januar bis Ende Oktober haben chinesische Firmen 22 mal so viel Geld in deutsche Unternehmen investiert wie im Gesamtjahr 2015. Der Trend wird ganz unterschiedlich bewertet
Kuka, Kraussmaffei, die Osram-Sparte Ledvance: Es sind nicht die bekanntesten Namen der deutschen Industrie, die auf der diesjährigen Einkaufsliste chinesischer Investoren auftauchen, dahinter verbergen sich aber einige der strategisch wertvollsten Unternehmen. Die Zeiten, in denen China sich hierzulande insolvente Motorradwerke abbaute, um sie für die billige Massenfertigung daheim neu aufzubauen sind vorbei. Nach einer aktualisierten Auswertung des Beratungsunternehmens EY haben Investoren aus China und Hongkong von Januar bis Ende Oktober 11,7 Milliarden Euro für die Übernahmen deutscher Firmen ausgegeben, das ist 22 mal so viel wie ein Jahr zuvor.
Einige Summen sind in die Statistik noch gar nicht enthalten. So ist zum Beispiel nicht bekannt, wie viel die chinesische Unternehmerfamilie Deng den Berliner Gebrüdern Schweitzer für den Einstieg bei ihrem Recycling-Konzern Alba zahlen. Auch der erst am Dienstag bekanntgewordene Teilverkauf des Berliner Navigationsspezialisten Here nach China steckt nicht drin. Der Trend ist aber klar. „Chinesische Unternehmen blicken auf ihrer Suche nach Akquisitionen bereits seit geraumer Zeit intensiv auf Europa und insbesondere auf Deutschland“, erklärt EY-Partner Alexander Kron.
Erklärungsversuche: Private Equity sucht Anlageziele
Im Jahr 2016 zwei Entwicklungen hinzugekommen, die das Interesse sprunghaft ansteigen ließen. „In Europa beziehungsweise Deutschland wollen sich derzeit viele Private-Equity-Gesellschaften von Beteiligungen trennen und stoßen bei chinesischen Investoren auf großes Interesse. Denn die suchen wiederum verstärkt nach Übernahmezielen in anderen Ländern, da das Wachstum auf dem Heimatmarkt nachlässt.“
„Die Übernahmen durch chinesische Investoren haben in den vergangenen Jahren stetig zugenommen“, sagt Kai Lucks, Fachmann für Firmenübernahmen und Vorsitzender des Bundesverbands Mergers & Acquisitions. „Dagegen gibt es in China nur wenige Übernahmen durch deutsche Firmen. Die Situation ist asymmetrisch.“ Dabei hätten auch Deutsche großes Interesse an chinesischen Firmen, meint der frühere Siemens-Manager. „Durch eine Übernahme gewinnt man eine Vertriebsplattform, Management und Mitarbeiter.“ Oft gebe es „schwer nachvollziehbare Ad-hoc-Verbote oder Gegenwind, deutsche Unternehmen werden dadurch bei Übernahmen in China behindert“, sagt Lucks. „Die Politik sollte auf Symmetrie achten.“
In Berlin ist man ambivalent
Im Bundeswirtschaftsministerium sieht man auch diese Entwicklung ambivalent: „Wir haben eine sehr offene Volkswirtschaft und begrüßen grundsätzlich das Engagement ausländischer Unternehmen in Deutschland“, sagte ein Ministeriumssprecher am Dienstag. „Unsere Unternehmen sind aber mit der Frage konfrontiert, dass sie im Wettbewerb mit Ländern stehen, die selbst nicht so offen sind. Wir wollen keinen Protektionismus, aber faire Wettbewerbsbedingungen.“ Daher prüfe man derzeit „einen Gesamtansatz, der auch die europäische Ebene einbezieht“.
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich auf seiner China-Reise Anfang November noch Ärger eingehandelt, da er bei einigen Übernahmen dazwischengefunkt hatte. Unter anderem vereitelte Gabriel – auch auf Druck der US-Regierung, die den Verrat von Knowhow aus der Rüstungsindustrie fürchtete – den Verkauf des Maschinenbauunternehmens Aixtron. (Lesen Sie hier einen Kommentar zu den damaligen Reaktionen aus Peking). Im Ministerium gehe man davon aus, dass es auch auf nationaler Ebene in engen europarechtlichen Grenzen geeignete Ansatzpunkte gibt, um künftig bei Investitionen noch differenzierter prüfen zu können. Dazu wurde ein Eckpunktepapier mit möglichen Maßnahmen erarbeitet, über das bereits eine grundsätzliche Verständigung erzielt werden konnte. Details würden gerade ausgearbeitet, hieß es.
Spitzenverband DIHK warnt vor scharfen Regeln
Beim Spitzenverband DIHK sieht man in dem Rekordanstieg chinesischer Firmenübernahmen keine Bedrohung. Das Interesse Chinas an erfolgreichen deutschen Firmen sei „legitim und zu respektieren“, sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier. Er warnte vor einer Verschärfung der politischen Kontrolle chinesischer Übernahmewünsche. Das Außenwirtschaftsgesetz biete bereits jetzt Regelungen für Firmenübernahmen, die sowohl öffentliche als auch Sicherheitsinteressen berücksichtigen. „Eine Aktualisierung des Gesetzes, insbesondere wenn sie sich nur gegen einzelne Länder richtet, wäre sehr kritisch. Deutschlands Position, sich weltweit für offene Märkte und wirtschaftliche Gleichbehandlung einzusetzen, wäre sogar geschwächt“, sagte Treier. Das dürfte DIHK-Präsident Eric Schweitzer, der gerade Teile seiner Firma Alba an Chinesen verkauft hat, wohl unterschreiben.
Peking verschärft selbst die Regeln für Ausländer
Auch die Staatsführung in Peking äußerte sich am Dienstag zu der Entwicklung. Sie kündigte aber keine Öffnung ihres Marktes an. Im Gegenteil. Man wolle ausländische Investitionen von Unternehmen stärker unter die Lupe nehmen. „Im Immobiliensektor haben die ausländischen Investitionen eine unangemessene Dynamik entwickelt“, sagte Zhou Liujun vom Handelsministerium am Dienstag der staatlichen Nachrichtenagentur China News Service. Einige Unternehmen würden großvolumige Geschäfte tätigen, obwohl sie immer mehr Schulden anhäuften. Deshalb würden neue Vorschriften erarbeitet.
Insgesamt hätten chinesische Unternehmen 2016 bisher insgesamt 1,12 Billionen Yuan (rund 154 Milliarden Euro) in anderen Ländern investiert, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den Handelsminister Gao Hucheng. Allein von Januar bis November habe es eine Zunahme um mehr als 55 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gegeben. Die Unternehmen investieren angesichts der langsamer wachsenden heimischen Wirtschaft und der schwächelnden Landeswährung Yuan verstärkt anderswo. mit Reuters, dpa