Chinas Kritik an deutscher Regierung und Presse: Die halbstarke Volksrepublik
Peking zeigt sich beleidigt, weil die Bundesregierung die Übernahme heimischer Hightech-Firmen überprüft. China wird wirtschaftlich immer stärker, bleibt aber politisch unreif. Ein Kommentar.
Die Hafenstadt Tianjin war einst bekannt für die Massenproduktion von Fahrrädern. Motorräder mussten aus Japan importiert werden. Die Chinesen wollten umstellen, erhielten aber keine Hilfe der Japaner. Also kauften sie ab 1985 in Europa bankrotte Motorradwerke auf, darunter die Fabrik des Münchener Herstellers Zündapp. Sie demontierten diese und bauten sie in Tianjin wieder auf. Dazu holten sie als Berater für 800 Arbeiter 14 erfahrene Zündapp-Meister aus Bayern. So rollten fast auf den Tag genau vor 30 Jahren die ersten Motorräder der Marke Xunda vom Band. Das Wort bedeutet „schnell am Ziel“.
Da ist die Volksrepublik längst angekommen. Vom mäßig industrialisierten Agrarstaat zur Weltfabrik für technologisch anspruchsvollere Produkte und Exportweltmeister in weniger als 30 Jahren – das ist doch was! Und nun ist es auch gut. So lautet die hierzulande vorherrschende Einschätzung.
Heute Computer, morgen Elektroautos
Unbehagen bereitet da der Gedanke, dass China sich selbst nicht am Ziel sieht, mehr will, die Führung. Das heißt, selbst entwickeln, produzieren, nicht nur montieren: heute Handys und Computer, morgen Elektroautos, die inklusive Batterien und Software das Zeug haben, Fahrzeuge mit konventionellem Antrieb vom Weltmarkt zu verdrängen.
Europas Industriekonzerne von Airbus bis Daimler haben zuletzt Fabriken frei Haus nach China geliefert, um dort einige Montageschritte für ihre Qualitätsprodukte erledigen zu lassen. Das taten sie mit Blick auf den Zugang zum weltgrößten Absatzmarkt mit 1,4 Milliarden Menschen. Dafür waren sie bereit, zu akzeptieren, dass sie vor Ort ein wenig von ihrem Knowhow und Wissen um die Produktion mit einer lokalen Firma teilen mussten. Das hat für beide Seiten gleichermaßen gut funktioniert, solange klar war, dass die größten Geheimnisse der Entwicklung in der deutschen Heimat bleiben.
Die Öffnung gegenüber dem Regime in den letzten Jahrzehnten hat nicht etwa eine demokratische Reformierung gebracht, sondern ein zielgerichtetes Ausnutzen der technischen und ökonomischen Möglichkeiten seitens der Diktatur.
schreibt NutzerIn stefano1
Peking ist unsicher, ob mit Marktwirtschaft ein Staat zu machen ist
Diese Symbiose zerfällt, die Beziehung kippt, ist vielleicht schon gekippt. Das zeigen die unangemessen beleidigten Reaktionen offizieller Stellen in Peking auf Äußerungen und Politik des aktuellen Staatsbesuchers Sigmar Gabriel – bis hin zur Kritik der Chinesen an deutschen Medienberichten. Hat sich die Kommunistische Partei früher öffentlich vorgetragene Kritik an der Menschenrechtssituation verbeten, demonstrieren Gabriels Gastgeber heute offen ihr Missfallen bei Kleinigkeiten. Selbstverständlich prüft die Bundesregierung Übernahmen deutscher Hochtechnologiefirmen durch chinesische Investoren. Dass ein Handelsminister wegen so einer Petitesse die Teilnahme an einem gemeinsamen Forum absagt, wäre vielleicht noch im Iran oder bei den Saudis gut möglich, in den USA und Europa aber undenkbar.
Chinas Regierung präsentiert ihr auch kulturell reiches Land wie einen pubertären Halbstarken. Sie leitet aus der wirtschaftlichen und militärischen Potenz einen Führungsanspruch ab, beweist aber regelmäßig Unreife. Maulkörbe und Haft für Dissidenten sowie die anhaltende Abschottung der heimischen Wirtschaft sind untrügliche Zeichen dafür, dass Chinas Regime noch unsicher ist, ob mit Zivilgesellschaft, Marktwirtschaft und Demokratie ein Staat zu machen ist. Körperlich Überlegene mit kleinem Selbstbewusstsein gelten als gefährliche Charaktere. Die sollte man stets ernst nehmen – ihnen aber auch die Grenzen aufzeigen.