Kino-Branche in der Krise: Ausgerechnet jetzt will Verdi die Kinos bestreiken
Die finanzielle Lage vieler Kinos ist angespannt. Der Streik von Verdi kommt da zur Unzeit – wo gerade ein Blockbuster Hoffnung macht.
Wer in den kommenden Tagen in den Kinos von Cinestar oder Cinemaxx den neuen Avengers-Film anschauen will, sollte sich auf lange Wartezeiten einstellen – oder gar darauf, dass die Vorstellung ausfällt. Denn die Gewerkschaft Verdi hat am Dienstag begonnen, bundesweit Kinos der beiden Multiplex-Betreiber zu bestreiken. Die Arbeitsniederlegung begann bei Spätvorstellungen in Oldenburg, Bremen und Kiel, wie Holm-Andreas Sieradzki von Verdi dem Tagesspiegel sagte. Am Mittwoch sollten 20 Kinos betroffen sein; bis einschließlich Sonntag dauert der Streik an. Auch Berlin wird betroffen sein.
Der Tarifvertrag mit Cinestar ist im Februar, der mit Cinemaxx Ende 2018 ausgelaufen. Beide gehören zu dem britischen Kinobetreiber Vue. Bislang gab es fünf Verhandlungsrunden – ohne Erfolg. „Die Verhandlungen sind festgefahren“, sagt Sieradzki. „Die Arbeitgeber mauern und machen keine neuen Angebote.“ Die Gewerkschaft fordert Löhne, die „deutlich über dem Mindestlohn und auch über dessen künftigen Erhöhungen liegen“. Derzeit betrage der Einstiegslohn bei Servicekräften bei 9,19 Euro – das Niveau des Mindestlohns.
Als Zielvorstellung benennt Verdi 12,63 Euro – die Summe, die laut einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkspartei im Mai 2018 rechnerisch als Stundenlohn notwendig sei, um im Alter nicht von der Existenzsicherung abhängig zu sein.
Cinestar und Cinemaxx finden Verdi-Forderungen überhöht
Oliver Fock, Geschäftsführer von Cinestar, findet das nicht gerechtfertigt. Die Annahme, dass in der Kinobranche jeder in Vollzeit arbeite und davon allein seinen Lebensunterhalt bestreiten müsse, sei falsch, sagt er dem Tagesspiegel. „Der Anteil der in Vollzeit beschäftigten Servicekräfte ist äußerst gering und liegt bei einzelnen Betreibern nur im geringen einstelligen Prozentbereich.“ Damit bezieht sich Fock auf eine Studie des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater (HDF) von 2014. Darin heißt es, von 25 632 in der Kinowirtschaft Beschäftigten seien zwei Drittel geringfügig beschäftigt. Die Zahl der Angestellten in Vollzeit liegt demnach sogar nur bei gut 3000. Auch bei Cinemaxx weist man die Forderungen von Verdi als überhöht zurück. Die Gewerkschaft habe in den Verhandlungen Gehaltssteigerungen von über 20 Prozent gefordert. „Dies ist für kein Unternehmen wirtschaftlich akzeptabel“, teilt Cinemaxx mit. Auch die Darstellung, die Kinobetreiber würden keine Angebote vorlegen, sei falsch. Aktuelle böte Cinemaxx Steigerungen auf dem Niveau des Tarifergebnisses von 2015. Auch für Servicekräfte gäbe es ein Angebot. Verdis Vorgehen sei „irritierend“, die Forderungen müssen „ als einseitige Eskalation der Gespräche verstanden werden“. Sowohl Cinestar als auch Cinemaxx zeigen sich optimistisch, Ausfälle aufgrund des Streiks vermeiden zu können. „Vollständig ausschließen können wir es nicht“, so Fock. Kunden, die bereits online ein Ticket erworben haben, bekämen aber bei beiden Ketten den Preis erstattet. Verdi kündigt Streiks nur kurzfristig an, damit sich die Kinos sich nicht darauf vorbereiten und neue Arbeitskräfte, sogenannte Streikbrecher, anheuern können.
Der Streik trifft die Branche zur Unzeit
Tatsächlich trifft der Streik zum Start von „Avengers: Endgame“ – dem Finale der mit Einnahmen von über 18 Milliarden Dollar erfolgreichsten Film-Reihe aller Zeiten – die Branche zur Unzeit. Denn die finanzielle Lage vieler Kinos ist angespannt. 2018 zählten die Filmtheater so wenige Besucher wie seit 1992 nicht mehr. 105,4 Millionen Kinogänger bedeuteten einen Rückgang von fast 14 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Als Grund wird der heiße Sommer oder die Fußball-WM genannt, doch es gibt auch hausgemachte Probleme. Fock spricht von einem „riesigen Investitionsstau in den Bereichen Technologie und Ausstattung in der gesamten Branche“. Zudem müsse das Kino „seine Kompetenz als soziale Begegnungsstätte ausbauen, um sich positiv von anderen Freizeitaktivitäten abzugrenzen“. Ähnlich sieht das Peter Dinges, Vorstand der Filmförderungsanstalt (FFA): „Kinos sind dabei ihre digitale Kundenansprache und -bindung zu verstärken, ihr Profil als Kultur- und Erlebnisorte zu schärfen und ihr Alleinstellungsmerkmal zu kultivieren.“
UCI rüstet auf
Erste Ergebnisse dieser Bemühungen sind in Berlin bereits zu bewundern. Nicht nur Premium-Kinos wie die Astor Film Lounge oder der Zoopalast, sondern auch die Multiplex-Kette UCI, will ihre Kunden mit Komfort überzeugen. Die Standorte in der Gropiusstadt, am Mercedes-Platz und in Potsdam sind bereits nach dem Konzept „Luxe“ umgebaut. Sowohl die Bild- als auch die Tontechnik wurde auf den neuesten Stand gebracht; die Säle sind mit Ledersesseln mit verstellbarer Rückenlehne und Fußstütze ausgestattet. Ein Umbau mit Risiko, denn dank der neuen Sessel passen nur noch rund halb so viele Besucher in die Kinos. „Aber die Besucherzahlen haben sich erhöht“, teilt UCI mit. Auch Cinemaxx baut derzeit vier seiner Kinos ähnlich um.
Markantester Unterschied: Die Säle sind mit dicken Ledersesseln mit verstellbarer Rückenlehne und Fußstütze ausgestattet. Ein Umbau, nicht ohne Risiko, denn mit den neuen Sesseln passen nur noch rund halb so viele Besucher in die Kinos. „Aber die Besucherzahlen haben sich erhöht“, teilt UCI mit. „Wir sind mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Luxe-Standorte sehr zufrieden.“ Auch Cinemaxx baut derzeit vier seiner Kinos ähnlich um.
Wie weit der Luxus im Kino gehen kann, ist etwa in Thailand zu beobachten. Dort gibt es zahlreiche Kinos mit Service am Platz, Liegesesseln, Decken und USB-Anschluss zum Handy-Aufladen. Vor dem Film erwartet den Besucher ein umfangreiches Buffet, das weit über Popcorn und Cola hinausgeht. Allerdings rufen die Kinos auch Preise auf, die sich mit dem dortigen Lohnniveau nicht gut vertragen. „Sogenannte Premiumkinos treiben den Markenkern des Kinos, nämlich Filmgenuss als besonderes soziales und kulturelles Event zu bieten, gewissermaßen auf die Spitze“, erklärt Dinges. Es würden sich aber auch andere Kinoarten entwickeln. „Das müssen keine Luxus-Tempel sein“, so der FFA-Vorstand.
Dem pflichtet Martin Turowski. „Das Spektrum der Betriebstypen reicht von den kleinen Lichtspielhäusern auf dem Land über die mittelständischen Kinos bis zu den Multiplexen“, sagt der der Vorstand des HDF. „Eine pauschale Antwort, welche Ansätze in der aktuellen Situation erfolgsversprechend ist, gibt es nicht.“
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