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Buchhändler bangen um die Buchpreisbindung.
© Andreas Weihmayr/dpa

Angst vor TTIP: Aufstand der Buchhändler

In deutschen Buchläden geht die Angst um – vor dem Freihandelsabkommen TTIP und der drohenden Invasion der US-Konzerne. Das Mittel dagegen: die Buchpreisbindung.

Wo, wenn nicht in Weimar, sollte der Aufstand stattfinden? In der Stadt, die Goethe und Schiller beherbergt hat und in der das deutsche Bauhaus seine Wurzeln weiß. Hier in Hoffmann’s Buchhandlung, wenige Meter von Schillers Wohnhaus entfernt, kämpft Sigrid Gräf für die deutsche Buchpreisbindung und die Zukunft ihres Ladens. „Wenn die Buchpreisbindung fällt“, sagt die Buchhändlerin, „dann ist es mit unserer Buchhandlung aus.“ Das will sie verhindern.

Über 300 Jahre ist ihr Laden alt, Goethe, Wieland, Schiller und Schopenhauer haben hier verkehrt. Zahlreiche Goethe-Ausgaben schmücken das eine Schaufenster, Gartenbücher das andere. Über den Pflanztipps hängt ein Protestplakat: TTIP, das geplante europäisch-amerikanische Freihandelsabkommen, heißt es darin, bedrohe die Buchpreisbindung und könne „irreparablen Schaden“ anrichten für Leser, Autoren und Buchhändler.

Die Buchpreisbindung schützt vor einem Preiskampf

So wie Gräf denken viele in Deutschland – Buchhändler, Verlage und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Sie haben Angst, dass die großen amerikanischen Konzerne, die Amazons, Googles und Apples, Druck machen und über das Freihandelsabkommen eine Säule des deutschen Verlags- und Buchhandelswesens kippen könnten, die Preisbindung. Das treibt einen Berufsstand, der sonst nicht gerade auf Krawall gebürstet ist, auf die Barrikaden.

Die Buchpreisbindung schützt Buchhändler und Verleger vor einem Preiskampf. Die Verleger legen einen Preis für ihre Bücher fest, der dann für jeden Händler gilt – egal, ob der Kunde das Buch im kleinen Buchladen um die Ecke kauft, bei großen Ketten wie Thalia oder Hugendubel oder im Internet bei Amazon. Buchhandlungen konkurrieren nicht über den Preis, sondern über Qualität – Service, Auswahl, Beratung und die Gestaltung ihrer Läden.

Dass es die kleine Buchhandlung um die Ecke heute noch gibt, während die Tante-Emma-Läden längst von Edeka, Rewe, Aldi oder Lidl verdrängt worden sind, liegt an der Preisbindung. Auch viele Verlage, vor allem die kleinen, wissen das zu schätzen. Würde die Preisbindung aufgehoben, würden Bestseller billiger, Nischenliteratur hingegen deutlich teurer.

Gabriel will Preisbindung auch für E-Books

„Die Buchpreisbindung schützt die vielen kleineren und mittleren Buchhandlungen und Verlage“, sagte Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, dem Tagesspiegel. „Ohne sie würden viele kleine Händler und Verlage sterben“. Das sieht auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel so. „Die Buchpreisbindung wird nicht aufgehoben“, betonte der Sozialdemokrat am Dienstag in Berlin bei einer Diskussion mit Schülern und Studenten über TTIP. Gabriel will die Preisbindung nicht nur verteidigen, sondern per Gesetz auch auf E-Books ausdehnen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat das Wirtschaftsministerium vor wenigen Wochen an die Länder und die Verbände geschickt.

Doch wie lange kann der Widerstand halten? Deutschland ist der zweitgrößte Buchmarkt der Welt – mit 9,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr und 80 000 Neuerscheinungen. Nur der US-Markt ist noch größer. Eine Preisbindung gibt es hier nicht. Riesenkonzerne wie Amazon spielen ihre Marktmacht aus, verwickeln Konkurrenten in Preiskriege, trotzen Zulieferern Rabatte ab. Man müsse Verleger jagen wie Gazellen, sagt Amazon-Chef Jeff Bezos, die verwundbarsten zuerst. „Die großen Online-Anbieter Amazon, Google oder Apple haben ein Rieseninteresse daran, mit Kampfpreisen den deutschen Markt aufzurollen“, sagt Skipis.

"Wenn die Buchpreisbindung fällt, bleiben nur noch die großen Konzerne und Ketten übrig."

Hoffmann's Buchhandlung ist 305 Jahre alt. Die Inhaber haben Angst vor TTIP.
Hoffmann's Buchhandlung ist 305 Jahre alt. Die Inhaber haben Angst vor TTIP.
© Heike Jahberg

Die EU-Kommission hält solche Ängste für unberechtigt. Der Buchsektor werde durch TTIP nicht gefährdet, heißt es. Soweit die Buchpreisbindung Bücher, die im Ausland hergestellt werden, nicht diskriminiere, berühre sie das Handelsabkommen gar nicht. Das betrifft etwa englischsprachige Titel, die aus den buchpreisbindungsfreien Ländern USA oder Großbritannien kommen. Solche Bücher unterliegen auch dann keiner Preisbindung, wenn sie nach Deutschland importiert werden.

Aber auch für Händler wie Amazon, die in Deutschland den tradierten Buchhandlungen Konkurrenz machen und Bücher und E-Books zum Festpreis verkaufen, sieht man bei der EU-Kommission in TTIP kein Einfallstor für Klagen. Alle Unternehmen müssten die Regeln eines Landes beachten, in- wie ausländische, das gelte auch für die Buchpreisbindung. Regulatorische Maßnahmen, die für einheimische und ausländische Dienstleistungserbringer unterschiedslos gelten oder Ausländer sogar bevorzugen, seien grundsätzlich nicht Gegenstand von Verpflichtungen bei TTIP. Auch Investorenschutzklagen, die von TTIP-Kritikern auf heftigste bekämpft werden, würden bei der Buchpreisbindung nicht drohen, lässt die Kommission ausrichten.

„Es kommt nicht infrage, dass TTIP Deutschlands reichhaltige kulturelle Vielfalt oder entsprechende Politikbereiche beeinflussen wird“, sagte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström dem Tagesspiegel. Öffentliche Förderungen von Theater- und Opernhäusern, Filmproduktionen, der öffentliche Rundfunk und das Fernsehen seien genauso wenig Gegenstand der Verhandlungen wie Deutschlands System der Buchpreisbindung. „Diese Themen werden in TTIP nicht diskutiert“, verspricht die Schwedin. „Es gibt kein einziges Freihandelsabkommen der EU, das in der Vergangenheit die öffentliche Förderung für den Kulturbereich je in Gefahr gebracht hätte.“ Immerhin: Mehr als 100 Investorenschutzabkommen hat Deutschland seit den 60er Jahren abgeschlossen, keines hat die Buchpreisbindung untergraben.

Doch Buchhändlerin Gräf traut dem Frieden nicht. Und auch nicht den Europolitikern in Brüssel und Straßburg. In der elsässischen Kulturstadt hat ein Mann das Sagen, der den Buchhandel aus dem Effeff kennt. Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments, ist gelernter Buchhändler, in Würselen hatte er lange Jahre eine eigene Buchhandlung. Sigrid Gräf beruhigt das nicht. „Dass der Herr Schulz dem Buchhandel nicht in den Rücken fällt, darauf würde ich mich nicht verlassen“, sagt die Thüringerin.

Das Kämpfen scheint den Inhabern der Buchhandlung an der Schillerstraße im Blut zu liegen. Schon Johann Wilhelm Hoffmann, der das Geschäft im Jahr 1802 übernommen hatte, hatte sich an die Spitze einer Bürgerwehr gestellt, die sich nach dem Abzug der Franzosen gebildet hatte. Als 1810 eine Explosion Teile von Eisenach zerstörte, sammelte Hoffmann für die Opfer der Katastrophe. Mit der Büchse in der Hand und einer großen Portion Beharrlichkeit nahm Hoffmann beachtliche 6000 Taler ein.

Fünf Generationen Hoffmann und vier Generationen Gräf haben die Buchhandlung geleitet. Eine große Tradition. Gräf will diese erhalten. Ohne die Buchpreisbindung geht das nicht, sagt sie. „Wenn die fällt, dann bleiben nur noch die großen Konzerne und Ketten übrig.“

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