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Ehrung in Aachen: EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.
© AFP
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Karlspreis für EU-Parlamentschef: Schulz liest Staats- und Regierungschefs die Leviten

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist am Donnerstag mit dem internationalen Karlspreis für seine europäischen Verdienste ausgezeichnet worden. In seiner Ansprache kritisiert er die Neigung vieler Staats- und Regierungschefs, die EU schlechtzureden.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ist am Donnerstag in Aachen mit dem internationalen Karlspreis ausgezeichnet worden. Bei seiner Ansprach warnte der 59-Jährige am Donnerstag im Krönungssaal des Aachener Rathauses vor einem Rückfall in den Nationalismus. „Wenn wir uns in unsere Einzelteile zerlegen, dann versinkt Europa in der Bedeutungslosigkeit“, warnte Schulz. Der Karlspreis wird seit 1950 jedes Jahr in Aachen an Politiker verliehen, die sich um Europa verdient gemacht haben. Deutliche Kritik äußerte der Preisträger an der Neigung zahlreicher Staats- und Regierungschefs, die EU schlechtzureden: „Hört damit auf, alle Misserfolge und ungelöste Probleme Brüssel in die Schuhe zu schieben, die Erfolge aber auf die nationale Fahne zu schreiben! Genau das trägt zur Entfremdung der Menschen von der EU bei.“ „Europa braucht endlich wieder Mut und Weitsicht“, forderte Schulz. Der EU-Parlamentschef bemängelte ein „Auf-Sicht-Fahren“ in der Europapolitik und die Tatsache, dass sich die EU „von Krisengipfel zu Krisengipfel“ hangele. Stattdessen verlangte er von den Regierenden in Europa das Eingeständnis, dass sich internationale Herausforderungen wie der Klimawandel nur im europäischen Schulterschluss lösen ließen. Allerdings schielten die Staatenlenker in der EU eher auf die nächsten Wahlen, beklagte der Preisträger. Wenn die europäischen Gründerväter sich ähnlich kurzsichtig verhalten hätten, „dann hätte die europäische Einigung niemals das Licht der Welt erblickt“, so Schulz.

Auch Bundespräsident Joachim Gauck warnte in seiner Ansprache vor einem Erstarken des Nationalismus. In einigen EU-Mitgliedstaaten sinke die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame Zukunft in Europa einzulassen, sagte der Bundespräsident. Zwar sollte nicht jede Kritik am Zusammenwirken in der EU grundsätzlich als Europa-Skepsis gewertet werden. Es sei dennoch alarmierend, dass sich populistische Bewegungen die Institutionen der EU und die gemeinsame Währung „zum Feindbild erkoren haben“. Auch in einigen Regierungen in der EU sei der „Wunsch nach eigenem nationalen Weg“ zu verzeichnen, kritisierte Gauck.

Deutschland werde ein „verlässlicher Anwalt des europäischen Einigungsprozesses“ bleiben, betonte der Bundespräsident. „Nie war Deutschland europäischer als heute“, so Gauck. „Ohne die Union wären wir heute nicht so stabil, nicht so sicher und nicht so frei.“ Zugleich wies er darauf hin, dass der Nationalstaat „wichtiger Bezugspunkt für Identität und Identifikation bleiben“ werde.

Hollande erinnert an Schulz' Anfänge als Buchhändler

Frankreichs Staatschef François Hollande würdigte in seiner Festrede den Einsatz Schulz', der "aus dem Buchhändler den Präsidenten des Europäischen Parlaments gemacht hat". Vor seiner politischen Karriere hatte der Preisträger eine Buchhandlung in seiner Heimatstadt Würselen betrieben. Aus der persönlichen Erfahrung Schulz' erkläre sich auch, dass sich der EU-Parlamentspräsident heute für den Schutz des Urheberrechts in Europa einsetze. "Die Kultur ist keine bloße Ware", sagte Hollande.

Der jordanische König Abdullah II., der mit Schulz befreundet ist, nutzte seine Rede für eine klare Absage an den islamistischen Fundamentalismus. Die Abwehr des Terrorismus stelle eine gemeinsame Herausforderung für die arabische Welt und Europa dar, sagte das jordanische Staatsoberhaupt. Abdullah hob hervor, dass die Jugend in der arabischen Welt eine wirtschaftliche Perspektive erhalten müsse, um nicht anfällig zu werden für den Fundamentalismus.

Für Schulz schließt sich der Kreis

Für Martin Schulz schließt sich mit der Verleihung des Karlspreises in seiner Heimatregion ein Kreis. Für den EU-Parlamentschef Schulz, der im Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden aufgewachsen ist, ist die Preisverleihung ein Heimspiel. Zwar ist es nicht so, dass der 59-Jährige keine Übung mit derartigen Zeremonien hätte. Als die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekam, stand er in Oslo auf der Bühne und hielt die Schatulle mit der goldenen Medaille stolz in Händen. Damals musste er sich den Preis, wie das nun einmal typisch ist für die EU mit ihrer vielköpfigen Führungsriege, noch mit anderen teilen. Diesmal stand er in Aachen allein im Rampenlicht.

Bei der Europawahl unterlag er dem Luxemburger Jean-Claude Juncker

Schulz wäre aber kein in der Wolle gefärbter Sozi, wenn er nicht immer wieder darauf hinweisen würde, dass es für ihn neben den Sonntagsreden und den Festessen mit den Hochmögenden dieser Welt noch einen viel entscheidenderen Teil des politischen Alltags gibt – nämlich den unermüdlichen Kampf, das EU-Projekt bei den zunehmend skeptisch gewordenen Bürgern am Leben zu erhalten. Er kann sich zugute halten, dass er der SPD beim Europawahlkampf vor einem Jahr zu einem Achtungserfolg verhalf. SPD-Fraktionsvize Axel Schäfer verstieg sich deshalb sogar dazu, Schulz als Kanzlerkandidaten ins Gespräch zu bringen. Allerdings wird Parteichef Sigmar Gabriel diese Aufgabe wohl schon selber bewältigen müssen.

Schulz’ Nimbus rührt von seiner Rolle als EU-weiter Spitzenkandidat der Sozialdemokraten bei der letzten Europawahl. Zwar wurde aufgrund des Wählervotums am Ende nicht er, sondern der Luxemburger Jean-Claude Juncker EU-Kommissionspräsident. Aber immerhin gelang es ihm, das deutsche Wort „Spitzenkandidat“ im englischen Polit-Vokabular zu verankern: Der britische Premier David Cameron wollte nämlich nichts vom Einfluss des Parlaments bei Junckers Benennung wissen. Für Schulz ist eine starke Stellung der Abgeordneten gegenüber den Regierungen aber unabdingbar, wenn der Draht zum Wähler halten soll. In Europa sei man schließlich „nicht mehr unter Kaiser Wilhelm II.“, hat er einmal bemerkt.

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