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Billiger auf Englisch. Immer mehr Briten entdecken die deutschen Discounter Lidl und Aldi für sich.
© imago/Sven Simon

Discounter in Großbritannien: Aldi und Lidl erobern die Insel

Die deutschen Discounter sind erfolgreich in Großbritannien. Dabei sind die Einkaufsgewohnheiten dort ganz anders.

Brot, Wein, Käse, ein frischer Salat und die neueste Scheibe einer Rockband im Einkaufskorb – so könnte ein typischer Einkauf bei Tesco aussehen, der führenden Supermarktkette in Großbritannien. Denn seit letzter Woche hat der Handelskonzern in 55 seiner Extra Stores genannten Märkte das neue Album der Heavy-Metal-Legende Iron Maiden im Sortiment – auf Vinyl. Sollte sich das als Erfolgsmodell erweisen, will Tesco sein Angebot an Vinylplatten ausweiten. Der Verkauf der schwarzen Scheiben steigerte sich im letzten Jahr um 50 Prozent auf gut 1,6 Millionen Stück – nach einem Tief von 205.000 im Jahr 2007.

Erfolg hat der drittgrößte Einzelhändler der Welt mit rund 500.000 Beschäftigten auch bitter nötig. Vor einem Jahr trat der neue Vorstandschef mit dem Ziel an, das Unternehmen mit einer Radikalkur gründlich zu sanieren, nachdem sinkende Umsatzzahlen, Milliardenabschreibungen und verlorene Marktanteile der Firma die schlechteste Bilanz in ihrer knapp 100-jährigen Geschichte eingebrockt hatten.

Discounter drücken die Preise

Mit einem Marktanteil von zuletzt 28,3 Prozent ist Tesco laut Marktforscher Kantar Worldpanel zwar immer noch unangefochtener Platzhirsch im Vereinigten Königreich – vor Asda, Sainsbury's und Morrisons. Doch die deutschen Discounter Aldi und Lidl haben mit ihrem aggressiven Expansionskurs und Kampfpreisen einen dramatischen Wandel auf dem traditionell schwer umkämpften Markt entfacht.

Laut Kantar Worldpanel sind die Lebensmittelpreise binnen eines Jahres um 1,7 Prozent gefallen. Aldi, seit 25 Jahren auf der Insel präsent, und Lidl, vier Jahre später gekommen, haben mittlerweile zusammen einen Marktanteil von 9,7 Prozent und liegen damit auf dem fünften Platz. Aldi mit gut 500 Läden und Lidl mit mehr als 600 Geschäften auf der Insel haben zudem angekündigt, bis zum Jahr 2022 die Zahl ihrer Läden verdoppeln zu wollen. Das scheint möglich, denn in der Finanzkrise haben die Briten begonnen, sich in ihrem Einkaufsverhalten umzuorientieren.

Mit Hypermärkten können sie nicht mithalten

Bisher unterschieden sich die Einkaufsgewohnheiten von Briten und Deutschen fundamental. Auf der Insel wird am Wochenende ein großer Einkauf für die ganze Woche getätigt: Man fährt mit dem Auto vor einen der Hypermärkte, die mit einer Größe von bis zu 15.000 Quadratmeter schon mal mehr als das Zehnfache eines typischen Aldi-Marktes ausmachen. Dort werden dem Kunden neben Lebensmitteln auch Fernseher, Kleidung, Spielzeug, Fahrräder oder auch Plattenspieler und Platten angeboten.

Smart Shopping nennen die Briten das, was in Deutschland Tradition hat und zunehmend Gefallen auf der Insel findet: Brot wird beim Bäcker gekauft, Fleisch beim Metzger des Vertrauens, Obst und Gemüse auf dem Markt – der Rest, also Zucker, Mehl, Reinigungsmittel und dergleichen bei Aldi oder Lidl.

Der Konsument ist auf der Insel ein besonderes Einkaufserlebnis gewohnt: Die Auswahl ist gigantisch, nicht enden wollende Regalmeter mit fertig belegten Sandwiches, Salaten, Suppen; lange vor Deutschland gab es auf der Insel geschältes und klein geschnittenes Gemüse und Obst. Alles wird in großzügigen, stylish gestalteten Märkten feilgeboten, der Service ist freundlich – und in den Hypermärkten sogar rund um die Uhr.

Hummer und Kaviar - ein Renner auf der Insel

Das haben die Discounter mit ihrem begrenzten Sortiment von Produkten, die lieblos gestapelt in den engen Regalen unter kaltem Neonlicht liegen, nicht zu bieten. Die Discounter selbst argumentieren, dass ihre um durchschnittlich 20 Prozent günstigeren Preise nur mit einem eingeschränkten Sortiment so niedrig gehalten werden können. Ein üblicher Tesco-Markt führt rund 25.000 Waren im Vergleich zu etwa 1500 Artikeln bei den Discountern – ein Paradies für leidenschaftliche Shopper, die Hölle für den, der unter Entscheidungsschwierigkeiten und Zeitmangel leidet. So wie die Maidstone Mums genannten Mütter, die trotz drastisch gestiegener Mieten ihrem Nachwuchs weiterhin den Ballett-, Reit- und Flötenunterricht finanzieren wollen.

Und dafür beim Discounter shoppen. Dass deren Geschäfte nicht wirklich als smart durchgehen mit ihrem Charme einer Lagerhalle und langen Schlangen an der Kasse, ist den Briten offenbar nicht mehr so wichtig. Entscheidend ist, dass es in der britischen Gesellschaft, die noch immer geprägt ist von einem dezidierten Klassenbewusstsein, nicht mehr als unfein gilt, mit einer Aldi-Tüte ertappt zu werden: Laut Studien entstammt mittlerweile jeder fünfte Aldi-Kunde der Mittel- bis Oberschicht.

Vor allem für diese Kunden passen sich die Discounter an und erweitern mitunter ihr Sortiment: Lidl hat beispielsweise mit seiner Deluxe-Edition temporär Hummer und Kaviar im Angebot – ein Renner auch auf der Insel.

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