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Herz und Seele der Mannschaft. Thomas Müller ist auch von sich selbst beeindruckt.
© AFP

WM 2014: Wie Thomas Müller die deutsche Mannschaft bereichert

Thomas Müller begeisterte beim Spiel gegen Portugal mit Toren und Ballgefühl. Doch es ist nicht nur seine spielerische Qualität, die ihn für die Mannschaft so wertvoll macht. Es ist seine ganze Art.

Die Sache mit der Eiswanne und der Kanzlerin ist noch einmal gut ausgegangen für die Regierungschefin. Ein Nationalspieler verriet nach dem Spiel und dem Kabinenbesuch Angela Merkels, dass es im kleinen Kreis mal kurz die Überlegung gegeben habe – aber nicht doch. Man habe schnell kühlen Kopf walten lassen. Es ließ sich nur unfertig ergründen, ob und inwiefern Thomas Müller beteiligt gewesen ist an diesem kleinen Gedankenspiel. Denn an diesem schwülheißen Nachmittag in Salvador da Bahia wäre dem 24-Jährigen alles zuzutrauen gewesen.

Drei der vier deutschen Tore hatte der knüllerhafte Kerl aus München den Portugiesen eingeschenkt; was er auf dem Spielfeld auch machte, es ging irgendwie alles auf. Dabei sind es gar nicht so sehr die Dinge mit Ball, sondern die ohne, die ihn so unwiderstehlich machen, so sonderbar, so anarchisch, so einzigartig. Es sind gerade seine Wege und Läufe ohne Ball. Sie sind so ungewöhnlich, so unorthodox, ja so schrullig, dass „nicht einmal der Trainer die versteht“, wie es Joachim Löw hinter vorgehaltener Hand bemerkte. Aber es sind Läufe und Wege, die Müller immer dahin führen, wo es was zu holen gibt.

Thomas Müller hat nur einen Gedanken

Es ist nicht die Technik oder Ballbehandlung, über die beispielsweise Müllers Offensivkollege Mario Götze verfügt. Doch dort, wo Götze noch einen Schlenker mit dem Ball macht, hat Müller schon den direktesten Abschluss gefunden. „Der Thomas kann aus dem Nichts ein Tor machen“, sagte Götze hinterher hoch anerkennend. Der Bundestrainer sagte nur noch: „Das ist Thomas Müller. Er hat nur einen Gedanken im Kopf: Wie kann ich ein Tor erzielen?“

Nach den furiosen Auftritten mit je zwei WM-Toren von Weltstars wie Neymar (Brasilien), Robin van Persie, Arjen Robben (beide Niederlande) und Karim Benzema (Frankreich) hat nun auch der Titelverteidiger im Kampf um die Torjägerkrone eingegriffen. Dem Bayern-Profi gelang dabei gleich das erste Dreierpack im nationalen Dienst. „Das ist natürlich was Herrliches“, sagte er.

Bewaffnet mit einer halbleeren Wasserflasche bahnte er sich den von Journalisten und Kontrahenten gesäumten Weg zum Mannschaftsbus. Ein wenig genoss er die belegten Blicke der Portugiesen, denen es ziemlich die Sprache verschlagen hatte. „Das schadet wohl dem ganzen WM-Projekt nicht“, sagte Müller auf seine drei Tore angesprochen, aber man müsse jetzt schauen, ins Achtelfinale zu kommen. „Auf was anderes schaue ich nicht.“ Klar wolle er auch Tore machen, aber da er schon vor vier Jahren mit fünf Treffern WM-Torschützenkönig geworden sei, „habe ich diese Trophäe schon mal“, ein zweites Mal brauche er die nicht unbedingt. Eher schon den güldenen Weltpokal. Mit einem Müller in dieser Form scheint das Unterfangen nicht mehr ganz so kühn.

Die kommenden Gegner werden Müller in den Fokus nehmen

Es ist schon so, dass dieses 4:0 gegen die Portugiesen, derzeit Nummer vier der Welt, ein wenig an jenes 4:1 gegen das seinerzeit hoch eingeschätzte Jugoslawien zum Auftakt in die WM 1990 erinnerte. Dieser Sieg galt als Initialzündung für den Titelgewinn schlechthin.

Ganz so hoch mochte Müller den ersten Sieg dann doch nicht hängen. Die Match-Chronologie hätte den Deutschen schon arg in den Kram gepasst. „Der Verlauf war perfekt für uns, daher sah es vielleicht locker aus“, aber das sei es nicht gewesen. Die Tore seien zur rechten Zeit gefallen, nicht zu vergessen der Platzverweis für den stärksten portugiesischen Abwehrspieler Pepe, woran Müller auch einen Anteil hatte.

Nachdem dieser Müller bei einer Rettungsaktion ins Gesicht gefasst hatte und Müller vielleicht etwas zu theatralisch zu Boden gesunken war, kam Pepe angestiefelt. Der Mann von Real Madrid beugte sich so weit zu Müller herunter, dass sich beide Köpfe berührten, was der Schiedsrichter mit Rot ahndete. „Ich hoffe, dass es einigermaßen okay ausgesehen hat, ich wollte nichts schinden. Warum er da so auf mich los ist, wird sein Geheimnis bleiben.“

Damit war das Spiel praktisch gelaufen. Oder wie es Mats Hummels, der das 2:0 erzielt hatte, später trocken bemerkte: „Spätestens nach dem 2:0 und dem Platzverweis war klar, dass es nur noch gegen uns ausgehen kann, wenn wir uns ganz doof anstellen.“

Er hat etwas Treibendes, etwas Mitreißendes

Wenn sie sich schlau anstellen, dann kann es diese Mannschaft weit durchs Turnier tragen. Auch wenn Müller nun damit rechnet, dass die kommende Gegnerschaft ihn ein wenig mehr in den Fokus nehmen werde. Denn es sind ja nicht nur seine Tore, die ihn so wertvoll machen, es ist seine ganze Art.

Er macht ebenso viele Wege, die sich nicht konkret auszahlen, er verheddert sich manches Mal im Dribbling oder ihm misslingt ein Pass. Viel wichtiger ist, dass er das alles mit Verve tut, mit Leidenschaft, mit Emotion. So bekommt er etwas Treibendes, etwas Mitreißendes. Wenn Philipp Lahm der Kopf der Mannschaft ist, Sami Khedira der Leader und Toni Kroos der Lenker, dann ist Thomas Müller die Seele und das Herz der Mannschaft.

Allein sein Tor zum 4:0. Ein Gerd-Müller-Gedächtnis-Treffer, weil im Zustand zwischen Nicht-mehr-Stehen und Noch-nicht-Liegen erzielt, was sonst nur der Bomber der Nation konnte. Dieser Treffer verzückte selbst Müller etwas. Und grüßte deshalb alle Brasilianer: tudo bem – Daumen hoch.

Oliver Bierhoff, ein anderer deutscher WM-Torschütze vergangener Tage, der inzwischen als Manager die Nationalmannschaft umsorgt, sprach von einer ersten „Erleichterung“ und einem „unvergleichlichen“ Müller. Schließlich mündete sein Fazit in der knappen Bemerkung: „Die Mannschaft ist da.“

Da, wie und durch Thomas Müller. Dass Frau Merkel noch spitz in der Kabine hatte stehenlassen, wonach sie nach Kurzstudium ihres Terminkalenders kam, erst wieder zum Endspiel vorbeischauen würde, irritierte den Münchner überhaupt nicht. Wie auch, die Sache mit der Eiswanne ist ja schließlich auch nicht endgültig geklärt. Auch hier – Ausgang offen

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