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Nachwuchstraining einer Fußballschule.
© picture-alliance/ dpa/Marcus Brandt

Lehrer, Trainer, Kumpel: Wie sich der Beruf des Fußballtrainers gewandelt hat

Fußballer werden immer jünger zu Profis. Dieser Trend erreicht nun die Trainer. Sie müssen nicht mehr nur Motivator sein, sondern auch Mentor.

Jan Schindelmeiser war zum Äußersten entschlossen und entsprechend ausgerüstet. Im Kofferraum seines Autos hatte er einen Bundeswehr-Schlafsack verstaut, notfalls hätte er ein paar Tage im Freien übernachtet, um die Freigabe seines Wunschtrainers zu erzwingen. Zumindest hat der Sportvorstand des Zweitligisten VfB Stuttgart das vor Kurzem so erzählt. Bei dem Trainer, für den Schindelmeiser so viele Unannehmlichkeiten in Kauf genommen hätte, handelte es sich allerdings nicht um Pep Guardiola, Jürgen Klopp oder Thomas Tuchel. Der Trainer, den er mit aller Macht haben wollte, ist 35 Jahre alt, heißt Hannes Wolf und hat zuvor die U 19 von Borussia Dortmund trainiert. Ein durchschnittlich interessierter Fußballfan hätte ihn vermutlich nicht einmal erkannt, wenn er ihm auf der Straße begegnet wäre.

Als Schindelmeiser Wolf vor einem Monat zum Nachfolger von Jos Luhukay ernannte und ihm als Cheftrainer die Verantwortung für das Projekt Wiederaufstieg übertrug, hielten das manche für mutig. Viele fanden es eher übermütig. Jan Schindelmeiser ist da anderer Meinung. Der Name Wolf ist ihm schon vor zwei Jahren erstmals untergekommen, er hat viel Gutes über ihn gehört, und wenn er explizit nach den besten Nachwuchstrainern des Landes gefragt hat, wurde auffallend oft Hannes Wolf genannt. „Das hat schon ein relativ präzises Bild ergeben“, sagt der Sportvorstand des VfB. Und dieses Bild findet er auch ein paar Wochen und paar Spiele später immer noch stimmig.

Spielerversteher. Pal Dardai (links) weiß wie die Spieler ticken.
Spielerversteher. Pal Dardai (links) weiß wie die Spieler ticken.
© dpa/Mehlis

Es ist zudem ein Bild, das gut in die Zeit passt. Wolfs Beförderung scheint einem Trend zu folgen, der im Moment im deutschen Fußball richtig durchschlägt. Wer heutzutage einen der raren Cheftrainerposten bei einem Erst- oder Zweitligisten bekommen will, muss nicht zwingend 286 Bundesliga- und/oder 61 Länderspiele bestritten haben; stattdessen sollte er idealerweise ausreichend Erfahrung aus einem Nachwuchsleistungszentrum mitbringen. „Fußballtrainer zu sein, ist etwas anderes, als Fußballprofi zu sein. Das eine hat mit dem anderen wenig zu tun“, sagt André Schubert. Als Fußballer ist Schubert nicht über die Oberliga hinausgekommen; als Trainer aber darf er in dieser Saison mit Borussia Mönchengladbach in der Champions League antreten, nachdem er vor ziemlich genau einem Jahr von der U 23 zu den Profis befördert worden ist.

Die Mehrheit der aktuellen Bundesligatrainer stammt aus dem Nachwuchs

Biografien wie die von Schubert oder Wolf sind längst keine Ausnahme mehr. Die Mehrheit der aktuellen Bundesligatrainer stammt aus dem Nachwuchs. Martin Schmidt (Mainz), Valérien Ismael (Wolfsburg) und Alexander Nouri (Bremen) sind wie Schubert von der U 23 ihres Arbeitgebers zu den Profis delegiert worden. Und wenn heute im Spitzenspiel der Bundesliga die TSG Hoffenheim und Hertha BSC aufeinandertreffen, stehen sich mit Julian Nagelsmann und Pal Dardai zwei Cheftrainer gegenüber, die in ihren Klubs zuvor als Jugendtrainer gearbeitet haben. Von den 18 Erstligatrainern besitzen lediglich Carlo Ancelotti, Markus Weinzierl, Roger Schmidt, Peter Stöger und Dirk Schuster keinerlei Erfahrungen im Nachwuchs.

Zufall ist das nicht. Im Gegenteil: Der Trend wird sich eher noch verstärken – weil die Lebensläufe der Trainer im Kleinen die Entwicklung des Fußballs im Großen widerspiegeln. Generell sind die Talente heute deutlich jünger, wenn sie es zu den Profis schaffen. In den Nachwuchsleistungszentren haben sie schon früh unter professionellen Bedingungen gearbeitet, mit entsprechend geschulten Trainern. „Die Spieler sind anders, daran muss man sich orientieren“, sagt Max Eberl, der Sportdirektor von Borussia Mönchengladbach, über die Auswahl der Trainer. Das sei auch notwendig für den deutschen Fußball, weil die Spieler heutzutage einen ganz anderen Input verlangten. Es reiche nicht, wenn man ihnen sage: „Du musst in die Zweikämpfe kommen.“ Man müsse ihnen schon erklären, wie sie das machen sollen. Deshalb glaubt Eberl: „Wenn du bei einem Topverein im Nachwuchsleistungszentrum als Trainer gearbeitet hast, ist das die beste Ausbildung.“

Auch ein Versteher. André Schubert (links).
Auch ein Versteher. André Schubert (links).
© Reuters

Es ist noch nicht lange her, da galten Jugendtrainer und Bundesligatrainer als zwei unterschiedliche Berufsgruppen ohne allzu viele Überschneidungen. Der eine war Ausbilder, der andere im Zweifel Peter Neururer, der vor allem feurige Reden beherrscht. Inzwischen sind immer mehr Klubs zu der Erkenntnis gelangt, dass lebenslanges Lernen auch im Fußball nicht schadet. Zumal die Arbeit mit der Mannschaft in den älteren Nachwuchsjahrgängen nicht gravierend anders ist als die bei den Profis; die größten Unterschiede gibt es im Drumherum, in der öffentlichen Wahrnehmung und den allgemeinen Erwartungen. „Es ist wichtig, dass sich Trainer auf einer Ebene ausprobieren können, wo der Druck vielleicht noch nicht so groß ist und sie noch nicht so sehr im medialen Fokus stehen“, sagt André Schubert. „Bei den Profis darfst du ja keinen Fehler machen, sonst bist du ein Vollpfosten.“

Nagelsmann, Tuchel und auch der Stuttgarter Wolf haben ihre Karriere als Spieler wegen Verletzungen früh beenden müssen. Sie haben alle studiert, hätten also auch einen bürgerlichen Beruf ergreifen können, haben sich aber bewusst für den Trainerjob entschieden – anders als viele frühere Profis, die ihre Karriere bis zum Letzten ausreizen und denen dann nichts Besseres einfällt, als sich mal als Trainer zu versuchen. Ernst Tanner, der Julian Nagelsmann von 1860 München zur TSG Hoffenheim holte, hat bei Eurosport gesagt: „Junge Trainer darf man nicht unterschätzen. Die wissen unglaublich viel und sind super ausgebildet.“

Natürlich ist es für einen Klub wie Hoffenheim oder den VfB Stuttgart einfacher, einen noch unbekannten Nachwuchstrainer zu engagieren als beispielsweise für Bayern München. Gerade in Stuttgart bietet sich eine solche Lösung an, wo von Jahr zu Jahr die Sehnsucht nach einer Neuverfilmung des Blockbusters „Die jungen Wilden“ wächst. „Der VfB hat eine klare strategische Ausrichtung, die die Konzentration auf junge, hoch talentierte, entwicklungsfähige Spieler vorsieht“, sagt Schindelmeiser. „Hannes Wolf passt exzellent in unsere Strategie.“

Vor vier Jahren erwarb Wolf seinen Trainerschein, in einem „ganz spannenden Lehrgang“, wie er vor Kurzem erzählt hat. In der letzten Reihe saßen Stefan Effenberg und Mehmet Scholl. Viel größer kann die Bandbreite nicht sein. Auf der einen Seite die ehemaligen Nationalspieler, die mit Bayern München so ziemlich alles gewonnen haben, auf der anderen Seite ein ehemaliger Sportstudent, in dessen Lebenslauf als Fußballer exakt ein Einsatz in der Oberliga steht, der dafür schon mit 23 Jahren einen Kreisligisten trainiert hat, durch Vermittlung von Jürgen Klopp in der Nachwuchsakademie von Borussia Dortmund gelandet ist und mit der U 17 und U 19 des BVB zuletzt dreimal hintereinander Deutscher Meister geworden ist.

Auch verständig. Julian Nagelsmann.
Auch verständig. Julian Nagelsmann.
© dpa/Fassbender

Pal Dardai verbindet diese beiden Welten gewissermaßen in einer Person. Er hat 286 Bundesligaspiele für Hertha und 61 Länderspiele für Ungarn bestritten, seine Karriere als Trainer aber in Herthas U 15 begonnen – auf besondere Empfehlung seines ehemaligen Trainers Lucien Favre. „Pal, gehen Sie zu den Kindern“, hat der ihm geraten, danach könne ihm niemand mehr etwas Neues erzählen. „Das ist so“, sagt Dardai. „Im Nachwuchs habe ich unglaublich viele Dinge gelernt, die ich auch hier praktiziere. Du brauchst im Training Übungen mit Sinn, bei denen auch der Kopf belastet wird.“

Thomas Tuchel hat einmal erzählt, dass er seine Mannschaften im Training noch nie elf gegen elf habe spielen lassen. Stattdessen hat er sich immer wieder neue Übungen ausgedacht, mit Spielfeldern in Bananenform zum Beispiel. In solchen Situationen erkennt man immer noch den früheren U-19-Trainer in ihm. Bei Hannes Wolf ist es ähnlich. Sein Training in Stuttgart wird als sehr komplex beschrieben, als sehr fordernd und sehr intensiv. Trainer, die wie er aus dem Nachwuchs kommen, „setzen weniger voraus als Trainer, die selbst sehr lange auf hohem Niveau gespielt haben“, sagt Jan Schindelmeiser. „Sie verstehen sich als Mentoren ihrer Spieler, wollen sie besser machen.“

Das sieht man auch im Spiel noch. Beim Pokalspiel in Mönchengladbach hat Wolf in dieser Woche die ganze Breite seiner Coachingzone ausgenutzt: Er hat gewissermaßen versucht, immer auf Ballhöhe zu bleiben. „Ich will einfach dabei sein und das mitleben“, erzählt er. „Das ist meine Art.“ Aber Wolf hat auch schon festgestellt, dass das in einem riesigen Stadion ungleich schwieriger ist als bei einem U-19-Spiel, dass die Möglichkeiten des Im-Match-Coachens arg reduziert sind. Inzwischen hat er sich damit arrangiert. „Wir klären die Sachen vorher“, sagt Hannes Wolf. „Damit im Spiel ein Wort reicht.“

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