Kolumne „Losgelaufen“: Wie das Laufen Leben retten kann
Laufen ist mehr als nur Fitness-Training, meint unsere Kolumnistin. Sie hat Geschichten gesammelt, die sie in der vergangenen Zeit ganz besonders berührt haben.
Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.
Gründe, mit dem Laufen zu beginnen, gibt es wahrscheinlich so viele wie Laufstrecken in Berlin. Sportlicher, fitter, belastbarer zu werden, ist einer – mit dem Laufen etwas zu verarbeiten, was auf die Seele drückt, ein anderer.
Laufen überwindet Grenzen
Wie das funktioniert, ist fix erklärt: Beim Laufen stellen sich die Erfolgserlebnisse relativ schnell ein. Aus fünf Minuten mit Schnappatmung werden zehn, bei denen man zwar immer noch das Gefühl hat, gleich zusammenzubrechen, trotzdem ist die Veränderung schon zu spüren. Irgendwann gelingt eine Runde ohne Gehpausen, und wenn man den ersten Wettkampf oder ein selbstgestecktes Ziel geschafft hat, breitet sich das Gefühl, das eigene Leben wieder im Griff zu haben, schnell in jeder Zelle aus.
Ich denke, das ist der Knackpunkt – Laufen gibt einem das Gefühl zurück, der oder die Handelnde zu sein. Das ist in einem Alltag, der überwiegend daraus besteht, dass wir auf etwas reagieren, ein königliches Gefühl. Man selbst bestimmt, wo die Grenzen liegen und manchmal überwindet man sie sogar.
Mich haben im letzten Jahr zwei Laufgeschichten ganz besonders berührt. Starten wir mit dem Mann, der 40 Jahre seines Lebens körperlich inaktiv, Dauersitzer mit einem belastenden beruflichen Alltag und Übergewicht war. Er beschließt, das Ruder herumzureißen, als er die 65 schon weit überschritten hat. Er beginnt zu laufen, wobei sein Sohn, der normalerweise Top-Athleten trainiert, ihn unterstützt, ihm die Pläne schreibt, ihn motiviert.
Nach eineinhalb Jahren Training ist Lothar im letzten Jahr gemeinsam mit seinem Sohn seinen ersten Marathon gelaufen. Der Stolz und die Freude, das bewältigt zu haben, standen den beiden ins Gesicht geschrieben. Ich habe die Geschichte auf Facebook verfolgt, und sie bestätigt meine Ansicht, dass Laufen viel mehr ist als nur ein Fitness-Training. Es kann sogar Leben retten.
Wie bei Eike T., den ich bei meinem Speck-Weg-Lauf Ende Dezember kennengelernt habe. Ihm hatte man nach einer Krebsdiagnose noch ein halbes Jahr gegeben. Und was macht er? Er denkt sich, dass jeder in seinem Leben mal einen Marathon gelaufen sein sollte. Also zog er sich die Laufschuhe an, begann seine Runden zu drehen und lief kurz vor der ersten Operation im Oktober 2000 seinen ersten Marathon in Dublin.
Lange Zeit sich vorzubereiten, hatte er nicht, trotzdem bewältigte er die Distanz. Dann kam die Chemotherapie, und Eike dachte sich: Wenn die Ärzte mir neun Chemotherapien im Jahr zumuten, dann kann ich auch neun Marathons laufen. Gesagt, getan.
Insgesamt wurden es 121 Marathons. Heute geht Eike die Wettkampfstrecken, anstatt sie zu laufen. Die Zeiten sind ihm egal, denn wenn er im September 80 Jahre alt wird, wird er das mit einem Halbmarathon besiegelt. Nur das zählt.
Jeannette Hagen
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