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Laufen als Leidenschaft. Wie hier beim Frauenlauf im Berliner Tiergarten.
© Gregor Fischer/dpa

Kolumne „Losgelaufen“: Wie das Laufen einem Universum gleicht

Unsere Kolumnistin war in ihrem Leben bislang auf keiner Ebene so ausdauernd wie beim Laufen. Und schließt dabei so manche Motivationslücke.

Wer das Laufen als festen Bestandteil in sein Leben integriert hat, weiß, dass es ab und an eine Phase gibt, in der die Motivation im Keller ruht. Mir geht es seit ein paar Tagen so. Besonderes Merkmal dieser Phase: Noch bevor ich morgens einen Fuß auf den Boden gesetzt habe, fallen mir etliche Gründe ein, warum ich nicht laufen kann, will oder sollte. Schlechtes Wetter ist sehr beliebt, gefolgt von leichtem Kratzen im Hals oder – wenn es ganz schlimm ist, stelle ich sogar die Sinnfrage.

Und dann? Dann ziehe ich mir die Schuhe an und laufe los. Für diese Leistung liebe ich mein Gehirn. Oder das, was darin wohnt: mein Über-Ich, mein Erwachsenen-Ich oder vielleicht auch mein Eltern-Ich. Jedenfalls der Teil, der sich über mein Gejammer und so manches durchaus glaubwürdige Argument hinwegsetzt und mir die Botschaft: „Hör auf zu quatschen und lauf!“ so unmissverständlich in mein Bewusstsein einspeist, dass ich gar nicht anders kann, als zu gehorchen.

Fahren mit dem Fahrrad kann Laufen nicht ersetzen

Manchmal wird gerade das der beste Lauf, also einer von vielen, bei dem ich fröhlich in innere Selbstbejahung vertieft, komplett vergesse, dass ich vor ein paar Minuten noch gebockt habe wie ein alter Esel. Manchmal ist es aber auch so, dass mein Gehirn weiterhin Höchstleistungen vollbringen muss, um meine Füße und mich am Laufen zu halten. Dann schleppe ich mich durch meine Runde, empfinde jeden kleinen Anstieg als persönlichen Affront und frage mich, warum es ausgerechnet eine Sportart sein muss, die durch ihre Eintönigkeit ja geradezu nach Motivationslöchern schreit.

Wenn ich mein bisheriges Leben anschaue, dann war ich auf keiner anderen Ebene so ausdauernd wie beim Laufen. Gut 30 Jahre freiwillig, bedingungs- und erwartungslos an etwas festzuhalten, ist eine Leistung. Natürlich gab es, wie schon in meiner ersten Kolumne erzählt, Auszeiten. Allein durch die drei Schwangerschaften. Zwischendurch bin ich auch mal auf das Fahrrad und auf Inline Skates umgestiegen, weil ich dachte, dass das sicher auch seinen Reiz hat.

Am Ende waren es aber immer wieder die Laufschuhe, die mich zur Bewegung verführt haben. Vielleicht weil ich pragmatisch bin und es so unkompliziert ist, zu laufen. Ich brauche kein Wasser, kein Studio, keine Matte, die ich irgendwo ausrollen muss. Ich, meine Schuhe, ein paar Klamotten und einigermaßen fester Boden unter den Füßen und schon läuft es.

Gefühl von Freiheit. Im goldenen Herbst lädt die Natur zum Laufen ein.
Gefühl von Freiheit. Im goldenen Herbst lädt die Natur zum Laufen ein.
© Wolfgang Kumm/dpa

Für viele undenkbar. Für viele todlangweilig, einfach nur zu laufen. Für mich ein Universum, weil es keinen Lauf gibt, der einem anderen gleicht. Möglicherweise muss ich also gar nicht die Transaktionsanalyse und ihre Ich-Zustände bemühen, um zu erklären, was mich aus meinen Motivationslöchern zieht. Es reicht zu wissen, dass es mir guttut, meinen Körper im Laufschritt zu bewegen. Nachzuspüren, was es auslöst, wenn ich zwischendrin mal die Lauftechnik verändere oder der Untergrund wechselt.

Den Gedanken zuzuhören, die, manchmal diskret und manchmal eindringlich laut, die Schritte begleiten. Und draußen oder noch besser: in der Natur zu sein – wunderbar. Sie merken schon, ich komme ins Schwärmen und läute damit ganz offiziell das Ende der Motivationslücke ein. Allerdings nicht ohne zu fragen: Wie ist es bei Ihnen? Was bringt Sie zum Laufen oder was hält sie davon ab? Schreiben Sie mir! Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

Jeannette Hagen ist freie Autorin in Berlin, Sportlehrerin und Läuferin. Hier schreibt sie im Wechsel mit Radsporttrainer Michael Wiedersich.

Jeannette Hagen

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