Der Bundesliga-Chef im Porträt: Wie Christian Seifert den deutschen Profifußball retten will
Die Deutsche Fußball-Liga berät, wie ein Neustart der Bundesliga ablaufen könnte. Dabei setzen die Profiklubs auf Krisenmanager Christian Seifert.
An der Torwand des ZDF-Sportstudios sind Christian Seifert einmal vier Treffer gelungen. Zwei unten, zwei oben. Gemessen an dem, was in den vergangenen vier Jahrzehnten echte Fußballprofis, ja sogar die größten Stars der Branche, dort geboten haben, war das eine kleine Sensation. Nur acht überhaupt waren besser als er, Günter Netzer und Rudi Völler zum Beispiel, oder Frank Pagelsdorf, die jeweils fünfmal trafen.
Das gemeine Fußballvolk kennt Seifert kaum. Und wenn, dann eigentlich nur im Anzug. Es hätte aber vermutlich nichts dagegen, wenn ihm am Donnerstag ein großer Wurf gelingen würde. Dann nämlich findet die virtuelle Vollversammlung des deutschen Profifußballs statt. Es geht dabei zuvorderst um die Frage, ob und ab wann der Spielbetrieb im bezahlten Fußball wieder aufgenommen werden kann. Freilich ohne Publikum und unter strengen Hygienebestimmungen.
[Alle wichtigen Updates des Tages zum Coronavirus finden Sie im kostenlosen Tagesspiegel-Newsletter „Fragen des Tages“. Dazu die wichtigsten Nachrichten, Leseempfehlungen und Debatten. Zur Anmeldung geht es hier.]
Die Wucht der Coronavirus-Krise hat auch den Fußball in seiner Spitze in die Knie gezwungen. Seit dem zweiten März- Wochenende ruht der Spielbetrieb. Erst einmal bis zum 30. April. Nach positiven Signalen aus der Politik, wie von den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen und Bayern, hofft die Deutsche Fußball- Liga (DFL) nun, den Spielbetrieb ab Mitte Mai wieder aufnehmen zu können. Am Mittwochabend zeigte sich auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn offen für die sogenannten Fußball-Geisterspiele. Wie aus internen DFL-Kreisen zu hören ist, stehen sowohl ein umfangreiches Hygiene- als auch das Produktionskonzept für die übertragenden Sender.
Der Mann, der das Vorhaben jetzt zu organisieren hat, ist Christian Seifert. Der 50 Jahre alte Badener ist Chef der DFL mit ihren 36 Profivereinen der Bundesliga und Zweiten Liga. Es geht um eine Perspektive für beide Ligen, auch wenn unter erschwerten Bedingungen. „Man darf Geisterspiele nicht schöner reden als sie sind. Aber es ist die einzige Möglichkeit für die Bundesliga“, sagte Seifert eben erst der „Bild“-Zeitung.
Vor ein paar Wochen hat Seifert ganz andere Sätze gesagt. Es gehe um die Existenz des bezahlten Fußballs, betonte er. Die sollen die Füße mal schön stillhalten, war eine weitverbreitete Meinung im Land, das unter großen Einschränkungen ächzt. Viele Menschen sind in Kurzarbeit, haben Angst um ihren Job und vor schwerer Krankheit.
Eine Abbruch der Saison würde die Branche 750 Millionen Euro kosten
Er habe vollstes Verständnis, wenn in Zeiten wie diesen die Leute den Spielbetrieb der Bundesliga auf die gigantischen Spielergehälter und das bisweilen überkandidelte Kommerzgebaren einiger Klubs reduzierten und deshalb nichts hören wollten von den Klagen dieses verwöhnten Profisports, sagt Seifert.
Aber dieses Produkt Profifußball mache eben nicht nur eine kleine Gruppe junger Fußballspieler reich, sondern es garantiere mindestens 55 000 Menschen Arbeit und Auskommen. Die Einnahmeverluste für die Branche durch einen Komplettabbruch der Spielzeit bezifferte Seifert auf 750 Millionen Euro.
Das ist das Geld, das vorrangig aus der Fernsehvermarktung kommt. Die mediale Vermarktung bringt dem deutschen Profifußball 1,48 Milliarden Euro pro Saison ein. Das sind etwa 37 Prozent der Gesamteinnahmen. Und Seifert dirigiert die Vermarktung der Medienrechte. Der aktuelle Vertrag läuft noch bis kommenden Sommer. Die Ausschreibung der Medienrechte für die Spielzeiten von 2021/22 bis 2024/25 ist zunächst bis in den Juni verschoben worden. Für die laufende Periode waren die Preise um 80 Prozent gestiegen.
Christian Seifert kam 2005 zur DFL, zuvor war er bei anderen Medienunternehmen wie der MGM Media Gruppe, dem Musiksender MTV und der Karstadt-Quelle New Media AG tätig. Damals, kurz nach der Kirch-Krise im deutschen Fußball, formte und prägte Seifert die Organisation des deutschen Profifußballs neu. Und mit ihm an der Spitze kannte die Entwicklung der Etats, der Umsätze und der Erlöse aus der nationalen und internationalen Vermarktung jahrelang nur eine Richtung – nach oben. Nun aber muss sich Seifert als Krisenmanager beweisen.
„Wir erwarten keine Sonderrechte“, sagte er für den Fall, dass Geisterspiele unter strengen Hygieneregeln stattfinden werden. „Es wird niemals so sein, dass der Fußball einer systemrelevanten Person einen Test wegnimmt.“ Sein Ziel bleibt es, die Saison zu einem Abschluss zu bringen.
Mit ihrem Weg könnte die DFL eine Vorreiterrolle für den globalen Sport einnehmen. In gewisser Weise steht Seifert also nun besonders im Feuer. Druck bekommt der Ligachef von allen Seiten. Viele Klubs, insbesondere in der Zweiten Liga, ringen trotz des Gehaltsverzichts zahlreicher Profis und Vorstände ums Überleben. Viele Erst- und Zweitligisten hängen förmlich am Tropf der Medienerlöse.
[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.
Aus den aktiven Fanszenen gibt es hingegen viel Widerstand. Und auch die Gewerkschaft der Polizei lehnt Geisterspiele ab. „Auch ohne Seuche ist Fußball sehr personalintensiv für die Polizei“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende Jörg Radek. Würde die Saison jetzt mit Geisterspielen fortgesetzt, bestehe die Gefahr, dass Fans sich vor den Stadien versammeln, um ihre Teams zu unterstützen. „Fußballspiele würden dann für die Polizei einen noch höheren Personalaufwand bedeuten“, sagte Radek.
Menschen, die Seifert gut kennen oder regelmäßig mit ihm zu tun haben, beschreiben ihn als für einen Manager ungewöhnlich bescheidenen und bodenständigen Menschen. Er sei ein Familienmensch, ein guter Zuhörer und in seinem Amt frei von Profilneurosen. In Essen hat er Kommunikationswissenschaften, Marketing und Soziologie studiert. Sein Abitur legte er an einem technischen Gymnasium ab, seine Hauptfächer waren Technik und Physik. Er könne Zusammenhänge schnell erkennen und rasch abstrahieren.
Mittelfristig steht der Fußball vor einer Zeitenwende, auch wenn das noch nicht jeder Player dieser Branche weiß oder wahrhaben will. Auch der Fußball braucht kreative Lösungen, die über diesen Sommer hinausreichen. Der Profifußball, auch der deutscher Prägung, trägt bisweilen ein gewisses Ego vor sich her. Dass Seifert ein Mann ist, der nicht anfällig für Kumpanei und Kungelei ist, kann in der momentanen Situation von Vorteil sein.