zum Hauptinhalt
Die Weltmeister von 2014 - mit dem WM-Pokal!
© Reuters

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Weltmeister für alle

Viermal Weltmeister, dreimal Europameister - die Fußball-Nationalelf ist "die Mannschaft" in Deutschland. Und das nicht erst seit dem WM-Titel 2014.

Im Juni 2015, ein knappes Jahr nach dem Gewinn des vierten WM-Titels, hat die deutsche Fußball-Nationalmannschaft noch einmal unnötigen Ballast abgeworfen. Man möge sie doch bitte künftig nicht mehr "die Nationalmannschaft" nennen, hat ihr Manager Oliver Bierhoff verkündet, sondern nur noch "die Mannschaft". Im internationalen Sprachgebrauch habe sich diese Bezeichnung schließlich längst durchgesetzt: the Mannschaft, la Mannschaft, de Mannschaft – da weiß jeder, wer gemeint ist. 

Mal abgesehen davon, dass es natürlich anmaßend ist, sich "die Mannschaft" zu nennen, wenn es allein unter dem Dach des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) fast 162.000 Mannschaften gibt: Niemand wird bestreiten, dass die Nationalmannschaft die wichtigste Mannschaft des Landes ist, die, mit deutlichem Abstand, klare Nummer eins im gesamten deutschen Sport. Ein Beleg: Unter den Top Ten der am meisten gesehenen Fernsehsendungen Deutschlands befinden sich exakt zehn Länderspiele der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Angeführt wird die Liste mit fast 35 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von knapp 90 Prozent vom WM-Finale 2014 (1:0 gegen Argentinien). 

Die Weltmeisterschaft in Brasilien mit dem rauschhaften 7:1-Sieg im Halbfinale gegen den Gastgeber und dem ersten Titelgewinn der Deutschen seit der Europameisterschaft in England 18 Jahre zuvor hat die Begeisterung für die Nationalmannschaft noch einmal in neue Sphären befördert. Das Team von Bundestrainer Joachim Löw steht nicht nur für attraktiven Fußball, es sieht sich auch als modellhaft für die gesellschaftliche Realität des Landes. Dass Nationalspieler heutzutage nicht mehr nur Maier, Müller oder Schulze heißen, sondern auch Mesut Özil, Jerome Boateng oder Sami Khedira, gilt inzwischen als normal. "Die Nationalmannschaft ist ein Paradebeispiel dafür, wie Integration erfolgreich und ganz selbstverständlich gelebt wird", sagt Bierhoff. Politik und Gesellschaft haben sich mit der Anerkennung dieser Tatsache deutlich schwerer getan. 

Mehr als 900 Länderspiele hat die Nationalmannschaft seit dem Debüt am 5. April 1908 (3:5 gegen die Schweiz) bestritten. Doch während sie bis zum Zweiten Weltkrieg nur leidlich erfolgreich war (Platz drei bei der WM 1934), zählt die Nationalmannschaft seit Mitte der fünfziger Jahre beinahe durchgehend zur Weltspitze. An der Weltmeisterschaft 1950 in Brasilien durften die Deutschen noch nicht teilnehmen – nur vier Jahre später aber gelang ihnen als krasser Außenseiger der große Coup. Durch einen 3:2-Sieg gegen die Übermannschaft der Ungarn, die zuvor 31 Spiele nicht verloren hatte, gewann das Team von Bundestrainer Sepp Herberger am 4. Juli 1954 im Wankdorfstadion von Bern zum ersten Mal den WM-Titel. 

Das Wunder von Bern löst 1954 ungeahnten Jubel aus

Der Erfolg ist als das "Wunder von Bern" in die Geschichte eingegangen und hat neun Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg bei den Menschen in Deutschland, nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR, ungeahnten Jubel ausgelöst. Bei ihrer Rückkehr aus der Schweiz wurden die Weltmeister begeistert empfangen und wie Helden gefeiert. "Der 4. Juli 1954 ist in gewisser Hinsicht das Gründungsdatum der Bundesrepublik", hat der Historiker und Publizist Joachim C. Fest behauptet. Und Fritz Walter, den Kapitän der Weltmeisterelf, hat er als mentalen Gründungsvater der Republik bezeichnet. 

Es ist eine nette Spielerei, Analogien zwischen den politischen Zuständen des Landes und dem Spiel der Nationalmannschaft herzustellen. Sepp Herberger und Fritz Walter werden zu typischen Vertretern der Ära Adenauer umgedeutet. Der EM-Titel 1972 der vielleicht spielerisch besten Nationalmannschaft der Geschichte fällt genau in die Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs unter Bundeskanzler Willy Brandt, während der nüchterne Erfolg bei der Weltmeisterschaft 1974 im eigenen Land seine Entsprechung in der Politik des nüchternen Hanseaten Helmut Schmidt ("Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen") gefunden hat. Und 1990, als die Deutschen im Jahr der Wiedervereinigung sowieso als das glücklichste Volk der Erde galten, lieferte ihnen der WM-Titel von Rom noch einen weiteren Grund zum Feiern. Beim Rest der Welt wächst derweil die Furcht vor einer anhaltenden Dominanz der Deutschen, politisch wie fußballerisch. 

1990 sind die Deutschen das glücklichste Volk der Welt

Als wenn das im Fußball etwas Neues wäre: Selbst in Phasen, in denen der deutsche Fußball kaum wettbewerbsfähig schien, war mit der Nationalmannschaft immer zu rechnen. Sie hat sich daher vor allem als Turniermannschaft einen Namen gemacht. Vier Titel bei Weltmeisterschaften (1954, 1974, 1990, 2014) und drei bei Europameisterschaften (1972, 1980, 1996) zeugen von der Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Kein anderes Land, nicht einmal Rekordweltmeister Brasilien, hat zudem so oft im WM-Finale gestanden wie die Deutschen (acht Mal); allerdings hat auch keins so oft im Endspiel (vier Mal) verloren. 

Trotz herausragender Spielerpersönlichkeiten wie Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer oder Rekordnationalspieler Lothar Matthäus (150 Länderspiele) wurde die deutsche Nationalmannschaft in der Vergangenheit vor allem wegen ihrer kämpferischen Wucht gefürchtet. Echte Bewunderung für ihre spielerische Leichtigkeit genießt sie erst seit einigen Jahren, und das sogar von der internationalen Konkurrenz. Bundestrainer Jürgen Klinsmann (2004 bis 2006), der Revolutionär aus dem fernen Kalifornien, hat 2004 den Wandel eingeleitet, sein Assistent Joachim Löw hat ihn nach seiner Beförderung zum Bundestrainer (2006) weitergeführt und mit dem WM-Titel in Rio zum Abschluss gebracht. Löw profitiert natürlich auch von der Reform der Nachwuchsausbildung, die der DFB im Jahr 2000 nach der desaströsen EM in Holland und Belgien (Aus in der Vorrunde) auf den Weg gebracht hat. So viele gute Fußballer wie derzeit hat es in Deutschland lange nicht gegeben. Anders als der euphorisierte Teamchef Franz Beckenbauer 1990 hat nach dem Triumph von Rio trotzdem niemand davon gefaselt, dass die Nationalmannschaft nun auf Jahre hin unschlagbar ist.  

Zur Startseite