Sport: Der Fremde
Der Bundestrainer hat mit seinem Mut schon viel bewegt – doch trotz seiner smarten Zielstrebigkeit ist er bei manchen nur geduldet, nicht willkommen
Im Düsseldorfer Hilton Hotel sind zwei junge Frauen entzückt. Da geht ja der Jürgen Klinsmann! Sie wagen es, den Bundestrainer anzuhalten, ihn um ein gemeinsames Foto zu bitten. Jürgen Klinsmann nickt spontan und breitet die Arme aus. Nun reihen sich die Damen ein, die eine links, die andere rechts – und Jürgen Klinsmann zeigt seine weißen Zähne. Das Hotelpersonal klatscht schüchtern, die mutigen Bittstellerinnen sind glücklich, und Klinsmann wippt federnden Schrittes davon, gerade so, als sei die Leichtigkeit, der Aufbruch immer und überall.
Das Bild ist Symbol für den Mann, der mit Deutschland 2006 Fußball-Weltmeister werden will: wippend und Zähne zeigend – so geht Jürgen Klinsmann durchs Leben. Auf die Nationalmannschaft übertragen kann man feststellen: Kein Bundestrainer oder Teamchef vor ihm, mit Ausnahme Franz Beckenbauers, hat als Chef der wichtigsten deutschen Mannschaft diese Leichtigkeit und gleichzeitig diesen Biss gehabt. Schon bei seiner Vorstellung als Bundestrainer war der nachhaltigste Eindruck Durchsetzungskraft, ja Härte. Damals hat er sein Ziel formuliert: „Ich will Weltmeister werden.“ Mit dieser Ausrichtung setzte er alle Beteiligten unter Druck, und sie ließ erahnen, dass es nicht mehr so harmonisch oder gefühlig wie unter Vogts oder Völler zugehen werde. Ein knappes Jahr später gibt es mindestens diese Gewissheit: Das Konstante an Klinsmann ist die Kontroverse. Das gilt für seine Person wie für seine Methoden. Er ist im Auftreten verbindlich, umgänglich, smart. Aber er denkt und handelt schnell, kühl, kompromisslos. Er hat schon viel bewegt, und doch wirkt er noch wie ein Fremder im deutschen Fußball-Kosmos. Seine Art, die liegt nicht jedem.
Vorbei sind die Zeiten, da sich die deutsche Nationalmannschaft in Randlagen großer Städte verbarrikadierte. Nicht selten spielte sie auch so: verunsichert, defensiv, geschwindigkeitslos. Klinsmann und sein engster Vertrauter, Nationalmannschafts-Manager Oliver Bierhoff, bevorzugen Cityhotels. Bequem, komfortabel und mitten im Leben. Zur neuen Offenheit gehört ein bisschen shoppen, auswärts zu Abend essen und Menschen treffen. Die Schlagworte dieses Stils übertragen auf die neue Spielweise heißen: Aggressivität, Offensive, Risiko.
Seit dem 1. August 2004 ist Klinsmann erst offiziell im Amt, und so ließen auch das enorme Tempo und der konsequente Reformwille aufhorchen. Schon nach den ersten Wochen wurde von Mentalitätswechsel, Aufbruchstimmung und Kulturschock geschrieben. Klinsmann ließ amerikanische Fitnesstrainer einfliegen, verpflichtete einen Sportpsychologen und engagierte einen Schweizer als Chefscout. Dass das nicht nur auf Gegenliebe stoßen würde, nahm der Erneuerer mit den zwei Wohnsitzen Stuttgart-Botnang und Los Angeles/Huntington Beach bewusst in Kauf. Die Deutschen müssten freier und offener werden für Neues. Aber das wurde den Boulevardmedien dann doch zu bunt. Als die Nationalelf kürzlich zur Eröffnung der Allianz-Arena dem FC Bayern unterlag, war plötzlich von Krise die Rede. Nach dem 2:2 gegen Russland mäkelte „Bild“: „Klinsi, das war nix.“ Tags darauf fragte das Flaggschiff des Springer-Konzerns seine Leser unschuldig: „Ist das richtig? Klinsi ab nach Amerika.“ Erst kürzlich hatte Bayerns Manager Uli Hoeneß Klinsmann aufgefordert, seinen Wohnsitz nach Deutschland zu verlegen.
Die „Bild“-Zeitung ist mächtig im Sport, deshalb sind die Beispiele Anhaltspunkte dafür, wie schmal der Grat ist, auf dem sich Klinsmann bewegt. Als Rudi Völler die Brocken hinschmiss, wollte der Boulevard andere Trainer: Otto Rehhagel, Lothar Matthäus. Jürgen Klinsmann stand nicht auf der Liste. Der aktuelle Bundestrainer ist noch immer nur ein Geduldeter, kein Willkommener.
Klinsmann arbeitet so, wie es sich einst die jungen Start-up-Unternehmer erträumt hatten: kabellos und an jedem Ort der Welt übers Internet erreichbar. Das Erste, was beispielsweise der neue Torwarttrainer Andreas Köpke von seinem Chef bekam, war ein fünfstelliger Code. Mit diesem Pin erhält er über ein „Conference Center“ Zugang zur täglichen Lagebesprechung mit Klinsmann, Bierhoff und Assistenztrainer Joachim Löw. Die findet in der Regel nicht vor 16 Uhr deutscher Zeit statt, nämlich dann, wenn Klinsmann am anderen Ende der Welt gefrühstückt und seinen Sohn zur Schule gebracht hat. Für jeden Spieler wurde eine Team-E-Mail eingerichtet. Während früher die Spieler von ihrer Nominierung aus der Post erfuhren, kriegen sie heute eine E-Mail. Hinter vorgehaltener Hand heißt Klinsmann E-Mail-Bundestrainer.
Wie auch immer andere ihn bezeichnen, er selbst legt sich für seine Überzeugung offen an, ohne dabei sein Lächeln zu verlieren. Nur manchmal, in den kleinen Situationen am Rande, da sieht man ihn grantig werden, unmissverständlich weist er dann die Dinge an, die die Angesprochenen zu tun haben. Oder er lässt anlegen. Als in der Allianz-Arena im Spiel gegen die Bayern der deutsche Torwart Lehmann gnadenlos ausgepfiffen wurde, war es Oliver Bierhoff, der sich schützend vor Lehmann stellte und den Bayern vorwarf, sie hätten Einfluss auf die Fans nehmen sollen.
Jürgen Klinsmann trägt gern Sneakers und das Hemd über der Hose. Doch seit seinem Amtsantritt ist er trotz sorgsam gepflegten Images nicht mehr „everybodys darling“. Für Uli Hoeneß ist er „ein guter Schauspieler und ein guter Verkäufer seiner Person“. Fragend warf der mächtigste Manager des deutschen Fußballs ein: „Ob das mit Klinsmann gut geht, weiß man nicht.“ Wahrscheinlich sind es Klinsmanns Direktheit, mit der er Sachen angeht, und seine Prinzipien, mit denen er die Dinge durchzieht, die verstören. Als er im September seine Mannschaft in Berlin erstmals mit grünen Gummibändern um die Fesseln üben ließ, sprang er locker über eine Absperrung und gab einem kleinen Sender ein Interview. Die große Zeitung, die kein Interview bekommen hatte, titelte anderntags: „Nationalelf trainiert Gummitwist – Spielen wir jetzt besser Fußball?“ Deutschland spielte besser und trotzte dem fünfmaligen Weltmeister Brasilien ein 1:1 ab.
In Kalifornien ist der Schwabe in die Lehre gegangen bei Geschäftsmännern wie Mick Hoban und Warren Mersereau. Die besetzten führende Positionen bei Weltfirmen wie Adidas, Nike und Umbro. So kam Klinsmann mit anderen Denkweisen in Berührung, mit sehr direkten Zielvorgaben. Dort hat er gelernt, seine Linie knallhart durchzuziehen und dabei keine Zeit zu verlieren.
Neulich erst traf es Erich Rutemöller, langjähriges Mitglied des Trainerstabes. Klinsmann teilte dem Chef der deutschen Trainerausbildung mit, dass er nicht mehr zum engeren Kreis der Nationalmannschaft gehöre. Am Telefon. „Änderungen haben die beste Wirkung, wenn man sie überraschend ansetzt“, sagt Klinsmann. „Es ist in Deutschland nun einmal so, dass die Dinge an Wirkung verlieren, wenn man sie vorher ankündigt.“
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