Deutsches Tennis: Warten auf den Boom
Im deutschen Tennis bewegt sich nach Jahren der Stagnation wieder etwas – auch dank neuer Strukturen. Vor den Australian Open herrscht deswegen viel Optimismus.
Als Boris Becker im Spätsommer 2017 zum Deutschen Tennis-Bund (DTB) zurückkehrte, kam er an Krücken. Das passte gut zum Bild, das der DTB in den Jahren zuvor abgegeben hatte: Ein finanziell gebeutelter Verband, der seine Hoffnung in einen vom Leben gezeichneten, früheren Superstar setzte. Als Becker seinerzeit in Frankfurt kurz nach einer Operation am Sprunggelenk vorgestellt wurde, gab es durchaus Zweifel daran, ob die Zusammenarbeit tatsächlich fruchtbar sein würde.
Auch wenn der DTB angesichts der Erfolge einer Angelique Kerber und dem Aufstieg des neuen Sterns Alexander Zverev selbst eine Art Aufbruchstimmung ausgemacht hatte. Knapp anderthalb Jahre später sagt Becker: „Es bewegt sich was, das ist klar zu erkennen.“
Vor einer Woche hatte der DTB zum Internationalen Tenniskongress ins Berliner Estrel-Hotel geladen. Gekommen waren Experten und Funktionäre von der heimatlichen Basis und weltweit anerkannte Fachleute wie Judy Murray, Mutter des früheren Weltranglistenersten Andy Murray und lange Jahre dessen Trainerin, oder Günter Bresnik, der Coach von Top–Ten-Spieler Dominic Thiem.
Dazu hatte der DTB fast seine komplette Führungsriege am Start, vom Präsidenten Ulrich Klaus über Sportdirektor Klaus Eberhard bis zu den Chefs für die sportlichen Bereiche bei Frauen und Männern, Barbara Rittner und Boris Becker.
Die Stimmung im Hotel war an der Grenze zur Euphorie, was auch daran lag, dass das deutsche Team Kerber/Zverev beim Hopman-Cup beinahe den Titel geholt hätte. „Das gab es über 20 Jahre nicht, dass Deutschland einen Tennis-Weltmeister hat und eine Wimbledonsiegerin hat. Das ist schon allerhand“, sagte Becker und erklärte die allgemeine Erregung mit den Worten: „Wir gucken, wir sind alle nervös. Wir haben in Perth gespielt, nicht nur Kerber oder Zverev. Das macht es aus.“
Im Fernsehen eher Spartenprogramm
Steht Deutschland tatsächlich wieder an der Schwelle zum Tennisboom? Ein Boom, der trotz aller Erfolge einer Angelique Kerber in ihrem Traumjahr 2016 eher mau ausfiel. Und der sich selbst nach ihrem Sieg beim größten Turnier der Welt im Vorjahr nicht so richtig einstellen wollte. Braucht es womöglich doch einen männlichen Tennishelden, einen wie Alexander Zverev? Oder muss es noch mehr sein? Vielleicht ein erfolgreiches Team im Davis- oder Fed-Cup? „Mein Optimismus ist groß, auch was die anderen Spieler angeht. Die haben die jüngsten Erfolge ja auch mitbekommen“, sagt Becker und spielt den Ball weiter: „Ich hoffe, dass die Medien das auch würdigen und respektieren.“
Gerade im Fernsehen war Tennis in den vergangenen Jahren eher Spartenprogramm. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten und die großen Privatsender machen um die Sportart auch weiterhin einen Bogen. Als die Rechte für Wimbledon zuletzt bis 2022 neu vergeben wurden, sicherte sich der Bezahlkanal Sky erneut den Zuschlag. Exklusiv. Auch wenn Becker sagt, er würde „gern mal das eine oder andere Tennisspiel“ bei den Öffentlichen oder im Privatfernsehen schauen, weil das „die Spieler verdient hätten“, wird sich in dieser Hinsicht in naher Zukunft wohl nichts ändern.
Also müssen Becker und Rittner weiter an der Basis das deutsche Tennis voranbringen, und hier hat sich in der Tat in den vergangenen Jahren etwas getan. Es gibt inzwischen vier Bundesstützpunkte, in denen die Talente von hauptamtlichen Bundestrainern betreut werden. Vor einiger Zeit reichte das Geld nur für drei und nicht immer waren die für die Ausbildung Verantwortlichen dabei erste Wahl. Inzwischen hat der DTB vermehrt frühere Profis als Coaches gewinnen können – was durchaus auch ein Verdienst von Rittner und Becker ist.
Allerdings hat der Verband auch wieder ein bisschen mehr Geld zur Verfügung, weil Tennis erstmals seit 2017 vom Bundesinnenministerium gefördert wird. Um welche Summe es sich dabei handelt, ist spekulativ. Sie soll im mittleren sechsstelligen Bereich liegen. In der Hochzeit von Becker, Steffi Graf und Michael Stich hatte der DTB noch so viele Mittel zur Verfügung, dass er auf öffentliche Gelder nicht angewiesen war. Als die Schulden dann immer größer wurden, kämpfte der Verband um einen Platz an den Fördertöpfen. Irgendwann mit Erfolg.
Trotz des jüngsten sportlichen Aufschwungs gehen die Mitgliederzahlen im deutschen Tennis allerdings weiter zurück. 2018 gab es noch 1 383 893 organisierte Spieler in 9026 Vereinen – rund 8000 weniger als im Jahr zuvor. Seit dem Höchststand 1994 mit mehr als 2,4 Millionen aktiven Klubmitgliedern ist die Zahl danach in jedem Jahr gesunken. Das gilt auch für die Gesamtzahl der Klubs und weniger Spieler bedeuten auch weniger Plätze. Eine Spirale, die nur schwer in der Tendenz umzukehren ist.
Um das zu schaffen, sind Erfolge in der Spitze nötig. Da sieht die Zukunft bei den Männern derzeit etwas besser aus. Zverev ist erst 21, dass er irgendwann die Nummer eins wird und Grand-Slam-Titel gewinnt, gilt als ausgemacht. Doch trotz seines WM-Titels im November in London, ist er bei den am Montag beginnenden Australian Open noch mehr Herausforderer als Topfavorit.
Hinter Zverev drängt mit Rudi Molleker ein weiterer Youngster nach vorn. Der 18-Jährige vom LTTC Rot-Weiß Berlin hat in Melbourne erstmals das Hauptfeld bei einem Grand Slam erreicht. Seine Entwicklung verfolgen sie beim DTB sehr gespannt.
Seit 2017 kommen auch Fördermittel vom Bund
Im Frauenbereich klafft hinter der goldenen Generation um Kerber, Julia Görges, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki allerdings „eine Lücke“, wie auch Barbara Rittner zugeben muss. Rittner hat viel dazu beigetragen, dass Deutschland überhaupt eine solch erfolgreiche Generation herausbilden konnte. Jetzt arbeitet sie neben ihrer Funktion als Head of Women’s Tennis im DTB auch als Bundestrainerin in Stuttgart, ihr Vertrag wurde gerade verlängert. Sie hofft auf „die Jahrgänge 2003 und 2004“, denen sie mehr zutraut als den heute 18- oder 19-Jährigen.
Rittner wird für ihre Tätigkeit auch entlohnt, anders als Becker. „Wenn Sie mich für die Tage oder Wochen bezahlen wollen, wird das teuer werden. Entweder mache ich so etwas gerne oder gar nicht.“ Und deshalb ist er mit Begeisterung bei der Sache, wie er selbst sagt, denn die Zielrichtung sei klar: „Das ist Gewinnen, das ist Erfolg. Die besten Spielerinnen und Spieler auszubilden, um an die Spitze zu kommen.“
Becker spricht von „einem langen Weg“, der vor ihm und seinem Team liege, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Anders als vor anderthalb Jahren dürfte mittlerweile aber wohl fast jeder glauben, dass es ihm ernst ist und er den Job vor allen Dingen aus Leidenschaft betreibt, „weil ich das mit dem Tennis von Kindesbeinen an gerne und gut mache“, wie er sagt.
Und so gibt es im deutschen Tennis zwar viel zu tun, um an einstige Erfolge anzuknüpfen, aber der Verband ist zumindest kein Patient mehr, der auf Krücken angewiesen ist. Genau wie Boris Becker, dessen Gang zuletzt in Berlin dazu passend fast schon federnd-elegant war.