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Nummer eins im Team und in der Tenniswelt. Angelique Kerber mit Bundestrainerin Barbara Rittner.
© Imago

Tennis-Bundestrainerin Barbara Rittner: "Angelique Kerber ist jetzt viel selbstbewusster"

Barbara Rittner lobt die Willensstärke und das Auftreten von Angelique Kerber und wünscht sich mehr Tennis bei ARD und ZDF. Ein Interview.

Frau Rittner, wie schaltet eine Tennis-Bundestrainerin vom Tennis ab?

So richtig geht das eigentlich nur ganz selten. Im Sommer mal für 14 Tage und jetzt rund um den Jahreswechsel. Da bin ich wirklich nur in dringenden Fällen per E-Mail erreichbar. Aber bis Weihnachten hatte ich noch richtig zu tun. Schließlich gibt es viele Dinge aufzuarbeiten und das Jahr 2017 zu planen.

Und schon Anfang Januar geht auch für Sie in Australien die neue Saison los.

Ja, ich fliege am 10. Januar hin, um auch die jüngeren Spielerinnen in der Qualifikationsrunde der Australian Open zu unterstützen. Am 16. Januar beginnt das Turnier dann richtig und danach geht es auch gleich weiter mit dem Fed Cup auf Hawaii gegen die USA.

Australien, Hawaii – sie kommen regelmäßig dahin, wo andere gern Urlaub machen würden.

Tatsächlich kenne ich viele dieser Orte nur als Reiseziele im Tennis. Klar, wenn wir auf Hawaii sind, wird es dort sehr schön sein. Wir werden in einem Resort direkt am Meer spielen. Aber ich pendele eigentlich nur zwischen Hotel und Platz, das ist pure Arbeit. Und ich bin leider Gottes auch nicht der Typ, der dann hinterher noch entspannt ein paar Tage dranhängt und genießt, wo er ist. Ich muss immer schnell von dort weg, wo ich gearbeitet habe.

Was bedeutet denn für Sie Entspannung?

Vor allem Zweisamkeit mit meinem Lebensgefährten zu verbringen. Außerdem nicht im Hotel leben zu müssen. Mal selber kochen, einkaufen und mit dem Hund spazieren gehen. Das klingt für andere wie Alltag. Aber wenn wir jetzt mal zwischen Weihnachten und Neujahr für ein paar Tage in den Bergen sind, die Seele baumeln und das vergangene Jahr Revue passieren lassen können, ist das für mich wirklich pure Entspannung.   

Wenn Sie an 2016 denken: War das vergangene für Sie das schönste Jahr als Tennis-Bundestrainerin?

Für mich hat als Bundestrainerin natürlich der Fed Cup höchste Priorität. Und da war 2014 besser, als wir es bis ins Finale geschafft haben. Aber natürlich war es für mich auch toll, die Erfolge von Angelique Kerber unmittelbar mitzuerleben. Ich kenne sie seit 15 Jahren und jetzt ist sie die Nummer eins, gewinnt Grand-Slam-Turniere und Olympiasilber. Das ist auch für mich etwas ganz Besonderes.

Wie groß ist Ihr Anteil an den Erfolgen von Angelique Kerber?

Das müssen andere beurteilen respektive Angie selbst. Ich denke, ich bin einfach eine konstante Person im Hintergrund, die immer mit Rat und Tat zur Seite steht. Vor allem auch in schwierigen Zeiten. Jetzt, wo es so gut läuft, habe ich mich ein bisschen zurückgezogen. Ich bin natürlich bei den Grand Slams da oder wir reden beim Fed Cup viel miteinander. Aber ich möchte eigentlich nicht bewerten, wie groß mein Anteil an Angies Entwicklung zur Nummer eins ist. Ich freue mich mit ihr, mein Herz geht da voll mit.

Hat der Erfolg Angelique Kerber verändert?

Grundsätzlich ist sie die Gleiche wie vorher. Sie ist einfach sehr bodenständig. Auch die Menschen um sie herum. Angie bittet ja sogar darum, dass man ihr sagt, wenn sie sich irgendwie anders als vorher verhält. Trotzdem verändert so ein Erfolg einen Menschen natürlich. In ihrem Falle ist es so, dass sie jetzt viel selbstbewusster ist. Durch ihre vielen öffentlichen Auftritte strahlt sie eine ganz andere Selbstsicherheit aus. Sie ist schlagfertiger in ihren Antworten, gibt auch mehr von sich preis. Manche denken, da ist ein Touch Arroganz dabei. Das ist aber mitnichten so. Sie konzentriert sich einfach nur auf sich selbst.

Wie wirkt sich dieser Status als beste Spielerin der Welt auf das deutsche Team aus?

Als Nummer eins ist sie natürlich die absolute Teamleaderin. Aber sie braucht natürlich die volle Energie für ihre Einzelkarriere. Da hat sie nicht mehr so viel Zeit, sich um andere Teammitglieder zu kümmern. Die anderen müssen sich an ihr orientieren und Motivation aus Angies Erfolgen ziehen. Angie ist aber auch nicht der Typ, der jetzt viel mit anderen redet oder Kolleginnen motiviert. Sie geht einfach mit gutem Beispiel voran. Für eine Trainerin ist so eine Nummer eins einerseits toll, andererseits hat sie jetzt so viele Termine. Da kann ich nur hoffen, dass sie gesund bleibt, damit sie auch künftig im Fed Cup eine tragende Rolle spielen kann.

Sie haben mit Andrea Petkovic, Sabine Lisicki, Julia Görges und Angelique Kerber vier Spielerinnen in Ihrer Entwicklung erlebt: Warum hat Kerber es ganz nach oben geschafft und die anderen nicht?

Angie ist extrem ruhig und unaufgeregt. Sie hat immer geschaut, wie sie sich verbessern kann und weitergearbeitet. Sie lässt sich nicht so leicht ablenken. Der Fokus liegt bei ihr immer auf dem Tennis. Dagegen ist eine Sabine Lisicki sehr emotional, sie genießt die Dinge und lässt die Öffentlichkeit auch daran teilhaben. Auch eine Andrea Petkovic hat emotional unglaubliche Ups und Downs. Ich glaube, da ist Angie über all die Jahre einfach ausgeglichener gewesen.

Hat der Kopf im Falle von Kerber also den Unterschied ausgemacht?

Ich glaube, Angie ist am härtesten mit sich selbst ins Gericht gegangen. Sie hat sich wirklich hingesetzt und sich gefragt, warum es nicht läuft und was sie da noch machen kann. Dafür hat sie sich Leute geholt und an Sachen gearbeitet, sich immer weiter verbessert und nie den Glauben daran verloren, es nach ganz oben schaffen zu können.

Wie geht es weiter mit Sabine Lisicki und Andrea Petkovic?

Sabine Lisicki stand vor drei Jahren noch im Wimbledon-Finale – jetzt geht bei ihr wenig. Wie schwer ist es, den ganzen Rummel auszublenden, der nach so einem großen Erfolg auf einen einprasselt?

Ein stabiles Umfeld ist sehr wichtig. Aber jeder muss für sich den richtigen Weg finden. Auch eine Angie Kerber hat nach dem Sieg in Australien dafür eine Zeitlang gebraucht. Sabine ist extrovertierter und hat sich noch mehr als Angie der Öffentlichkeit gestellt. Bei Angie kam das auch, aber erst später, am Ende der Saison. Wenn man das mit Sabine vergleicht, würde man meinen, die haben ungefähr gleich viel gemacht. Dabei stand Sabine „nur“ in einem Finale, bei Angie geht ja fast schon unter, dass sie neben ihren beiden Siegen in Melbourne und New York auch noch im Wimbledon- und Olympia-Endspiel stand.

Sie haben 1991 den Wimbledon-Juniorentitel gewonnen. Wie sind Sie damals mit den gestiegenen Erwartungen umgegangen?

Als ich 1991 den Titel bei den Juniorinnen holte, haben Steffi Graf und Michael Stich bei den Frauen und Männern gewonnen. Da war mein Sieg erst einmal uninteressant. Trotzdem war ich natürlich auch sehr ehrgeizig, aber in einer Karriere gibt es Dinge, von denen die Öffentlichkeit gar nichts erfährt. Als ich knapp an den Top 20 war, haben sich zum Beispiel meine Eltern getrennt. Als Mensch musst du damit erst einmal umgehen. Und das ist für einen Tennisspieler nicht leichter als für andere. Und dann ist es natürlich nicht leicht, auch noch irgendwelche Erwartungen der Öffentlichkeit zu erfüllen, weil du selbst erst einmal völlig aus dem Gleichgewicht bist.

Kann denn eine Sabine Lisicki noch einmal zurückkommen?

Sabine hatte so eine harte Zeit hinter sich, wo sie sich wirklich nicht auf Tennis konzentrieren konnte. Aber genau das muss jetzt wieder passieren. Sie trainiert derzeit hart bei Nick Bollettieri, aber natürlich muss sich auch das Selbstvertrauen erst wieder aufbauen. Ich glaube aber schon, dass noch einiges in ihr steckt.

Und Andrea Petkovic?

Bei ihr muss man natürlich gucken, ob der Körper nach all den schweren Verletzungen noch mitspielt. Sie kann auch jetzt schon nicht mehr so hart trainieren, wie sie das gerne würde. Bei der Andrea ist auch die mentale Seite sehr wichtig. Manchmal will sie es zu sehr erzwingen. Genau wie Sabine sollte man sie aber nicht unterschätzen, wenn die bei einem großen Turnier erst einmal wieder ein paar Matches infolge gewinnen, sind sie ganz schnell wieder dran.

Kerber wird im Januar 29 Jahre alt. Ist es in diesem Alter leichter, Erfolge zu verarbeiten?

Das glaube ich definitiv. Angie Kerber hat ja interessanterweise auch gesagt, dass diese Erfolge für sie genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen sind. Das hat einfach auch mit dem ganz natürlichen Prozess des Erwachsenwerdens zu tun. Ich sehe, dass ja auch in meiner Arbeit mit 15-,16- oder 17-Jährigen. Die sind dann natürlich noch nicht so gelassen oder unaufgeregt. Man darf dann eben nur nicht die eigene Motivation verlieren, sondern muss weiter auf den Erfolg brennen. Das ist dann auch eine Kunst.

Im Fed-Cup-Team herrschte nach Kerbers Erfolgen echte Freude. Geht es da untereinander wirklich so harmonisch zu?

Angie steht natürlich auch für diese Generation. Den Erfolg haben ihr alle wirklich gegönnt, das hat man ja auch bei den internationalen Reaktionen gesehen, weil sie eben bescheiden und fair ist. Irgendwo sind die Kolleginnen natürlich neidisch, weil sie auch gern diese Erfolge haben würden. Aber letztlich ist es doch angenehmer, wenn es jemand aus dem eigenen Team ist, den man lange kennt und mag als wenn es irgendjemand von irgendwo ist. Insofern ist es schon echte Anteilnahme und echter Stolz, mit einer wie Angie im Team zu sein.

Profitieren die Spielerinnen denn auch voneinander?

Ja, klar. Das war schon in den letzten Jahren so. Erst mit den Erfolgen von Sabine Lisicki, dann mit Andrea Petkovic und nun mit Angie Kerber. Diese Generation war immer so. Die ziehen sich gegenseitig hoch und motivieren sich, gönnen sich aber auch alles und freuen sich für die andere.

Was sich die Bundestrainerin von ARD und ZDF in Sachen Tennis wünscht.

Wie arbeiten Sie als Bundestrainerin mit einem Team, das aus lauter Einzelsportlerinnen besteht?

Das ist natürlich schon eine Riesenherausforderung. Und das alles wäre nicht möglich, wenn ich nicht selbst auch mein Team hätte. Die haben alle ihre Antennen und da wird mir vieles zugetragen. Ich bin dann so ein bisschen der Kopf des Ganzen. Vielleicht habe ich die Gabe, aus dem Bauch heraus richtige Entscheidungen zu treffen. Deshalb haben wir vielleicht auch diese Ruhe im Team und freuen uns auch auf die Fed-Cup-Wochen. Wir sind ein Team, weil wir miteinander aufgewachsen sind und Stärken und Schwächen voneinander kennen. Wir sind einfach so eine eingeschworene Truppe, da kommt von außen keine Unruhe rein.

Aber es gibt sicher auch Regeln bei Ihnen. Was dürfen sich die Spielerinnen denn zum Beispiel gar nicht erlauben?

Wir haben in der Tat mal interne Regeln aufgestellt. Zum Beispiel dürfen die Heimtrainer in einer Fed-Cup-Woche erst später zum Team stoßen. Die können gern dabei sein und am Wochenende zuschauen. Klar stehe ich mit denen in regelmäßigem Austausch, aber mir ist wichtig, dass ich und mein Team in den paar Tagen einen guten Zugang zu den Spielerinnen haben. Nicht, dass die sich dann an gleich ihre Heimtrainer wenden, wenn es mal Stress gibt und damit Unruhe reinbringen. Außerdem achte sich darauf, dass jede Einzelne sofort ausspricht, wenn ihr etwas nicht passt. Wenn ich spüre, dass da Spannungen sind zwischen Spielerinnen dann hole ich die sofort zu mir und wir sprechen darüber und versuchen das auszuräumen.

Bei den deutschen Männern geht es bei weitem nicht so harmonisch zu. Kommt ein Michael Kohlmann da mal zu Ihnen und fragt, wie Sie das schaffen?

Wir stehen tatsächlich im ständigen Austausch und da wird dann natürlich auch über einzelne Spieler gesprochen. Aber es wird jetzt nicht gefragt, wie machst du dieses und wie machst du jenes. Sondern das ergibt sich im Gespräch. Das geht aber auch andersherum. Für mich ist so etwas ganz normal.

Wie wären Sie denn mit der Davis-Cup-Absage von Alexander Zverev umgegangen?

In seinem Falle muss man natürlich sehen, dass das noch ein ganz junger Spieler ist. Der macht hier und da noch seine Fehler, da muss man auch mal ein Auge zudrücken. Und der muss sich selber auch erst finden. Wichtig ist, dass man ganz offen mit ihm redet und ihm sagt, wie wichtig es für ihn sein kann, für Deutschland zu spielen. Der muss einfach Lust darauf kriegen, für Deutschland zu gewinnen. Auch wenn da mal einer im Hintergrund sagt, er solle den Davis Cup doch besser auslassen. Und ich kenne ihn ja, der ist ein Supertyp. Deswegen glaube ich auch, dass der noch viel Spaß daran haben wird, für das Team zu spielen.

Tennis hat in den 80er und 90er Jahren auch so gut funktioniert, weil es im Fernsehen rauf und runter lief. Das ist heute anders. Macht das Ihre Arbeit schwieriger?

Generell ist die Situation heute eine andere. Es gibt viel mehr interessante Sportarten, wenn man das allein bei Olympia sieht, was da hinzugekommen ist. Dazu kommt unser Schulsystem, das es dem Nachwuchs immer schwieriger macht. Ich war früher um 13 oder 13.30 Uhr mit der Schule fertig, heute ist das eher 16 oder 16.30 Uhr. Da fehlen einfach mal zwei, drei Stunden. Vor allem sind die Jugendlichen dann auch müde und unkonzentriert. So drohen wir, den Anschluss zu verlieren. Wir müssen mehr Internatslösungen finden – für alle Sportarten. Der Fußball macht es uns ja vor, auch wenn da natürlich viel mehr Geld drinsteckt.

Sie haben sich zuletzt immer wieder mit den öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern angelegt und deren Berichterstattung kritisiert. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich hatte ein gutes und konstruktives Gespräch mit Axel Balkausky, dem ARD-Sportchef. Wir werden uns in Zukunft mehr austauschen. Ich wünsche mir einfach, dass Tennis gerade jetzt mit Angie Kerber mehr Präsenz bekommt bei den Öffentlich-Rechtlichen. ARD und ZDF sollten die guten Leistungen einfach mehr honorieren und wenn es nicht live geht, dann eben auch mal Zusammenfassung zeigen. Gerade von den Spielen unserer Tennis-Nationalmannschaften. Natürlich wird immer alles an Einschaltquoten gemessen, aber wenn man nichts sendet, dann kann auch nichts wachsen.

Kann Tennis in Deutschland überhaupt noch einmal so populär werden wie zu Zeiten von Graf/Becker?

Nein, das wird es nicht mehr geben.

Was wünschen Sie sich für das kommende Jahr, damit es das schönste für Sie als Bundestrainerin wird?

Natürlich den Sieg im Fed Cup. Alles andere wäre für mich als Teamchefin ja auch eine komische Antwort.

Und dann hören Sie auf?

Das werden wir dann sehen, wenn es soweit ist. Ich mache den Job als Teamchefin jetzt 13 Jahre und irgendwann nutzt sich alles auch etwas ab. Da darf man den richtigen Zeitpunkt für den Absprung nicht verpassen.

Wäre es dann ein Ziel, als persönliche Trainerin für eine Spielerin auf der Tour zu arbeiten und sie zur Nummer eins zu machen?

Nein, so eine Abhängigkeit möchte ich nicht. Wenn der DTB sagen würde, übernimm jetzt mal für ein paar Wochen diese oder jene Spielerin, mache ich das. Aber generell steht und fällt so ein Job sehr mit der Laune eines Menschen. Und das würde ich nicht mehr ertragen wollen.

Zumal es wohl auch so schnell nicht wieder eine Generation wie die aktuelle um Angelique Kerber geben wird.

Die Messlatte ist natürlich unglaublich hoch. Wir hatten im Prinzip eine Riege von sechs, sieben Spielerinnen, die in den Top 30 oder sogar ganz vorn mitspielen konnten. Da kann man nicht erwarten, dass das so weitergeht. Aber es kommt eine Generation nach. Carina Witthöft, Annika Beck oder Anna-Lena Friedsam. Gebt denen erst mal Zeit, sich zu entwickeln. Am Ende entscheidet die eigene Willenskraft und das Herzblut, dass sie investieren darüber, wie weit sie kommen. Wir dürfen aber nicht davon ausgehen, dass wir jetzt alle zehn Jahre vier neue Top-20-Spielerinnen haben. Dafür ist einfach die Konkurrenz zu groß.

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