Kolumne Auslaufen mit Lüdecke: Vier Punkte bis Europa: Wie ist das möglich, Hertha?
Kaum ist Hertha mal wieder in der Spur, fängt – natürlich – sofort das Rechnen an. Unser Kolumnist hat jetzt schon Inter Mailand auf der Rechnung.
Der Berliner Kabarettist Frank Lüdecke schreibt hier nach jedem Spieltag der Fußball-Bundesliga.
Soll man doch nicht machen! Und man macht es natürlich doch … ist ja klar. Kaum ist Hertha mal wieder in der Spur, fängt sofort das Rechnen an. Der heimliche, verstohlene Blick auf die Tabelle. Vier Tore bis Freiburg, nur vier Punkte bis Europa! Wie ist das möglich? Standen wir nicht vor ein paar Wochen noch mit einem Bein auf Fußballplätzen in Sandhausen oder Osnabrück? Und jetzt plötzlich Inter Mailand im Visier? Eine rasante Entwicklung, und ich hoffe sehr, dass dieser Mechanismus der positiven Verdrängung eines Tages auch mit Corona funktionieren wird.
Hertha spielte gegen Augsburg eine sehr überzeugende erste Halbzeit. Vladimier Darida, Dedrick Boyata und noch einer stachen heraus. Mit dem würde ich gerne mal einen Kaffee trinken. Und Per Ciljan Skjelbred, 32, dann versuchen zu überzeugen, dass er auch die nächsten – sagen wir – fünf Jahre in Berlin spielt. Es gibt ja Anreize! Denn wenn man sich die Tabelle mal genau anschaut …
Aber egal. Herthas zweite Hälfte am Sonnabend war allerdings auch eine kleine Reminiszenz an vergangene Zeiten, als wollte man uns sagen: „Guckt mal, so spielten wir früher.“ Trainer Bruno Labbadia erklärte später, der Tank sei leer gewesen, was ich ihm sofort glaube, bei dem absolvierten Pensum und den gezeigten Leistungen der letzten Wochen. Ich frage mich nur, wie Hertha zuvor drei Viertel der Saison mit einem leeren Tank durch die Liga fahren wollte?
Das Glück steht dem Tüchtigen zur Seite – nicht Schalke
Gut, das ist vorbei. Und wie! Gegen Augsburg kam auch noch das Glück dazu. Die Mannen von Heiko Herrlich nutzten am Ende hochkarätigste Chancen nicht. Das Glück, so heißt es, stünde dem Tüchtigen zur Seite, und dass Hertha tüchtig war, steht außer Zweifel. Natürlich ist das eine sehr positive Einschätzung des Glücksphänomens. Mir sind Fälle bekannt, wo das Glück auch schon kräftig daneben gegriffen hat und der Tüchtige danach stinksauer war.
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Würde das Glück derzeit etwa Schalke zur Seite stehen, wäre es vollends blamiert. Schalkes Bilanz: Seit elf Spielen sieglos, 3:25 Tore! In der ersten Halbzeit gegen den Vorletzten nur 33 Prozent Ballbesitz! In einem Heimspiel! Auf Schalke hat die Krise wirklich Hand und Fuß. Dabei war man Anfang Dezember noch Dritter! Man guckte verstohlen auf die Tabelle: Nur drei Punkte bis zum ersten Platz! Soll man ja nicht machen, so was …
Das Einzige, was das Glück für Schalke derzeit tun kann, ist, dass es die Zuschauer weiterhin fernhält. Auf elektronische Distanz sozusagen. Dadurch wird im Zweifelsfall nur die Wohnzimmereinrichtung in Mitleidenschaft gezogen.
Frank Lüdecke