Blau und Weiß, verlass mich nicht: Den FC Schalke 04 plagt die Existenzangst
Sportlich läuft es auf Schalke weiterhin nicht, finanziell bleibt die Lage eng. Nun lästert im Netz eine Fußballikone, und es wird gar über Hitler diskutiert.
Blau und Weiß, verlass mich nicht – so heißt es in der Schalker Vereinshymne. Ein durchaus begründetes Anliegen, wenn man sich vor Augen führt, dass die Welt des FC Schalke 04 selten nur in den beiden Vereinsfarben leuchtet, sondern vielmehr schon beinahe traditionell eine bunte ist. Manche würden vielleicht auch sagen: zu bunt für einen seriös geführten Profifußballklub. Auch in den vergangenen Tagen war wieder einiges los.
Da gab es die Nachricht, dass sich einige Jugendspieler aus der legendären Schalker „Knappenschmiede“ am vergangenen Samstag bei einem illegalen Fußballturnier in Oberhausen vergnügten. Über 100 Teilnehmer aus dem gesamten Ruhrgebiet hatten sich dort heimlich über die sozialen Medien zum Kick auf dem Gelände eines Amateurklubs verabredet, und nur weil ein paar Vereinsmitglieder zu Renovierungsarbeiten vorbeikamen, konnten Polizei und Ordnungsamt die Corona-Party hochnehmen. Den eigenen Nachwuchskickern erteilte der FC Schalke nun saftige Strafen.
Auch im Netz war Alarm um S04: Da poppte wieder der bereits zwölf Jahre alte Artikel aus der Londoner „Times“ auf, wonach Adolf Hitler höchstpersönlich Anhänger der Gelsenkirchener gewesen sein soll, weil die zwischen 1933 und 1945 sechsmal Meister wurden. Die gewitzte damalige Gegendarstellung der Schalker („Wenn man schlussfolgert, dass Hitler Fan von Schalke 04 war, weil sie während seines Regimes die meisten Titel gewonnen haben, dann muss Margaret Thatcher Liverpool-Fan gewesen sein“) geisterte auf einmal auch wieder umher und strich auf Twitter Tausende Likes ein.
Genauso allerdings wie auch der älteste aller alten Schalke-Kalauer, den Englands Fußballikone Gary Lineker am Wochenende twitterte, kurz nachdem Dortmunds Raphael Guerreiro zum Endstand des Revierderbys getroffen hatte: „Schalke 0-4“. Als wäre die höchste Derbyniederlage seit 54 Jahren nicht schon schmerzhaft genug gewesen. Das mit dem internationalen Schaufenster für die Bundesliga hatten sich die Schalker sicherlich anders vorgestellt.
Denn auch sportlich läuft es zurzeit überhaupt nicht, daran konnten auch zwei Monate Saisonunterbrechung nichts ändern. Seit acht Spielen wartet Schalke inzwischen auf einen Sieg, Mitte Januar gab es durch ein 2:0 gegen Mönchengladbach das letzte Mal drei Punkte. Seitdem lautet die Torbilanz 2:19, weil es nicht nur gegen Dortmund, sondern auch gegen München und Leipzig (jeweils 0:5) sowie Köln (0:3) auf den Deckel gab.
Und die Zweifel, dass es beim Heimspiel vor leeren Rängen am Sonntag (13.30 Uhr/Dazn und Amazon) gegen Augsburg wieder besser wird, sind groß. „Wir haben im Training eine viel höhere Qualität, das stimmt mich für die nächsten Spiele zuversichtlich“, sagt zwar Trainer David Wagner. Einen Hort der Spielfreude hat er aus seinem Team nach dem Amtsantritt im Sommer jedoch bislang nicht gemacht. Zuletzt war eher kompakte Defensive angesagt.
Doch die macht inzwischen Sorgen. Auch weil auf der Torhüterposition viel Unruhe herrscht. Die langjährige Nummer eins Ralf Fährmann wurde nach Norwegen verliehen, Alexander Nübel ist vor seinem Wechsel nach München nicht mehr gefragt, und U-21-Nationalkeeper Markus Schubert schwächelte gegen Dortmund nicht zum ersten Mal. „Das gehört zur Entwicklung dazu, wir werden weiter mit ihm arbeiten“, sagt Wagner. Auf eine Torhüterdiskussion will man sich intern nicht einlassen. In der Öffentlichkeit läuft sie längst.
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Da bringt es auch wenig Freude, dass sich zumindest die finanzielle Situation des Klubs in den vergangenen Wochen nicht noch weiter verschärft hat. „Es geht um die Existenz des Klubs“, warnte Schalke 04 schon wenige Tage nach der Saisonunterbrechung in einer Mitteilung. Später hieß es, der Verein stehe „aktuell vor einer potenziell existenzbedrohenden wirtschaftlichen Situation“.
Schon vor der Krise drückten den Klub Schulden in Höhe von knapp 200 Millionen Euro, jährlich muss S04 20 bis 30 Millionen Euro allein für deren Tilgung und Zinsen aufwenden. Im Geschäftsjahr 2019 – Schalke verpasste den internationalen Wettbewerb und erzielte auch durch Spielerverkäufe keine großen Einnahmen – betrug der Verlust dann etwa 26 Millionen Euro. Wie kaum ein anderer Verein ist Schalke 04 deshalb auf das Wachstum der Liga angewiesen. Das dürfte nun jedoch erst einmal stagnieren.
Noch kritischer stand es aber um die kurzfristige Liquidität des Klubs. Sogar Gerüchte um eine drohende Insolvenz machten die Runde. Selbst die 15 Millionen Euro aus der vorgezogenen Tranche des TV-Gelds hätten Schalke wohl kaum über den Sommer gebracht, so berichtet es der „Spiegel“. Nötig war deshalb ein weiterer, zweistelliger Millionenkredit, auf den sich Schalke mit den Banken verständigen konnte.
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Nun ist auf Schalke Verzicht angesagt. „Was wir hier erleben, ist nicht etwas, das verschuldet ist durch Missmanagement, sondern durch eine Krankheit“, meint Finanzvorstand Peter Peters. Gehälter- und Prämienzahlungen für Profis und weitere Spitzenverdiener im Klub wurden gekürzt oder gestundet, 30 Millionen Euro soll das sparen. Fans sollen von Rückerstattungen absehen und erhalten Gutscheine, das soll weitere 3,5 Millionen Euro Entlastung bringen.
Und auch der Gesamtverein muss Abstriche machen. Denn nach wie vor zählt der FC Schalke zu den wenigen Bundesligaklubs, die ihr Profiteam nicht ausgegliedert haben. „Alles steht unter der Prämisse: Was können wir uns zukünftig noch leisten?“, sagt Peters. Als Erstes traf es das Schalker Basketball-Team, das in der kommenden Saison nicht mehr in der Zweiten Liga antreten wird.
Das Thema Ausgliederung wird nun wieder größer. Aufsichtsratschef Clemens Tönnies packte es am Sonntag im Talk bei Sky bereits auf die Agenda. „Ziel ist es aber, dabei alle mitzunehmen“, sagte er. „Wir werden nichts gegen den Willen der Mitglieder entscheiden.“
Und auch die Schalker Legenden Klaus Fischer und Rüdiger Abramczik warben dieser Tage für eine Ausgliederung. Unter den mehr als 150 000 Vereinsmitgliedern wird das jedoch kritisch gesehen. Ihre existenziellen Sorgen bleiben. Blau und Weiß, verlass mich nicht.
Leonard Brandbeck