Kapitän Uwe Gensheimer: "Vielleicht gibt es ein Public Viewing wie beim Fußball"
Der deutsche Nationalmannschafts-Kapitän Uwe Gensheimer über die Weltmeisterschaft in Katar, Bundestrainer Dagur Sigurdsson und Handball im deutschen Fernsehen.
Herr Gensheimer, reisen Sie gerne?
Prinzipiell in meiner Urlaubsphase sehr gern, vor allem in die Ferne. Aber als Profisportler sieht man oft nur den Flughafen, fährt mit dem Bus Richtung Hotel und geht vielleicht noch mal kurz in die Stadt. Für den Ort, seine Geschichte und seine Eigenheiten bleibt da nicht viel Zeit.
Mit der Handball-Nationalmannschaft waren Sie kürzlich zu einem dreitägigen Trainingslager in Island.
(lacht) Da war es ja genauso: Flughafen, Hotel, Training. Einmal sind wir abends in eine Pizzeria gegangen, zehn Minuten Fußmarsch vom Hotel. Die meiste Zeit haben wir aber in der Halle verbracht. Zwei Testspiele an zwei Tagen, dann wieder zurück nach Deutschland.
Bundestrainer Dagur Sigurdsson blieb also keine Zeit, der Mannschaft seine Heimat zu zeigen?
Das müssen wir wohl auf ein anderes Mal verschieben.
An diesem Donnerstag beginnt nun die Weltmeisterschaft in Katar (Deutschland trifft in der Gruppe D am Freitag um 17 Uhr auf Polen). Was erwarten Sie von diesem Turnier und von diesem Land?
Ich war noch nie in Katar, und zuerst einmal freue ich mich, dass es dort mindestens 20 Grad wärmer ist als in Island oder Deutschland. Für mich als Sportler zählt in erster Linie, dass die Bedingungen, also Unterbringung, Verpflegung, Organisation, optimal sein werden – so wie man das aus der Berichterstattung kennt, wenn die Fußball-Bundesligisten in Katar ihre Trainingslager aufschlagen. Für uns als Mannschaft ist es wichtig, dass wir die letzten Tage nutzen, um weitere Fortschritte im spielerischen und taktischen Bereich zu machen.
Das Turnier wird seit Monaten von negativen Schlagzeilen begleitet. Deutschland darf nur dank einer umstrittenen Wildcard teilnehmen, dafür wurde Australien ausgeladen. Auch andere Länder sind dank fragwürdiger Umstände nachgerückt. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Für uns als Mannschaft spielt das keine Rolle. Wir sind froh, nach mehreren verpassten Turnieren wieder bei einer WM dabei zu sein und wollen sportlich beweisen, dass wir das verdient haben. Ich muss aber auch zugeben, dass mich so eine Entscheidung extrem ärgern würde, wenn ich australischer Spieler wäre und nicht zur WM fahren dürfte. Das liegt aber nicht in der Entscheidungsgewalt von uns Spielern, das muss auch jedem klar sein. Die Kommunikation seitens des Weltverbands war sicher nicht die beste.
Mit welchem Ziel reisen Sie zur WM?
Mit Dänemark, Polen, Russland, Argentinien und Saudi-Arabien haben wir eine schwierige Gruppe erwischt. Dänemark zählt für mich neben Frankreich und Spanien zu den großen Favoriten, diese Teams haben auf dem Papier einfach die besten Kader. Zum Glück hat das im Sport aber nicht immer etwas zu heißen. Die Spitze im Welthandball ist sehr eng beieinander, da entscheidet oft die Tagesform, das macht es ja erst interessant. Deshalb geben wir kein konkretes Ziel aus. Wir wollen so weit kommen wie möglich.
Für Dagur Sigurdsson ist es das erste große Turnier als Bundestrainer. Was hat sich unter seiner Verantwortung geändert im Vergleich zu seinem glücklosen Vorgänger Martin Heuberger?
Grundsätzlich hat natürlich jeder Trainer seinen eigenen Stil: Mannschaftsansprache, Trainingsleitung, Miteinander. Aber Dagur wird das Spiel nicht neu erfinden. Bislang hat er zwei kleinere Veränderungen vorgenommen, die schon in den Spielen zur EM-Qualifikation zu sehen waren: Erstens legt er großen Wert auf eine kompakte Abwehr in 5-1- und 6-0-Formation und zweitens – darauf aufbauend – auf ein gutes Umschaltspiel zwischen Abwehr und Angriff, weil er sich davon mehr einfache Gegenstoßtore erhofft.
Bislang war es ein ungeschriebenes Gesetz, dass die deutsche Mannschaft in der traditionellen 6-0-Variante verteidigt. War es womöglich längst überfällig, dass mal ein ausländischer Trainer neuen Input liefert?
Ich denke, dass die Nationalität des Bundestrainers keine Rolle spielt, sondern allein seine fachliche Kompetenz. Im modernen Handball ist es wichtig, verschiedene Systeme zu beherrschen, um den Gegner auch mal zu überraschen und vor Herausforderungen zu stellen. Dagur hat in den letzten Jahren in Berlin gezeigt, was er kann. Das ist auch bei unseren ersten Lehrgängen in der Nationalmannschaft gut rübergekommen.
Der Kader für die WM ist auffallend jung. Ein Wagnis?
Fakt ist, dass wir viele junge Spieler dabei haben, die vor ihrem ersten großen Turnier stehen. Für die Abläufe war das am Anfang ein bisschen schwierig, weil wir eine Sportart ausüben, bei der Automatismen elementar sind, gerade in Kleingruppen. Wenn man plötzlich einen anderen Nebenmann hat als sonst, braucht das logischerweise erstmal seine Zeit zur Eingewöhnung. In der Bundesliga haben aber alle Spieler bewiesen, dass sie die Qualität besitzen und zu Recht nominiert worden sind.
In der letzten Woche gab es noch eine halbwegs gute Nachricht: dass zumindest im deutschen Bezahlfernsehen Bilder von der WM zu sehen sein werden.
Die Sportart hat immer davon gelebt, bei großen Turnieren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen empfangbar zu sein. Dadurch konnte man logischerweise die größte Reichweite erzielen und Leute für den Handball begeistern, die sich sonst vielleicht nicht jede Woche ein Bundesligaspiel anschauen würden. Das ist diesmal leider nicht möglich. Aber wir sind froh, dass zumindest noch die Lösung mit dem Pay-TV Sender Sky gefunden wurde. Die Champions League läuft ja auch seit kurzem dort, und die Qualität der Übertragung und der Formate ist wirklich gut.
Glauben Sie, dass viele Menschen für die WM ein solches Paket buchen werden?
Ich kann nur appellieren, dass es genügend Bars gibt, in denen die Spiele gezeigt werden. Vielleicht können sich die Leute ja auch zu den Spielen treffen, so wie man das von großen Turnieren im Fußball kennt, eine Art kleines Public Viewing.