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Auf dem Sprung. Paul Drux ist der jüngste Spieler im deutschen Kader – und zugleich einer der vielversprechendsten.
© imago

Vor der WM in Katar: Der gewagte Spagat der deutschen Handballer

Bundestrainer Dagur Sigurdsson sucht vor der Handball-WM die Balance zwischen Umbruch und Konkurrenzfähigkeit. Er muss Talente fördern, aber auch Ergebnisse liefern.

Acht Einsätze für die Nationalmannschaft sind jetzt keine große Marke, erst recht nicht im Handball. Deutschlands Rekordhalter Frank-Michael Wahl etwa bringt es auf unfassbare 344 Länderspiele, gefolgt von Klaus-Dieter Petersen (340) und Christian Schwarzer (318). Obwohl das natürlich keine angemessenen Vergleiche sind, besitzt eine alte Formel auch im Kalenderjahr 2015 noch ihre Gültigkeit. „Man muss erst auf 50 oder 100 Länderspiele kommen, um international überhaupt wahrgenommen zu werden und eine Rolle spielen zu können“, sagt Bundestrainer Dagur Sigurdsson.

So gesehen bereitet sich der Isländer gerade mit einem Team ausgewiesener Anfänger auf die anstehende Weltmeisterschaft in Katar (15. Januar bis 1. Februar) vor. Im 19 Spieler umfassenden Kader, der am Sonntag innerhalb eines viertägigen Lehrgangs in Reykjavik das erste Testspiel gegen Island 31:24 gewann (am Montag folgt das zweite), stehen sieben Akteure, die noch noch nie an einem bedeutsamen internationalen Turnier teilgenommen haben: Simon Ernst (20 Jahre, VfL Gummersbach), Fabian Böhm (25, HBW Balingen), Erik Schmidt (21, TSG Friesenheim), Paul Drux (19, Füchse Berlin), Matthias Musche (22, SC Magdeburg) und Andreas Wolff (23, HSG Wetzlar) bringen es in der Summe auf, genau: acht Länderspiele.

Eine gewagte Nominierung, oder? „Leider können wir den nächsten Entwicklungsschritt nicht einfach überspringen“, sagt Sigurdsson, „die Jungs müssen jetzt ihre Einsatzzeiten bekommen.“

Das Statement passt zum Plan, mit dem sich der 41-Jährige bei seiner Präsentation als Bundestrainer Mitte August vorgestellt hat. Langfristig soll der Isländer den deutschen Handball endlich wieder dahin führen, wo er sich dem Selbstverständnis nach als mitgliederstärkster Handball-Verband der Welt verortet: in die Weltspitze. Das Problem ist nur, dass Anspruch und Wirklichkeit zuletzt nicht viel miteinander gemein hatten. Seit acht Jahren, also seit dem Titelgewinn 2007 im eigenen Land, ist die Auswahl des Deutschen Handball-Bundes (DHB) nicht mehr in ein WM-Halbfinale eingezogen. Mit der EM-Statistik verhält es sich ganz ähnlich: 2008 schaffte es die Nationalmannschaft zuletzt unter die besten vier Teams Europas. Nach solch entbehrungsreichen Jahren fällt der Neustart für Sigurdsson und sein Team entsprechend radikal aus.

Über mehrere Lehrgänge hinweg hat der Coach den deutschen Spielermarkt sondiert und einen Kader nach seinen Vorstellungen benannt. Die größte Aufgabe besteht dabei darin, eine zielführende Mischung aus Konkurrenzfähigkeit und Umbruch zu finden – weil es beim Turnier in Katar eben nicht nur um eine gute Platzierung geht, sondern auch um die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2016. In der Qualifikation für die EM 2015 in Polen, den ersten Pflichtspielen unter der Verantwortung des neuen Bundestrainers, hat dieser Spagat bislang erstaunlich gut funktioniert; nach zwei Siegen zum Auftakt haben die Deutschen sehr gute Chancen auf die Turnierteilnahme.

„Jung, hungrig, talentiert – das klingt alles schön und sexy“, sagt Sigurdsson, „grundsätzlich braucht aber jede Mannschaft Führungsspieler, die die Jungen auch mal an die Hand nehmen können.“ Deshalb hat Sigurdsson auch nicht alle Kandidaten mit Geburtsdatum in den 80ern aussortiert, sondern nur die unberechenbaren unter ihnen – wie etwa Spielmacher Michael Kraus, den letzten potenziell Verbliebenen des WM-Teams von 2007. Das Gerüst der neuen, der sigurdssonschen Mannschaft bildet die mehrfach in Turnieren erprobte Flügelzange um Kapitän Uwe Gensheimer und seinen Vereinskollegen Patrick Groetzki sowie das nicht minder erfahrene Torhütergespann Silvio Heinevetter/Carsten Lichtlein. „Wenn ich zwei Spieler von ähnlicher Leistungsfähigkeit habe, nehme ich immer den Jüngeren“, sagt Sigurdsson.

Nur werden die vielversprechenden Jahrgänge, etwa das bei der letzten EM siegreiche U-20-Team, noch ein wenig auf sich warten lassen. Für Sigurdsson dürfte das kein großes Problem darstellen: Sein Vertrag gilt bis 2017, beinhaltet aber eine Option bis 2020. Dass dann wieder Olympische Spiele stattfinden und ein Jahr zuvor eine Handball-WM in Deutschland steigt, ist garantiert alles – nur kein Zufall.

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