Handball: Wilde Praktiken vor der WM in Katar
Zwei Monate vor dem Start der Handball-Weltmeisterschaft in Katar häufen sich die Negativ-Schlagzeilen: Teilnehmer ziehen zurück und auch um die deutsche Wildcard gibt es Spekulationen
Knapp sieben Wochen sind es noch bis zum offiziellen Turnierbeginn. Weil in Doha üblicherweise an einem Werktag pro Woche mehr gearbeitet wird als hierzulande, nämlich von Samstag bis Donnerstag, ergibt das: 42 Werktage. Multipliziert mit der Arbeitskraft von 12 000 Menschen ... ein ganz schönes Chaos. 12 000! So viele Bauarbeiter sind im Moment an der Lusail Multipurpose Hall im Einsatz. Mit dem Ziel, möglichst zeitnah jene Arena fertigzustellen, die ab dem 16. Januar eine von drei Spielstätten sein wird bei der Handball-Weltmeisterschaft in Katar. „Ready to amaze“, lautet der offizielle Slogan für das Turnier.
Für Erstaunen hat das Turnier bereits gesorgt, und zwar weltweit und lange vor dem Start. Beziehungsweise: die International Handball Federation (IHF). Mit dem Fußball-Weltverband hat die IHF nicht nur ihren Sitz in der Schweiz und die Vorliebe für ältere Herrschaften in feinen Anzügen gemein, sondern auch ihr öffentliches Image als ziemlich korrupter Haufen. Auch deshalb ist die gewaltige Baustelle im Stadtteil Lusail im Moment die geringste Sorge der Organisatoren. Zuletzt haben sich die negativen Schlagzeilen wieder gehäuft. Wegen politischer Differenzen zwischen den Staaten sagten zunächst die Nachbarländer Bahrain und Vereinigte Arabische Emirate ihre Teilnahme ab. Das führte zu einer Kettenreaktion, weil sportliche Nachrücker für die Teams gefunden werden mussten.
Man muss dazu wissen, dass die Besetzung des Turniers seit Monaten ein höchst kontroverses Thema ist. Und angefangen hat im Grunde alles mit den Deutschen: Im Sommer verpasste die Nationalmannschaft zunächst die sportliche Qualifikation in Play-off-Spielen gegen Polen. Ein paar Wochen später teilte die IHF dem Deutschen Handball-Bund (DHB) dann allerdings mit, dass sie bei ihrer Sitzung am 8. Juli in Zagreb beschlossen habe, zum ersten Mal in der Geschichte eine Wildcard für das Turnier zu vergeben: für das Team Germany. Infolgedessen lud die IHF die sportlich qualifizierten Australier kurzerhand wieder aus. Begründung: Zum damaligen Zeitpunkt habe in Ozeanien kein von der IHF anerkannter Kontinentalverband existiert. International wurde die Entscheidung als Skandal empfunden. Einige Nationalverbände drohten mit Klagen vor dem Sportgerichtshof, darunter auch der isländische, der mittlerweile nachträglich zum Turnier eingeladen wurde und die angedrohte Klage fallen ließ. Der Verdacht, der Weltverband habe die Isländer nachnominiert, um einen öffentlichkeitswirksamen Rechtsstreit zu vermeiden, liegt sehr nahe.
Spätestens seit Sonntag sind die umstrittenen Vergabepraktiken für das Turnier wieder ein aktuelles Thema. Da sendete die ARD-Sportschau einen Bericht, in dem mehrere Zeugen, unter ihnen der in Deutschland wohnhafte australische Nationalspieler Bevan Calvert, versichern, die WM-Teilnahme der Deutschen habe schon vor besagten Play-off-Spielen Mitte Juni gegen Polen festgestanden. Auch Polens deutscher Nationaltrainer Michael Biegler bestätigte diese Version. „Ich fand es sehr ungeschickt, dass ich meiner Mannschaft diese Meldung weitergeben musste, um ihnen klarzumachen, dass wir gewinnen müssen: Deutschland kann gewinnen, aber wir müssen“, sagte Biegler. Und weiter: „Man hörte immer deutlicher, dass Deutschland eben doch die Wildcard bekommt und nach Katar fährt.“
Der DHB bestreitet vehement, vor dem Play-off-Rückspiel von diesen Gerüchten gewusst zu haben. Kurz nach Ausstrahlung der Sportschau am Sonntag sah sich Präsident Bernhard Bauer gezwungen, in einer Pressemitteilung Stellung zu beziehen. „Wir waren nach der Niederlage gegen Polen am Boden zerstört, da wir diese als Ende aller WM-Hoffnungen empfunden hatten“, sagte Bauer, „einige Tage danach kamen erste Gerüchte auf, dass es eine Wildcard geben könnte.“
IHF-Präsident Hassan Moustafa hatte die Spekulationen nach den Play-off-Spielen mit fragwürdigen Aussagen befeuert. „Deutschland hat eine Million Spieler, die waren Weltmeister und sind beim Fernsehen immer dabei. Sie sind die wichtigste Föderation in der IHF“, sagte Moustafa.
„Jetzt heißt es natürlich, dass die Deutschen ihren Startplatz bei der WM auf Grund ihrer Wirtschaftskraft bekommen haben“, sagte Bob Hanning, der Manager der Nationalmannschaft. „Das ist genau das, was wir verhindern wollten. Wir wollen unsere Teilnahme mit sportlichen Leistungen rechtfertigen.“ Christoph Dach
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