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Treppenblitz. Beim Istaf im Olympiastadion werden die Leichtathleten bei ihrer Vorstellung bereits wie Showstars präsentiert. Die EM-Veranstalter wollen das Konzept im nächsten Jahr noch weiterentwickeln.
© imago/Sebastian Wells

EM 2018 in Berlin: So sieht die Zukunft der Leichtathletik aus

Nach dem Istaf soll die Leichtathletik-EM 2018 im Berliner Olympiastadion der Schrittmacher für eine müde gewordene Sportart werden.

Er hat der Leichtathletik Charme geschenkt. Er hat die blaue Bahn des Olympiastadions dominiert. Und die Weltöffentlichkeit begeistert. Aber schafft er für diese Veranstaltung überhaupt die Norm?

Nach dem Istaf am Samstag bereitet Berlin sich hinter den Kulissen auf seine größte Spitzensportveranstaltung der nächsten Jahre vor. Vom 7. bis zum 12. August 2018 finden die Leichtathletik-Europameisterschaften im Olympiastadion statt, das wäre neun Jahre nach der gelungenen Leichtathletik-WM die perfekte Bühne für ein Comeback von Berlino. Doch auch das beste Maskottchen seit es Maskottchen gibt muss erst einmal durch die Qualifaktion. Es läuft gerade eine Ausschreibung, Berlino hat keinen Stammplatz mehr.

In der Leichtathletik kann man sich gerade auf nicht mehr viel verlassen. Das liegt zum einen daran, dass sich eine herausragende Leistung morgen schon als manipuliert erweisen könnte. Zum anderen aber auch daran, dass die Sportart derzeit nach einer guten Zukunft sucht. Nach Wegen, um vom immer härter umkämpften Gut Aufmerksamkeit noch genügend abzubekommen. Um seine 47 Disziplinen attraktiv zu präsentieren. Disziplinen, die teilweise für jüngere Menschen so exotisch wirken wie Tontaubenschießen. Da wird vieles in Frage gestellt, selbst Liebgewonnenes wie Berlino.

Den Zuschlag für die EM 2018 hat der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) mit dem Schlagwort Innovation bekommen. Mit dem Versprechen also, Neues und Ungewöhnliches auszuprobieren. Wer heute eine solche Veranstaltung ausrichtet, wird auch daran gemessen, ob er seine ganze Sportart weiterentwickelt. Als Geschäftsführer des EM-Organisationskomitees hat der DLV daher jemand eingesetzt, der die beiden Stränge in sich vereint, auf die es jetzt ankommt.

Eine EM nach Drehbuch: Allein 15 Leute kümmern sich um nur die Präsentation

Frank Kowalski, 52 Jahre alt, athletische Figur, hat an der European Business School in Oestrich-Winkel studiert, einer Elite-Hochschule für angehende Manager. Er hat aber auch als Nachwuchs-Bundestrainer für 400 Meter gearbeitet, einer klassischen Disziplin, der Stadionrunde, die deshalb hierzulande nicht mehr so populär ist, weil deutsche Athleten aus welchen Gründen auch immer hinterherlaufen. Kowalski steht also für modernes Marketing und für sportliche Tradition. „Wir wollen die Leute mit einer neuen Form der Leichtathletik begeistern“, sagt Kowalski mit hessischem Akzent.

Das fängt im Stadion an, dem Herz der Leichtathletik, das inzwischen schwächer schlägt als früher und manchmal schon einen Schrittmacher zu brauchen scheint. „Bei vielen Veranstaltungen haben die Zuschauer immer noch einen komplexen Teppich von Wettkämpfen vor sich“, sagt Kowalski, „da ist der Hochsprung, da ist der Weitsprung, da ist Kugelstoßen, da ist ein Lauf. Der Zuschauer ist häufig überfrachtet und damit auch überfordert.“ Das Ziel von ihm und seinem Team lautet nun: aus dem Flickenteppich einen roten Teppich machen, auf dem die Zuschauer zu den Höhepunkten geleitet werden. „Das verstehe ich unter moderner Leichtathletik: Den Zuschauer zu führen, ihn zu animieren und dann eine gute Leistung auch zu feiern“, sagt Kowalski. „Das ist möglich, es macht aber sehr viel Arbeit.“

Diese Arbeit soll dafür besser verteilt werden. Auf Stellen, die es bisher nicht gab. 15 Leute werden sich bei der Leichtathletik-EM um „Event Presentation“ kümmern. „Sie konzipieren und designen die Veranstaltung“, sagt Kowalski. An der Spitze sitzt ein Regisseur. Er wird bestimmen, was wann wo stattfindet. Wann ein Startschuss fällt, wann die Weitsprunggrube frei ist und wann die Speere fliegen dürfen. „Der braucht Durchsetzungskraft, weil die Kampfrichter das nicht ad hoc verstehen, dass es nach 30 oder 40 Jahren jetzt Änderungen gibt.“ Der Regisseur soll auch die Aufmerksamkeit des Publikums lenken, wenn zum Beispiel Robert Harting gerade in den Ring geht. Kowalski wünscht sich dann, dass die anderen Disziplinen dann ruhen. „Das Ganze wird auch moderiert und gehighlightet, in dem der Moderator sagt: Jetzt kommt Robert Hartings sechster Versuch. Und dann kommt die Musik, das Publikum wird abgeholt, es wird rhythmisch geklatscht, Harting wirft 70 Meter – und dann müssen sie wieder etwas anderes parat haben.“

Sechs Tage dauert die EM - die Spannung hochzuhalten, ist eine besondere Herausforderung

Zum Team gehören außerdem ein professioneller DJ und fünf Moderatoren, zwei davon im Innenraum, und es wird Manager geben, die nur für die Viodeotafeln zuständig sind. „Eine Leichtathletik-Veranstaltung lässt sich nicht minutiös planen. Wir entwickeln aber ein Drehbuch, in dem wir die Abläufe alle 30 Sekunden vorwegnehmen oder antizipieren. Das haut zu 70 bis 80 Prozent hin“, sagt Kowalski.

Im kleineren Rahmen hat die EM schon Vorbilder gefunden. Das Istaf im Olympiastadion und das Istaf Indoor in der Arena am Ostbahnhof. Da gebe es eine klare Interaktion mit dem Publikum. „Das Istaf Indoor ist aus meiner Sicht die beste Leichtathletik-Hallen-Veranstaltung, die Deutschland bisher gesehen hat“, sagt Kowalski.

Im Gegensatz zum Istaf und zum Istaf Indoor kann sich eine EM ihre Disziplinen jedoch nicht aussuchen. Sechs Tage dauert die EM, immerhin vier weniger als eine WM, doch die Spannung eine knappe Woche hochzuhalten, ist eine besondere Herausforderung. Die EM in Berlin wird daher erstmals schon am ersten Abend das größte Spektakel präsentieren, das die Leichtathletik zu bieten hat: die 100 Meter der Männer. Es soll gleich ein Knaller zum Auftakt werden, zusammen mit fünf anderen Finals.

Von 18.30 Uhr bis 21.30 Uhr sollen an jedem der sechs Abende die Finals stattfinden, eines nach dem anderen. „Wir wollen die Erwartungen der Zuschauer übertreffen“, sagt Kowalski, „die sollen rausgehen und sagen: ,Wow! Was war das denn?’“

Mit dem Kartenvorverkauf haben die Veranstalter jetzt schon begonnen, zunächst soll der ganze Unterring gefüllt werden, erst dann beginnt der Verkauf für den Oberring des Olympiastadions. Aus der WM 2009 haben sie ihre Schlüsse gezogen. Vor allem Familien klagten damals über die hohen Eintrittspreise, es blieben einige Plätze leer, dennoch dürfte es so schnell keine Weltmeisterschaft der Leichtathletik mit so vielen Zuschauern wie in Berlin 2009 mehr geben. Bei der EM zahlen nun zwei Erwachsene und ein Kind als Familienticket zusammen 45 Euro für einen Abend. Das Wettkampfziel der Veranstalter lautet: Für jeden Abend mindestens 45 000 Tickets zu verkaufen, etwa 60 000 Plätze wird das Stadion während der EM haben. In fast allen Bundesländern wird im August 2018 Ferienzeit sein, das vergrößert die Herausforderung.

Aber auch mit der Stadt will es die Leichtathletik-EM aufnehmen, das hat der deutsche Sprint-Rekordhalter Julian Reus in einem Spot schon symbolisch vorgeführt, in einem Duell mit der U-Bahn. Wenn die Berliner Verwaltung mitspielt, soll die Budapester Straße eine „Europäische Meile“ werden, eine Begegnungszone für Athleten, Zuschauer, Funktionäre und alle die sonst neugierig auf Leichtathletik sind. Im Umkreis befinden sich alle Hotels, in denen Athleten untergebracht sind. Ein lebendiges Zentrum in der Stadt wäre ein Fortschritt gegenüber der WM 2009, als die Mitmachangebote vor dem Brandenburger Tor eher einem Sponsorenfriedhof ähnelten.

Auf der Meile könnte auch das Ziel für die Marathonläufe und die Wettbewerbe im Gehen sein. Und dort sollen auch die Siegerehrungen stattfinden, die Qualifikation fürs Kugelstoßen und einige Zusatzwettbewerbe. Die Leichtathletik muss also erst einmal wieder anders werden, um zu zeigen, wie natürlich ihre Bewegungen sind.

Lars Spannagel, Friedhard Teuffel

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