Olympia 2016 in Rio: Robert Harting - Der Beste macht das Licht aus
Robert Harting scheitert schon in der Diskus-Qualifikation. Ob der Berliner bis zur Heim-EM 2018 weiterwirft, lässt er offen.
Der hünenhafte blonde Mann, wer immer er auch war, holte langsam Schwung. Er versetzte seinen mächtigen Körper in Rotation und ließ den Diskus fliegen, nach 62,21 Metern schlug die Scheibe auf dem Rasen des Leichtathletik-Stadions ein. Der Mann machte eine wegwerfende Handbewegung, dann trat er aus dem Ring und verließ damit die Olympischen Sommerspiele von Rio de Janeiro. „Es sieht ja ein Blinder mit Krückstock, dass das heute nicht Robert Harting war, der den Diskus geworfen hat“, sagte Robert Harting. „Sondern irgendjemand anders.“
Der Olympiasieger von 2012 hatte sich nach einem Kreuzbandriss knapp zwei Jahre lang mühsam zurückgekämpft und mit Selbstzweifeln geplagt, im Frühjahr warf ihn ein Faserriss im Brustmuskel abermals zurück. Rechtzeitig zu den Olympischen Spielen war der 31-Jährige aber fit geworden und rechnete sich Chancen auf seinen zweiten Olympiasieg aus – bis ihn ein profaner Hexenschuss um die Chance auf eine zweite Goldmedaille brachte. Nur mit Schmerzmitteln und Spritzen konnte der dreimalige Weltmeister am Freitag überhaupt in der Qualifikation für das Diskus-Finale antreten. Hartings erste beiden Versuche waren ungültig, sein dritter Wurf war 47 Zentimeter zu kurz, um den zwölften Platz und den Endkampf am Samstag zu erreichen. „Es tut mir ganz, ganz, ganz tief weh“, sagte Harting und meinte damit nicht die Blockade in seinem Rücken.
Nur mit Mühe schaffte er es in die Mensa
Am Mittwochabend hatte der Berliner das Licht in seinem Zimmer löschen wollen – von seinem Bett aus und mit dem linken Fuß. Als er sein Bein in Richtung Lichtschalter ausstreckte, durchzuckte es seinen Rücken. „Ich habe plötzlich ein Ziehen gespürt“, berichtete Harting. „Aber wie oft hast du eine Blockierung als Sportler? Da machst du dir erstmal keinen Kopf.“ Am nächsten Morgen allerdings, als er sich 24 Stunden vor seinem Wettkampf kaum bewegen konnte und es nur mit Müh und Not in die Mensa schaffte, herrschte laut Harting doch „großer Alarm“. Die Körperachse des Diskuswerfers hatte sich durch die Verspannung um zwölf Zentimeter verschoben, Ärzte und Physiotherapeuten versuchten alles, um den Diskuswerfer fit zu bekommen.
„Ich habe mich zusammengerissen und mir die krassesten Parolen erzählt. Ich habe mich angefleht, dass ich daran glaube“, sagte Harting. „Nach drei oder vier Comebacks ist die Power im Kopf dann aber auch weg. Es war anscheinend vom Kopf her zu wenig Saft da.“ Im Wettkampf versuchte Harting noch einmal alles, letztendlich reichte es aber nicht zu dem einen, einen entscheidenden Versuch, der Harting und seiner medizinischen Abteilung weitere 24 Stunden Zeit bis zum Endkampf verschafft hätte. Die Folge von Schmerzmitteln sei nun einmal auch, „dass sich der Muskeltonus, die ganze Power, runterfährt“. Er habe seine Beine kaum spüren können und sich gefühlt, als würde er auf Wasser stehen, sagte Harting: „Da kannst du technisch machen, was du willst. Da ist kein Druck da, kein Feuer.“
Nun sehnt er sich nach Urlaub
Für diesen Tag in Rio hatte Robert Harting leidenschaftlich fast zwei Jahre lang gekämpft. Der Berliner wirkte erschöpft von „diesem ganzen Comeback-Scheiß“, wie er es formulierte. „Ich hab alles gegeben“, sagte er. „Ein 63-Meter-Wurf hätte schon noch rauskullern können. Aber was willst du machen, wenn das Körperzentrum weg ist?“ Besonders bitter ist das Aus für Harting, weil er geglaubt hatte, durch seine Leidenszeit auch abseits des Sports an Selbstvertrauen gewonnen zu haben. „Ich habe am Ende sehr viel Genuss empfunden. Es gab plötzlich etwas Wichtigeres als einen guten Robert Harting als Sportler“, sagte Harting. „Es gab mein Leben, das war plötzlich viel wichtiger.“
Harting braucht nun erst einmal ein paar Tage Urlaub und will sich Gedanken machen, um diese Enttäuschung zu verkraften. „Andere Leute lassen sich beim Hexenschuss drei Wochen krankschreiben, das kann ich jetzt auch machen“, sagte er. Eigentlich war die Heim-EM 2018 in Berlin sein letztes großes Ziel, Fragen nach einem möglichen sofortigen Karriereende beantwortete er nicht konkret. Am Samstag wird er erst einmal wieder ins Stadion kommen, um sich das Diskusfinale anzuschauen, in dem das deutsche Team immerhin noch durch Hartings jüngeren Bruder Christoph und Daniel Jasinski vertreten ist. Und er werde sich Zeit für den Rest seiner Familie nehmen, die nach Rio gereist ist, um ihn anzufeuern. „Nach einer Medaille kommt man ja 24 Stunden nicht zur Ruhe“, sagte Robert Harting. „Das wird jetzt alles relativ schnell im Nichts verschwinden.“