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Die Kraft des langen Anlaufs. Sandro Wagner kam spät zur Nationalelf, erst in diesem Sommer. Seitdem ist dem früheren Herthaner ein kleines Kunststück gelungen: Er hat in fünf Länderspielen fünf Tore erzielt.
© Christian Charisius/dpa

Fußball-Nationalmannschaft: Sandro Wagner kommt seinem Traum immer näher

Der 29 Jahre alte Sandro Wagner ist spät in die Nationalmannschaft berufen worden. Doch jetzt hat er echte Chancen auf eine WM-Teilnahme.

Etwas mehr als acht Jahre hat es gedauert, bis sich die beiden wieder so nahe gekommen sind. An diesem Donnerstagmittag sind es 50 Zentimeter, die den Fußball-Weltmeister Sami Khedira und den, nun ja, Fußball-Weisen Sandro Wagner trennen. Am Freitagabend wird es für sie mit der deutschen Nationalelf gegen England gehen. Das Wembley wird dann mit 86 000 Zuschauern ausverkauft sein, ein Klassiker eben. Einen, den die beiden Spieler im Kleinformat schon einmal gemeinsam bestritten haben. Im Finale der U-21-Europameisterschaft 2009 in Schweden. Khedira als Kapitän, Wagner als zweifacher Torschütze beim 4:0. Es war der erste große Triumph für zwei angehende Stars.

Heute liegen Welten zwischen ihren Karrieren. Während der eine, Khedira, eine Weltkarriere startete, die ihn mit Real Madrid zum Champions-League-Sieg und mit Juventus Turin noch einmal ins Champions-League-Finale führte, schaute Wagner auch mal in der Zweiten Liga vorbei.

Noch heute gilt der Sommer 2009 als ein Meilenstein in der jüngeren deutschen Fußballhistorie. Neben Khedira starteten damals auch Spieler wie Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels oder Mesut Özil einzigartige Karrieren. Sie wurden 2010 von Bundestrainer Joachim Löw mit zur WM nach Südafrika genommen und prägten einen neuen Stil der Mannschaft. Heute bringen sie es auf um die 70 oder 80 Länderspiele.

Als diese Spieler Weltmeister wurden, steckte Sandro Wagner gerade bei Hertha fest. In seinen drei Berliner Jahren (2012 bis 2015) brachte er es auf sieben Tore – eine bemitleidenswerte Quote für einen Mittelstürmer. Allerdings bekam er kaum Startelfeinsätze (13). Er sei nun mal kein Joker, hat Wagner später mal erzählt, er brauche Spielzeit, um ins Spiel zu kommen. In Berlin ging es sogar so weit, dass Herthas Trainer Pal Dardai ihn nicht mehr wollte. Er ließ Wagner auf dem Trainingsplatz nur noch abseits der Mannschaft trainieren. Im Nachhinein sei er Dardai dankbar, sagt Wagner und streicht sich über seinen Richelieu-Bart, „dass er mich damals hat aufs leere Tor schießen lassen. So habe ich viel Selbstvertrauen aufbauen können.“ Er habe eben eine andere Karriere hingelegt, „nicht ganz so glanzvoll wie die meines Nebenmannes“, sagt Wagner, „aber gewisse Situationen haben mich auch geprägt als Mensch, deshalb möchte ich sie nicht missen.“

In drei Berliner Jahren brachte er es gerade mal auf sieben Tore

Wagner wechselte 2015 zum Abstiegskandidaten nach Darmstadt. Dort erfuhr er Wertschätzung und Vertrauen. Wagner blühte auf und holte fortan das nach, was ihm viele Jahre verwehrt blieb – das Toreschießen. 14 waren es für Darmstadt, was zum Klassenerhalt reichte. Er ging zur TSG Hoffenheim, schoss dort im ersten Jahr elf Tore. In der laufenden Spielzeit sind es auch schon vier Tore, hinzu kommt jeweils eins in der Europa League und in der Champions-League-Qualifikation gegen Liverpool.

„Ich habe eine Weile gebraucht, um zu meinem Spiel zu finden“, erzählt Wagner. Auch andere Stürmer würden sein Schicksal als Spätberufene teilen, etwa Oliver Bierhoff (Debüt mit 27) oder Stefan Kuntz (31). Umso mehr freue er sich, wieder im Kreis derer zu sein, mit denen er damals ausgezogen war, die Fußballwelt aus den Angeln zu heben.

Er habe Wagner damals aus den Augen verloren, erzählt Khedira, „es ist deswegen bemerkens- und lobenswert, wie er sich entwickelt hat“. Gerade, wenn man „in jungen Jahren Fehler“ gemacht habe. „Und jetzt hat er gute Chancen auf eine WM-Teilnahme“, sagt Khedira.

Auch Bundestrainer Löw, der Wagner in diesem Sommer erstmals in die Nationalelf berief und mit zum Confed-Cup nahm, preist dessen Entwicklung. Tatsächlich ist Wagner ein Spielertyp, der aus der Ansammlung der vielen Kreativen in der deutschen Offensive herausragt. Es ist das Brecherhafte, die Präsenz bei Flanken, die den 1,94 Meter großen Wagner zu einer echten WM-Alternative im Sturm zu einem wie Timo Werner machen, sagt Löw.

Bis dahin sei es ein weiter Weg, sagt Wagner, der in diesem Monat 30 wird. „Wenn ich zu viel an die WM denke, stört das meine tägliche Arbeit.“ Vielmehr freue er sich, überhaupt noch den Sprung so spät geschafft zu haben. „Ich klaue dem Timo Werner jetzt nicht das Schampoo aus dem Zimmer, damit er vielleicht außer Tritt gerät“, sagt Wagner. Seinem Traum war er jedenfalls nie näher.

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