zum Hauptinhalt
Schick sah er aus. Für sein Debüt vor vier Jahren hatte sich Pal Dardai ganz schön rausgeputzt. Inzwischen bevorzugt er Ballonseide.
© picture alliance / dpa

Seit vier Jahren Trainer von Hertha BSC: Pal Dardai und seine Zahlenspiele

Heute vor vier Jahren ist Pal Dardai zum Cheftrainer von Hertha BSC aufgestiegen. Unter seiner Führung hat sich die Mannschaft rasant entwickelt.

Pal Dardai hatte sich schick gemacht. Er trug eine graue Daunenjacke, darunter ein gebügeltes Hemd und dunkle Jeans. War ja auch ein besonderer Tag für ihn. Sein erstes Bundesligaspiel als Trainer von Hertha BSC stand an, auswärts in Mainz. Exakt vier Jahre ist der Ungar jetzt im Amt, zwei Tage nach seiner Beförderung feierte er bei seinem Debüt einen 2:0-Erfolg gegen die Mainzer. Seitdem hat sich vieles verändert, nicht nur das Spieltagsoutfit Dardais, der inzwischen, ganz ehrlicher Arbeiter, Ballonseide trägt. Die Entwicklung der Mannschaft hat sich gewissermaßen diametral zum Kleidungsstil ihres Trainers entwickelt: vom Schlichten zum Besonderen. „Diese Mannschaft hat großes Potenzial. Hier kann etwas wachsen“, sagt Dardai. „Wir haben die Mannschaft in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt verändert für den modernen Fußball.“ Der Wandel lässt sich auch mit einigen typischen Aussprüchen Dardais nachzeichnen.

DIE SIEBEN-MINUTEN-REGEL

Pal Dardai sagt von sich, dass er in der Schule „nicht das große Mathe-Genie“ war, zumindest nicht mehr auf dem Gymnasium. Aber: „Ich bin Zahlenmensch.“ Viele seiner Regeln haben mit Mathematik oder Geometrie zu tun. So wollte er zu Beginn seiner Amtszeit von seiner Mannschaft alle sieben Minuten eine Torchance sehen. „Wenn wir alle sieben Minuten eine Chance haben, gewinnen wir das Spiel“, hat Dardai damals erklärt. Die Zeitspanne war nicht empirisch erhoben. In erster Linie sollte es eine psychologische Hilfe für die verunsicherte Mannschaft sein. Einen Tag, bevor Dardai von der U 15 zu den Profis befördert wurde und Jos Luhukay ablöste, hatte Hertha im eigenen Stadion 0:1 gegen Bayer Leverkusen verloren. Als Vorletzter drohte mal wieder der Abstieg aus der Fußball-Bundesliga.

Mit der Sieben-Minuten-Regel zum Erfolg: Trainer Pal Dardai treibt sein Team gegen den VfL Wolfsburg an.
Mit der Sieben-Minuten-Regel zum Erfolg: Trainer Pal Dardai treibt sein Team gegen den VfL Wolfsburg an.
© Tobias Schwarz/AFP

Mit der Sieben-Minuten-Regel wollte Dardai sein Team „zur Geduld anhalten“, erklärt er. „Wenn wir den Ball haben: Ruhe, Passspiel. So war der Plan. Für die Zuschauer war es vielleicht langweilig: Wir haben viel hintenrum gespielt. So lange, bis ein gegnerischer Spieler rausgerückt und ins Pressing gegangen ist. In diesem Moment haben wir gewusst, was passiert. Das war einstudiert.“

In der Saison 2015/16, der ersten kompletten unter Dardai, holt Hertha mit diesem Geduldsspiel in der Hinrunde 32 Punkte, ist zur Winterpause Dritter – und wird in der Rückrunde ein Opfer des eigenen Erfolgs. „Die Gegner haben uns dann unter die Lupe genommen und die drei Mittelfeldspieler zugestellt“, sagt Dardai. „Wir haben die Räume, die sich woanders aufgetan haben, nicht gut genutzt – weil die Qualität nicht so da war.“

DAS SCHIEFE DREIECK

Das schiefe Dreieck, bestehend aus Fabian Lustenberger, Per Skjelbred und Vladimir Darida, ist inzwischen eher ein windschiefes Dreieck. Keiner der drei Eckpunkte darf sich bei Hertha noch unantastbar fühlen. Lustenberger, der im Sommer nach dann zwölf Jahren in die Schweiz zurückkehren wird, kommt in dieser Saison zwar auf 17 Einsätze (davon 14 in der Startelf), wurde zuletzt aber meistens als Innenverteidiger aufgeboten. Darida hat acht Mal gespielt (drei Startelfeinsätze), Skjelbred sieben Mal (fünf).

Teil des schiefen Dreiecks: Fabian Lustenberger im Testspiel gegen Dukla Prag 2018.
Teil des schiefen Dreiecks: Fabian Lustenberger im Testspiel gegen Dukla Prag 2018.
© Soeren Stache/dpa

Gerade 2015/16 waren die drei Mittelfeldspieler Garanten für die erfolgreiche Hinrunde – obwohl sie sich in ihren Anlagen eigentlich zu ähnlich sind: alle eher Sechser oder Achter als Zehner. Das schiefe Dreieck lebte daher von der taktischen Intelligenz ihrer Mitglieder, vor allem aber von deren Fleiß und Laufstärke. „Es ist viel Kopfarbeit: schauen und denken“, hat Vladimir Darida einmal erklärt. Inzwischen ist Hertha gerade im Mittelfeld ganz anders bestückt. „Spieler wie Arne Maier, Marko Grujic oder Ondrej Duda haben eine ganz andere individuelle Qualität“, sagt Pal Dardai.

DIE VIER-SPIELE-REGEL

Von all den Trainern, unter denen Dardai als Spieler gearbeitet hat, war Lucien Favre für ihn besonders prägend. Auch die Vier-Spiele-Regel geht auf den Schweizer zurück, der von 2007 bis 2009 bei Hertha unter Vertrag stand. Dardai hat den Spielplan in Blöcke à vier Spiele unterteilt und für jeden Block eine zu erzielende Punktzahl ausgegeben. Bei Favre waren es sieben pro Block. „Das heißt: Einmal darf ich verlieren“, erklärt Dardai. „Das ist wichtig für den Kopf, damit du die Spieler nicht zu sehr unter Druck setzt.“

Von ihm hat Dardai viel gelernt: Lucien Favre war früher Trainer bei Hertha BSC und steht jetzt bei Dortmund unter Vertrag.
Von ihm hat Dardai viel gelernt: Lucien Favre war früher Trainer bei Hertha BSC und steht jetzt bei Dortmund unter Vertrag.
© Guido Kirchner/dpa

Dass er Favres Regel zu Beginn seiner Amtszeit reaktiviert hat, hatte psychologische Gründe: „Man wollte nicht zu viele Punkte ansagen, damit die Spieler sich Fehler erlauben können. Jetzt versuchen wir ohne Fehler zu spielen.“ Die Vier-Spiele-Regel ist inzwischen außer Kraft gesetzt. „Die Spieler kommen besser klar mit dem sogenannten Druck“, sagt Dardai. „Sie sind erfahrener geworden, deshalb kann man sie auch mehr fordern.“ Zudem dürfe man die Spieler nicht langweilen, deshalb „denke ich mir jedes Jahr etwas anderes aus“, erklärt Dardai. „So behältst du die Aufmerksamkeit der Spieler. Wenn du jeden Tag derselbe bist, dasselbe machst, wirst du nicht vier Jahre Trainer bei ein und demselben Verein bleiben.“

SCHACH UND MATT

Historisch gesehen zählt Ungarn zu den großen Schachnationen, Pal Dardai aber ist kein Schachspieler. „Mein Vater und mein Onkel haben stundenlang Schach gespielt, ich spiele lieber Karten, vor allem Rommé“, erzählt er. „Viele Trainer sagen, Fußball ist wie Schach. Finde ich nicht. Ich sehe mehr Ähnlichkeiten mit Kartenspielen. Beim Schach hast du deine Idee, die du durchziehst. Da gibt es aber anders als im Fußball keinen Zufall.“ Trotzdem verwendet Herthas Trainer zunehmend eine Wendung, die er aus dem Schach entlehnt hat: Er will Schach- und-Matt-Tore sehen.

„Schach und Matt, das ist ein Spielzug, der so schön ist, dass der Stürmer den Ball nur noch über die Linie ins leere Tor schieben muss“, erklärt Dardai. „Wir haben immer mehr davon. Das üben wir sehr oft und sehr viel.“ Zu Beginn seiner Amtszeit hätten sich die Spieler bei solchen Versuchen vermutlich Knoten in die Beine gespielt. Co-Trainer Rainer Widmayer hat einmal erzählt, wie er beim „Elf gegen elf“ im Training zu Dardai gesagt hat: „Das Tor kannst du wegtragen. Das würden die gar nicht merken.“

Herthas Mannschaft ist kaum wiederzuerkennen. Von den 15 Spielern, die bei Dardais Debüt vor vier Jahren in Mainz auf dem Platz standen, sind nur drei noch im Verein: Peter Pekarik, Marvin Plattenhardt und Fabian Lustenberger. „Wenn du die Mannschaft aus dem ersten Jahr analysierst und dir die Durchschnittsgeschwindigkeit anschaust – das ist ein Riesenunterschied zu heute. Die Mannschaft war insgesamt zu langsam“, sagt Dardai. „Jetzt haben wir sehr viel Qualität im Kader, was auch mit Schnelligkeit zu tun hat.“

DER SECHSWOCHENVERTRAG

Vor zehn Tagen hat Hertha BSC verkündet, dass der Vertrag mit Pal Dardai als Cheftrainer um ein Jahr verlängert wurde. Es ist nicht bekannt, ob der Ungar daraufhin eine gute Flasche Rotwein aus seinem Keller geholt hat. Wieso auch? Für ihn ist die Vertragslaufzeit nur eine theoretische Größe. Dardai sagt: „Als Trainer hat du einen Sechswochenvertrag.“ Das liegt für ihn an dem Dreieck aus Fans, Mannschaft und Medien, das immer richtig austariert sein muss und aus dem Gleichgewicht gerät, sollte der Erfolg ausbleiben. „Wenn du sechs Mal verlierst, fangen die Medien an zu schießen“, sagt er. „Das ist so.“

Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de

Zur Startseite