Ende der Ära Jos Luhukay: Bei Hertha BSC ist die Luft raus
Ein Zauberer war er nie. Trotzdem führte er Hertha BSC zurück in die erste Liga. Doch jetzt wirkt die Mannschaft ausgebrannt. Nach 31 Monaten muss Trainer Jos Luhukay gehen. Viel zu spät, schimpfen die einen. Andere sagen: Es trifft den Falschen.
Pal Dardai kommt aus Ungarn, er lebt jetzt seit beinahe zwanzig Jahren in Berlin, doch seine deutsche Formulierungskunst erinnert noch immer stark an Pep Guardiola. Ungestüm und in wilder Anordnung sprudeln die Worte aus seinem Mund, dazu lacht er breit mit seinem Kindergesicht und freut sich, wenn die anderen mitlachen. Dabei hat er sehr wohl verinnerlicht, worauf es ankommt an seinem ersten Tag als neuer, starker Mann bei Hertha BSC. Martialisch muss er wirken, kämpferisch und überzeugend. Den markantesten Satz spricht er kurz vor dem ersten Training mit seiner neuen Mannschaft, er soll sie vom vorletzten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga wieder in kommodere Gefilde führen. Also sagt Pal Dardai: „Ich werde bis zum Tode arbeiten.“
Na, das ist doch mal eine Ansage, sie steht für den unbedingten Willen, die Chance zu nutzen, die ihm sein Verein da eher widerwillig gegeben hat. Aber es ging nichts mehr bei Hertha BSC, nicht in den vergangenen Wochen und erst recht nicht am Mittwochabend im bedenklich leeren Olympiastadion. 0:1 verloren die Berliner gegen Bayer Leverkusen. Und der Erste, der den Rasen verließ, die Hände tief in den Taschen der dunkelblauen Daunenjacke vergraben, war Jos Luhukay. Der Mann, der danach noch ein paar Stunden lang Herthas Cheftrainer war. Bis der Verein am Donnerstag zur Mittagstunde die Trennung verkündete und Pal Dardai als neuen Trainer vorstellte. Den Ungarn, Herthas Rekordspieler mit 286 Einsätzen in der Bundesliga.
Jetzt ist er 38 Jahre alt und soll Sorge tragen dafür, dass es sein Verein auch in der kommenden Spielzeit in der Erstklassigkeit stattfindet. Und wenn er dafür bis zum Tod arbeiten muss oder noch ein bisschen mehr.
Dardai fehlt die nötige Trainerlizenz
Weil dem Ungarn neben der Erfahrung auf diesem Niveau auch die nötige Trainerlizenz fehlt, bekommt er mit Rainer Widmayer noch einen erfahrenen Mann an die Seite. Der 47-Jährige war mal Co-Trainer von Markus Babbel bei Hertha, und obwohl die Trennung von Babbel damals nicht ganz ohne Nebengeräusche abgelaufen ist, hat Widmayers Verhältnis zu Manager Michael Preetz keinen Schaden genommen. Pikant an der neuen Konstellation ist viel mehr, dass es Babbel und Widmayer waren, die Dardai mehr oder weniger Richtung Karriereende gedrängt haben; ihr Verhältnis war dadurch in der Vergangenheit nicht ganz störungsfrei.
Während Widmayer in der neuen Konstellation für die fußballerische Kompetenz steht, ist Dardai vor allem als Aushängeschild für die Fans gedacht. Er ist die Beruhigungspille in unruhigen Zeiten. Dardai, der seit dem vergangenen Herbst im Nebenjob die A-Nationalmannschaft seines Heimatlandes betreut, besitzt beim Anhang des Berliner Bundesligisten einen ausgesprochen guten Ruf. „Ungarn ist wichtig und Hertha ist sehr, sehr wichtig“, sagt er bei seiner Vorstellung. Als Spieler war er kein begnadeter Techniker, hat im Mittelfeld aber jedes Loch zugelaufen und jeden Erdklumpen mit Namen gekannt. Auch als Trainer ist Dardai bisher nicht gerade durch intellektuelle Herangehensweise aufgefallen, Herthas Jugendspieler soll er mit harter Hand führen. Super, werden die Fans sagen, genau das ist es, was die verwöhnten Profis jetzt mal brauchen.
Wenn Dardai in den nächsten Wochen die Wende schafft, wird er im Ansehen der Anhänger weiter steigen. Schon jetzt ist er beliebt, weil er als Fußballer ein Kämpfer war, der Hertha immer treu geblieben ist. „Ich werde die Fans hinter mir haben“, sagt Dardai. „Sie wissen, dass ich immer für den Verein gearbeitet habe.“ Der Mann steht, genauso wie Michael Preetz, für eine Zeit, in der Hertha zu einer großen Nummer aufstieg. Gemeinsam schafften sie den Aufstieg in die Bundesliga und zogen in die Champions League ein.
Warum Manager Preetz jetzt wieder in den Fokus der Kritik rückt
Michael Preetz hat diesen Ruf längst eingebüßt. Er steht nicht mehr für die Champions League, er steht für zwei Abstiege, die er als Manager zu verantworten hat und die den Klub sowie seine Anhängerschaft schwer mitgenommen haben. Hertha ist ein leidender Verein, einer, der seit fünf Jahren zwischen den Ligen hin und her taumelt. Runter, hoch, wieder runter und wieder hoch – ohne Pause. Hertha findet einfach keinen Halt.
Unter Jos Luhukay sah es lange so aus, als könnte sich das ändern. Der kleine Holländer hat dem Manager mit seinen Erfolgen eine Art Verschnaufpause verschafft. Spätestens jetzt, mit Luhukays Entlassung, gerät Michael Preetz wieder in den Fokus der Kritik.
Akkurater Scheitel, fester Händedruck, gerader Rücken, markante Brille – klar und streng ist der äußere Eindruck, den Preetz erweckt. Als Manager aber wirkt er auch nach fast sechs Jahren im Amt noch seltsam konturlos. Wofür steht er? Wovon lässt er sich leiten? Wo will er mit dem Verein hin? Wie arbeitet er? Der 47-Jährige ist schwer zu fassen. Im Grunde gilt das für den gesamten Verein. Hertha ist ein Klub ohne Profil, einer, der nicht aneckt, der den meisten Leuten außerhalb Berlins aber auch ziemlich egal ist.
Vage, verschlossen, übervorsichtig
Preetz ist so ziemlich das Gegenteil seines streitbaren Vorgängers Dieter Hoeneß, den er im Sommer 2009 gemeinsam mit Präsident Werner Gegenbauer aus dem Amt gedrängt hat: vage, verschlossen, übervorsichtig. Nach den Pressekonferenzen im Olympiastadion stürzt er fast aus dem Presseraum, manchmal läuft ein Journalist hinterher, ruft „Michael! Michael!“, aber dann ist Preetz schon hinter der nächsten Tür verschwunden.
Der Manager gilt vielen als Gesicht des Niedergangs. Zu viele Fehlgriffe hat er sich in seiner Amtszeit geleistet. Im ersten Abstiegsjahr verschliss er zwei Trainer, Lucien Favre und Friedhelm Funkel. In der Saison 2011/12 waren es noch mehr: Markus Babbel, Michael Skibbe, Otto Rehhagel. Trotzdem blieb Preetz im Amt, weil Präsident Gegenbauer seine schützende Hand über ihn hielt. Im Oktober 2013, kurz nach dem Aufstieg und ein paar erfolgreichen Bundesligaspielen, wurde sein Vertrag sogar bis 2017 verlängert.
Immerhin: Auf dem Managerposten hat Hertha das, wonach Preetz seit Jahren vergeblich strebt. Nichts treibt ihn so sehr an wie der Wunsch nach Konstanz – und mit Luhukay schien Preetz endlich auf einem guten Weg zu sein. Der Holländer war ein Glücksgriff für Hertha, weil er nicht nur die Mannschaft sportlich auf Vordermann brachte, sondern auch dem am Boden liegenden Klub neues Leben einhauchte und ihm wieder eine Stimme verlieh.
Das System Luhukay: Fußballehrer, nicht Zauberer
Luhukay hat eine Leerstelle besetzt, für die Preetz letztlich verantwortlich ist. Ein starker Manager gibt dem Verein eine Philosophie vor, er setzt die Leitplanken, zwischen denen sich der Trainer bewegen kann. Stattdessen hat sich Hertha Luhukay ausgeliefert. Der Trainer war es, der die Personalpolitik bestimmt hat. Fast alle Spieler, die Hertha in den vergangenen Jahren verpflichtet hat, lassen sich irgendwie zu Luhukay zurückverfolgen. Mit den meisten – Marcel Ndjeng, Johannes van den Bergh, Jens Hegeler, Hajime Hosogai – hat er schon bei einer seiner früheren Stationen als Trainer zusammengearbeitet. Roy Beerens und John Heitinga kommen wie der Trainer aus Holland, und selbst Salomon Kalou hat zu Beginn seiner glanzvollen Karriere in der Ehrendivision gespielt.
Preetz hat den Trainer gewähren lassen. Warum auch nicht? Noch im Herbst hat der Manager gesagt, wenn Luhukay wolle, könne er seinen Vertrag sofort verlängern. Der Erfolg sprach doch für sich. Der Holländer hat den Verein wieder geerdet – weil er selbst geerdet ist. Mehr als ein Jahr lebte er in einem Hotelapartment direkt im Schatten des Olympiastadions. „Ich muss nicht so viel haben, um mich wohl zu fühlen“, hat er mal gesagt. Für die Sehenswürdigkeiten Berlins habe er keine Zeit. „In meinem Beruf muss die Leidenschaft auf den Fußball gerichtet sein“. Luhukay werkelte rund um die Uhr für Hertha. Und gewann. Achtung und Einfluss. Irgendwann in der vergangenen Saison – Hertha war beachtlich in die Bundesliga gestartet – hat der Holländer dann eine Wohnung im Haus Cumberland am Kurfürstendamm bezogen. Anschließend verließ ihn der Erfolg.
Luhukay ist kein Zauberer, der mal eben ein Motivationsfeuerwerk abbrennt und eine Mannschaft in kurzer Zeit zu unglaublichen Leistungen treibt, was dann aber doch nur zur Folge hat, dass eine Mannschaft nach ebenso kurzer Zeit wie ausgebrannt wirkt. „Fördern und Fordern“, hat er neulich im Trainingslager in Belek gesagt, als er auf seinen ruppigen Ton den Spielern gegenüber angesprochen wurde.
Nach der Niederlage ging er seine Spieler öffentlich an
Nach dem missratenen Start ins neue Jahr mit einer Niederlage in Bremen vor ein paar Tagen ging Jos Luhukay einige seiner Spieler öffentlich an. „Die Lehre hört irgendwann mal auf. Wenn ich sehe, wie unsere beiden jungen Spieler bei Gegentoren verteidigen, das ist nicht das erste Mal so gewesen.“ Und weiter: „Einige Spieler haben ihre Chance bekommen und müssen jetzt Verantwortung übernehmen.“ Solche Sätze in der Öffentlichkeit kommen in keiner Mannschaft gut an.
Das finale 0:1 gegen Leverkusen war die dritte Niederlage hintereinander, zum ersten Mal unter Luhukay fiel Hertha in der Bundesliga auf einen Abstiegsplatz. Und mehr noch als die Ergebnisse waren es die Auftritte des Teams, die Zweifel an der Arbeit des Trainers geweckt haben. Konstant war bei Hertha nur noch der Misserfolg.
Im Grunde war Preetz längst in einer Situation, in der er nichts mehr richtig machen konnte. Entlässt er Luhukay, wird ihm Aktionismus vorgeworfen. Hält er ihn im Amt, gilt er als blind für die drohende Gefahr. Warum so früh?, fragen die einen. Die anderen: Warum erst jetzt, da ein neuer Trainer keine Zeit zur Vorbereitung mehr hat und auch keine Spieler mehr verpflichten kann? Gegenbauer und Preetz haben sich lange schwer getan, von Luhukay abzurücken. Aber jetzt geht es um mehr als den Trainer – jetzt geht es um den Verein, und es geht auch um Preetz und Gegenbauer. Im Mai 2013, als der Klub dank Luhukay den zweiten Abstieg der jüngeren Vergangenheit korrigiert hatte, schloss Gegenbauer aus, dass es mit ihm einen weiteren Aufstieg geben werde. Großes Ehrenwort. „Wir sollten also drin bleiben“, sagte er.
Dass das so schwer werden würde, damit haben sie vor der Saison wohl nicht gerechnet – zumal der Verein im Sommer so viel Geld für Neuverpflichtungen ausgegeben hat wie zuletzt unter Dieter Hoeneß. Sie haben große Namen verpflichtet wie den Vizeweltmeister Heitinga, den Schweizer WM-Teilnehmer Valentin Stocker oder den früheren Champions-League-Sieger Salomon Kalou, der so viel verdient, dass Borussia Mönchengladbach von einer Verpflichtung schnell Abstand genommen hat. Trotzdem hat Preetz im Sommer gesagt: „Wir wollen Hertha in der Bundesliga etablieren. Das ist die Überschrift für diese Saison.“
Jetzt sieht es so aus, als würde die Überschrift nicht ganz zur Geschichte passen.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.