Nach Herthas 0:1 in Dortmund: Ohne Tiefe keine Tore
Durch die Niederlage in Dortmund erkennt Bruno Labbadia, wo er ansetzen muss – das gilt für die offensiven Spieler und den Kader, der sich wandeln wird.
Es waren 70 Minuten gespielt, als Hertha BSC einen Freistoß zugesprochen bekam. Der eingewechselte Jessic Ngankam, 19, war halbrechts, dicht an der Strafraumgrenze, zu Fall gekommen. Die Position war verheißungsvoll. Die gastgebenden Dortmunder führten nur hauchdünn mit 1:0. Das wäre es gewesen.
Im Strafraum standen viele Spieler, auch die langen Berliner Innenverteidiger Dedryck Boyata und Jordan Torunarigha, die ihre Augen erwartungsvoll weit aufgerissen hatten. Am Ball standen zwei Herthaner. Der erste Spieler täuschte nur an, als wenn er schießen würde. Er lief über den Ball. Doch die Finte verpuffte, weil auf einem Kilometer Entfernung erkennbar gewesen war, dass nicht er den Ball treten würde, sondern erst sein Hintermann – Vladimir Darida. Doch der stockte, weil so ziemlich niemand seiner Mitspieler in Position gelaufen war. Er lief noch einmal kurz an und brachte den Ball vors Tor, wo die Dortmunder wenig Mühe hatten, zu klären.
[Eine Stadt, zwei Bundesligisten: Alle Entwicklungen rund um den1. FC Union und Hertha BSC finden Sie bei uns in jeweils eigenen News-Blogs.]
Diese Szene war sinnbildlich für die Offensivbemühungen der Berliner an diesen frühen Samstagabend im sogenannten Top-Spiel der Bundesliga. Es war ein Spiel mit vergleichsweise überschaubaren Unterhaltungswert. Was auch daran lag, dass die Berliner das Spiel der flinken Dortmundern oft lahmzulegen wussten, es selbst aber kaum einmal gefährlich vor das Tor des Tabellenzweiten schafften. Genau genommen brachte Hertha lediglich eine echte Torchance zustande.
Man habe Vieles gut gemacht, was die Defensive anbelangt, aber zu mehr habe es nicht gereicht, „Weil wir im Ballbesitz nicht gut genug waren, weil wir zu viele Ballverluste nach vorn hatten und zu viel gegen den Ball laufen mussten“, sagte Bruno Labbadia am Tag danach.
Es war das fünfte Spiel unter Herthas neuem Trainer. Nach drei Siegen und einem Unentschieden setzte es die erste Niederlage für die Berliner seit dem Re-Start. Für das 0:1 bei einer Mannschaft, die in der laufenden Spielzeit schon über 80 Tore erzielt hat, muss sich niemand schämen im Kader der Berliner, auch in der Tabelle ist nicht wirklich viel passiert. Und doch wird Hertha kritisch in die Analyse gehen müssen.
Trainer Labbadia bemängelte die fehlende Durchschlagskraft
Anders als vor eineinhalb Wochen beim viel beachteten 2:2 beim Tabellendritten in Leipzig, agierten die Berliner in der Offensive ungewöhnlich fehlerhaft und umständlich und letztlich ziemlich harmlos. Vor allem im letzten Spielfelddrittel, sozusagen dem Hinterland des Gegners, ließen es die Berliner an Zielstrebigkeit vermissen.
Zum Teil wurden die falschen Pässe gespielt, oder sie waren von unzureichender Qualität. Stoßstürmer Vedad Ibisevic wirkte lange Zeit wie abgekoppelt vom Spiel seiner Mannschaft. Was auch daran lag, dass Herthas offensive Außenbahnspieler Javairo Dilrosun (links) und Dodi Lukebakio (rechts) keinen so guten Tag erwischten.
Dilrosun, der erste Vertreter des angeschlagen Matheus Cunha, musste wegen Problemen im Oberschenkelmuskel bereits nach einer halben Stunde verletzt vom Feld. „Er hatte schon nach drei Minuten Schwierigkeiten, am Montag wird er untersucht“, sagte Labbadia. Für Dilrosun kam Alexander Esswein, dem die fehlende Spielpraxis anzusehen war und der leider erneut bestätigte, warum er zuletzt in Vergessenheit geraten war.
Ohne Matheus Cunha fehlte Hertha ein Überraschungsmoment
Bei Dodi Lukebakio liegen die Dinge etwas anders. Die Leistungen des Belgiers kongolesischer Abstammung unterliegen ungewöhnlich großen Schwankungen. Mit sechs Treffern ist er Herthas erfolgreichster Angreifer, aber gute Spiele wechseln sich mit schwachen Auftritten ab. In Dortmund wurde er „leistungsmäßig“ (Labbadia) ausgewechselt. „Wir hatten zu wenig Tiefenläufe, und bei ihm hatten wir das Gefühl, dass da nicht mehr viel kommt“, sagte Herthas Trainer.
Vor allem aber machte sich das Fehlen Cunhas bemerkbar. Zwar ist das Spiel des 21-jährigen Brasilianers längst nicht fehlerfrei, doch er ist ein für jeden Gegner schwer zu berechnendes Element. Der Winterzugang hat mit vier Treffern und zwei Torvorlagen in nur sieben Spielen Herthas Offensive geprägt. Seine Kreativität und seine überraschenden Aktionen fehlten den Berlinern in Dortmund. Insgesamt haben sie beim BVB recht wenig von ihrem Spiel durchbringen können, mal abgesehen von der defensiven Kompaktheit. Im Ballbesitz haben sie sich zu wenig gezeigt. Genau das aber verlangt Labbadia von seiner Mannschaft.
Nur 36 Prozent Ballbesitz bei einem spieldominanten Team wie Dortmund sind nicht zwingend das Problem, die Frage ist, was man im Ballbesitz anstellt. In Dortmund hatte Hertha nur viermal aufs Tor geschossen. Neulich beim Tabellendritten Leipzig, der nicht weniger spielstark ist, hatte Hertha immerhin zwölf Torschüsse abgegeben – einen mehr als die Gastgeber.
[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]
Nach der Niederlage in Dortmund wären die Spieler etwas enttäuscht gewesen. „Wenn wir mehr Durchschlagskraft gehabt hätten, wäre vielleicht mehr drin gewesen“, sagte Labbadia. Laufbereitschaft und Spielorganisation hätten gestimmt. Defizite seien identifiziert.
Durch das Spiel beim BVB haben er und sein Trainerteam weitere Erkenntnisse erhalten, „wo wir ansetzen, wo wir etwas tun müssen“, erzählte Labbadia und deutete mit Blick auf den Kader vielsagend an: „Wir werden immer schauen, was wir haben.“ Und was nicht.