Handball-EM: Mit Abwehrexperte Finn Lemke gegen Mazedonien
Nach der lange schwachen Defensivleistung beim glücklichen 25:25 gegen Slowenien hat Bundestrainer Christian Prokop Verteidigungsspezialist Finn Lemke nachnominiert.
Christian Prokop war noch nicht mal offiziell im Amt, da machten schon die ersten Gerüchte und Anekdoten über seinen Arbeitsstil die Runde. Der neue Handball-Bundestrainer sei ein Taktik-Fanatiker und glänzender Video-Analytiker, hieß es von seinem Bundesliga-Klub DHfK Leipzig. Einer, der sich auch in der Nachbetrachtung exzessiv mit Details beschäftigt, die gut oder weniger gut gelaufen sind. Der in englischen Wochen im Grunde nur Zeit für eine Sache hat: Handball.
Wie das nun im Europameisterschafts-Alltag aussieht, hat Prokop am Dienstagmorgen, wenige Stunden nach dem glücklichen 25:25 gegen Slowenien, eingehender erläutert. Bis tief in die Nacht habe er sich dem Videostudium der Partie gewidmet, berichtete der 39-Jährige, „ich glaube, es war kurz nach zwei.“ Dabei ist in ihm offenbar die Erkenntnis gereift, dass es einiger Veränderungen bedarf, sofern sein Team in Kroatien erneut um dem Titel mitmischen will. „Wir müssen mit Feuer und Herz spielen und diese Einstellung von Beginn an bringen“, sagte Prokop, „vor allem dürfen wir uns nicht noch einmal so beeindrucken lassen wie in Halbzeit eins.“
Bastian Roscheck wird aus dem Kader gestrichen
Basierend auf diesen Beobachtungen hat Prokop dann auch umgehend reagiert und eine zentrale Korrektur vorgenommen: Für das letzte Vorrundenspiel gegen Mazedonien am Mittwoch (18.15 Uhr, ARD), das über den Sieg in der Vorrundengruppe C entscheiden wird, nominierte er Finn Lemke nach, den Oberbösewicht der Bad Boys von 2016 also, dessen Nicht-Berücksichtigung vor der EM extrem hohe Wellen geschlagen hat. Für Lemke wird Newcomer Bastian Roscheck aus dem Kader gestrichen – eine unmittelbare Konsequenz aus der schlafmützigen und emotionslosen ersten Halbzeit gegen Slowenien. In Anlehnung an eine legendäre "Alf"-Folge („Die Nacht, in der die Pizza kam“) könnte man sagen: Es war die Nacht, in der der Abwehrchef kam.
Man musste nicht die Qualifikation und das Fachwissen eines langjährigen Bundesliga- oder Bundestrainers haben, um gegen Slowenien die große Schwachstelle im deutschen Team zu identifizieren, dazu genügten zwei gesunde Augen: der Mittelblock verdiente sich diesen Namen am Montagabend erst nach der Pause, bis dahin durften die Slowenen mit geradezu erschreckender Leichtigkeit durch das Abwehrzentrum dribbeln und marschieren; lange Zeit gewährte Team Germany freies Geleit. „Der Bundestrainer ist davon ausgegangen, dass seine Abwehrsysteme auch in Stress- und Drucksituationen funktionieren. In der Praxis ist er allerdings eines Besseren belehrt worden“, analysierte der Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB), Bob Hanning, deshalb sei die Entscheidung nur konsequent. „Ich hoffe, dass unsere Abwehr dadurch mehr Körperlichkeit und die Torhüter mehr Sicherheit bekommen“, sagte Prokop. „Ich habe ja immer wieder betont, dass 20 Mann zu unserem Kader gehören. Wir sind hier nicht wie andere Nationen mit 18 Leuten angereist.“ Neben Lemke bleibt dem Bundestrainer für den weiteren Turnierverlauf damit noch eine weitere personelle Wechselmöglichkeit.
EHF lehnt slowenischen Protest ab
„Zunächst einmal fühlen wir alle mit Basti mit, der schon nach zwei Spieltagen ausgetauscht wird“, sagte Uwe Gensheimer. „Das ist keine schöne Situation für ihn. Jeder, der das einmal durchgemacht hat, weiß das“, ergänzte der Kapitän, „aber wir müssen uns nunmal alle dem Erfolg des Teams unterordnen.“ Mit Lemke, glaubt Gensheimer, werde die Nationalmannschaft noch einmal deutlich variabler in der Defensive als ohne den 2,10-Meter-Hünen, der sich am Dienstag direkt vom Trainingslager seines Arbeitgebers, der MT Melsungen, auf Fuerteventura aufmachte und am Abend in Zagreb landen sollte. Torhüter Silvio Heinevetter gab allerdings zu bedenken, „dass wir Finn jetzt nicht wie einen Heilsbringer empfangen dürfen, er hat eine hammerharte Anreise und wird sicher erstmal ein bisschen Zeit brauchen“.
Bei aller Aufregung um den Fall Lemke ging eine Nachricht am Dienstag beinahe unter. Demnach hat der europäische Handball-Verband EHF den Protest abgelehnt, den die slowenische Delegation nach der dramatischen Schlussphase am Montagabend eingereicht hatte. Das Endergebnis ist damit bestätigt und nicht mehr aus den Turnierstatistiken zu tilgen. „Wir sind froh, dass wir nun Klarheit haben. Die Entscheidung der EHF überrascht uns nicht, da diese regelkonform war und ist“, sagte DHB-Vize Hanning. „Wir respektieren aber weiterhin den slowenischen Protest und können die Enttäuschung aufgrund des dramatischen Spielendes nachvollziehen“, ergänzte er. Nun müsse es allerdings wieder ums Tagesgeschäft gehen, und das heißt mit Blick auf Mittwoch: Endspiel um den Gruppensieg gegen Mazedonien. Mit Finn Lemke in seiner Lieblingsrolle als Abwehrchef und Aggressive Leader.