Handball-EM in Kroatien: Irre Wendung - DHB-Team holt Punkt gegen Slowenien
Die deutsche Nationalmannschaft kämpft sich nach einem Fünf-Tore-Rückstand zurück ins Spiel - am Ende sichert ein kurioser Videobeweis das Remis und den Einzug in die Hauptrunde.
Auf internationalem Top-Niveau passiert es nicht alle Tage, dass Sportler das Regelwerk besser kennen als die Schiedsrichter. Am Montagabend in der Handball-Arena von Zagreb war es ausnahmsweise der Fall. „Im Gegensatz zu manch anderen kenne ich die Regeln und wusste sofort, dass ich schnell handeln und auf die Schiris zustürmen muss“, sagte Nationaltorhüter Silvio Heinevetter nach dem zweiten Vorrundenspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft in Kroatien, dessen Schlussphase an Dramatik schwer zu übertreffen war. 15 Sekunden vor dem Ende hatte Paul Drux zum schmeichelhaften 24:24-Ausgleich für den Titelverteidiger getroffen, fünf Sekunden vor Schluss antworteten die Slowenen ihrerseits mit dem vermeintlichen Siegtor zum 25:24 – und dann überschlugen sich die Ereignisse vollends.
Heinevetter holte den Ball in einem letzten Verzweiflungsakt aus dem Netz und schleuderte ihn Richtung Mittelkreis, wo Drux verbotenerweise von drei Slowenen am Anwurf gehindert wurde. Seit den Olympischen Spielen 2016 in Rio sieht das Handball-Regelwerk dafür eine Rote Karte und einen Strafwurf vor. „Aber den hätten die Schiedsrichter niemals gegeben, deshalb habe ich wie ein Irrer auf sie eingeredet“, berichtete Heinevetter wenig später, Schweißperlen rannen von seiner Stirn. Nach der Intervention des Torhüters bemühte das litauische Gespann also den Videobeweis und gab nach unendlich langen sechs Minuten tatsächlich: Siebenmeter für Deutschland.
Es sah schwer nach einem Ausrutscher des Titelverteidigers aus
Tobias Reichmann ließ sich die unverhoffte allerletzte Chance auf den Ausgleich auch unter maximalem Druck nicht nehmen und traf mit der Coolness eines Eisblocks zum 25:25-Endstand. Die slowenischen Fans auf den Tribünen johlten und pfiffen zwar nach Leibeskräften, von Trainerlegende Veselin Vujovic und seinen Spielern ganz abgesehen. Wirklich beschweren durften sie sich über die Geschehnisse aber nicht. „Alles regelkonform“, bestätigte Heinevetter. „Das war ein dreckiger Punkt, aber er kann im weiteren Turnierverlauf noch richtig, richtig wertvoll sein“, ergänzte der Schlussmann von den Füchsen Berlin. Abgesehen vom Resultat gegen den Gruppenletzten nehmen die Teams ihre Zähler aus der Vorrunde nämlich mit in die Hauptrunde, in der die Halbfinalisten ermittelt werden und für die sich die Deutschen mit dem zweiten Punktgewinn nach dem Auftaktsieg nun bereits vorzeitig qualifizierten. „Für Slowenien ist es extrem bitter, das gebe ich zu“, befand Rechtsaußen Patrick Groetzki, „aber dafür müssen sie sich schon an die eigene Nase fassen.“
Zunächst hatte es über 40 Minuten schwer nach einem ersten Ausrutscher des Titelverteidigers ausgesehen. „Wir haben nicht im Ansatz das umgesetzt, was wir besprochen hatten und waren beeindruckt von der Härte und der Aggressivität des Gegners“, sagte Bundestrainer Christian Prokop. Vor allem in der Defensive offenbarten die Deutschen Schwachstellen, die man in dieser Form lange nicht mehr von ihnen gesehen hatte. Mit ihren schnellen, wendigen und spielstarken Akteuren zogen die Slowenen alsbald auf 6:3 davon. Offensiv lief es auch nicht viel besser für Prokops Team: Kapitän Uwe Gensheimer etwa verwarf zwei seiner ersten vier Siebenmeter, insgesamt dauerte es mehr als elf Minuten, ehe das erste Tor aus dem Spiel heraus gelang, erzielt durch Philipp Weber. Selbst der Torhüterwechsel von Andreas Wolff zu Silvio Heinevetter brachte zunächst nicht den gewünschten Erfolg. Allerdings konnten einem die beiden Keeper auch Leid tun, weil der Mittelblock vor ihnen diese Bezeichnung nun wirklich nicht verdiente. Zur Pause stand es 10:15 aus deutscher Sicht, und damit war die DHB-Auswahl noch gut bedient.
Nach dem Seitenwechsel kam das deutsche Team wie verwandelt aus der Kabine und holte in einer extrem aggressiven und hektischen Begegnung Tor um Tor auf. Beim 19:19 glich Kapitän Gensheimer, mit neun Treffern überragender Mann auf dem Feld, erstmals seit dem Anpfiff aus, wenig später gelang Hendrik Pekeler sogar die erste Führung des Abends – 21:20. Aber die Slowenen antworteten ihrerseits und sahen bis fünf Sekunden vor dem Ende wie der sichere Sieger aus. Bis zu den Geistesblitzen von Silvio Heinevetter und Paul Drux.
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