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Timo Werner, 21, kam im Sommer 2016 vom Absteiger VfB Stuttgart zum Aufsteiger RB Leipzig.
© dpa

Timo Werner im Interview: "Mir ist es herzlich egal, ob ich ausgepfiffen werde"

RB Leipzigs Stürmer Timo Werner spricht im Interview über seinen steilen Aufstieg in jungen Jahren, Aberglauben und Anfeindungen in den Stadien.

Herr Werner, was hat Sie in der Nacht des Nikolaustages in den Schnellimbiss „Ali Baba“ getrieben?

Mich zu verköstigen! Nach einem Abendspiel gibt es nicht mehr so viele Möglichkeiten, Essen zu gehen. Wir hatten an diesem Abend in der Champions League gegen Besiktas Istanbul gespielt. Mein Kumpel und ich hatten noch Hunger und da haben wir uns mal einen Döner gegönnt. Und dann haben wir dort ein paar Jungs getroffen.

Ein paar Jungs ist gut. Es waren Besiktas-Fans...

...Sie sagen es. Ich sah die Fan-Gruppe schon von außen und musste kurz mal überlegen, wirklich reinzugehen. Es waren ziemlich viele. Am Ende war es so, dass sie nur ein Bild mit mir machen wollten, also habe ich mich halt dazugesetzt.

Wir nehmen mal an, dass die Fans überraschter waren, Sie dort anzutreffen als andersherum, oder?

Dass Leute nach einem späten Fußballspiel einen Dönerladen aufsuchen, hat mich jetzt nicht überrascht.

Beim FC Bayern sind üppige Banketts nach Spielen in der Champions League fast schon legendär. Sagen Sie bloß, bei RB Leipzig gibt es so etwas nicht?

Keine Angst, bei uns gibt es auch schon etwas zu essen im Stadion, bei uns wird sowieso extrem viel Wert auf eine sehr gute Ernährung gelegt. Doch so kurz nach dem Spiel kriege ich manchmal noch nichts runter. Aber wieso fragen Sie?

Aus Ihrer Zeit beim VfB Stuttgart ist überliefert, dass Sie aus Aberglaube gewisse Marotten in Ihren Alltag eingebaut hatten. So lange Sie gut spielten, suchten Sie mittwochs immer dasselbe Restaurant auf.

Das ist aber schon deutlich besser geworden (lacht). Ich bin nicht mehr ganz so abergläubisch. Ich denke, dass solche Dinge durch den Erfolg irgendwann ein bisschen an Bedeutung verlieren. Seit ich in Leipzig bin, habe ich gemerkt, dass die Leistung nicht davon beeinflusst wird, in welchem Restaurant man vorher gegessen hat.

Wissen Sie, welche Angewohnheit Gary Lineker hatte?

Nein, aber Sie werden es mir sagen.

Beim Warmmachen vor einem jeden Spiel hat er nie aufs Tor geschossen. Er wollte, so seine Überzeugung, keine Tore vergeuden, sondern sie sich fürs Spiel aufheben.

Echt? Ich denke, dass gerade Fußballer anfällig sind für Aberglaube. Wenn man eine gute Strähne hat, behält man von Angewohnheiten und Abläufen vieles bei. Selbst Trainer sind davon zum Teil betroffen, wie man weiß.

Für Aberglaube soll die rechte Gehirnhälfte verantwortlich sein, die auch für Kreativität und Intuition steht.

Interessant. Ich halte mich schon für kreativ, zumindest habe ich eine große Vorstellungskraft, hören Sie sich mal um hier im Verein. Der eine ist empfänglicher dafür, ein anderer weniger. Ich mache mir keinen Kopf mehr deswegen. Mit dem sportlichen Erfolg wird vieles einfacher.

Das haben Sie so erfahren?

In meiner Stuttgarter Zeit war phasenweise auch viel Misserfolg dabei, da hab ich mich fast an jeden Strohhalm geklammert. Einer der Strohhalme war dann der Aberglaube, der rückblickend wahrscheinlich schon leicht ins Übertriebene gegangen ist.

Das heißt also, dass mit steigendem Selbstvertrauen der Hang zum Aberglaube abnimmt?

So sehe ich das. Letztlich ist doch auch hier die Frage: Was ist zuerst da – Ei oder Henne? Ist bei einem Stürmer plötzlich das Tor da, das den Kopf freimacht, um dann auch in den nächsten Spielen gute Leistungen zu bringen? Oder haben bestimme Rituale und Abläufe dazu geführt, wieder das Tor zu treffen?

Was passiert mit Ihnen, wenn Sie eine Torchance vergeben?

Beim VfB war es schon so: ein Schuss, eine Chance, ein Moment. Mittlerweile weiß ich, dass ich die Qualität habe, dass ich in einem Spiel auch noch eine zweite oder dritte Chance bekomme. Wenn nicht als Vorlage von einem Mitspieler, dann kann ich sie mir oftmals auch selbst erkämpfen. Mit diesem Wissen lebt es sich leichter als Stürmer. Man hat keinen Druck, man weiß ganz genau, es kommen noch Chancen.

Und wenn doch nicht?

Dann trifft man halt mal ein Spiel nicht. Das ist dann auch nicht schlimm. Ich mache mir deswegen nicht mehr so einen Kopf, ich nehme die Torchancen, wie sie kommen. Diese Lockerheit lässt einen wiederum viel eher treffen. Man verkrampft nicht. Denn das war es ja, was mir früher manchmal im Weg stand, dass ich verkrampfte, wenn ich eine Chance vergab.

Wie haben Sie zu neuem Selbstvertrauen gefunden?

Ich will die Zeit beim VfB gar nicht mit der hier in Leipzig vergleichen. Das letztes Jahr war super, Vizemeisterschaft und direkte Champions-League-Qualifikation. Diese Saison läuft es abgesehen vom Endspurt auch wieder ganz gut. Der Wechsel war für mich wie ein kleiner Neuanfang. Dass sich damals in Stuttgart als Wunderkind galt, hat mich nie so sehr gestört. Es spielten andere Faktoren rein, weshalb es dort letztlich nicht so für mich lief. In Leipzig spiele ich in einer Position, die ich beim VfB selten bekleiden durfte. Wir spielen mit einem zweiten Stürmer, was meinem Spiel entgegenkommt. Das Umfeld, die Mannschaft, die Fans, der Trainer – es passt einfach.

Sie sagten mal, dass man als Spieler, der viel Geld kostet, ein anderes Ansehen genießt. Was meinten Sie damit?

Wenn man in einem Verein als Jugendspieler zu den Profis hochkommt, hat man ein geringeres Standing als wenn man in eine Mannschaft eingekauft wird. Das bedeutet in aller Regel, dass man schon was geleistet hat. Als ich damals mit 17 Profi wurde beim VfB, stand ich zwischen Spielern, die 28 und 30 waren, die über 200 Bundesligaspiele und etliche Tore erzielt hatten. In eine solche Mannschaft reinzukommen und zu sagen, hallo, ich habe das Zeug mit euch mitzuhalten, oder gar, wie sich jetzt im Nachhinein zeigt, vielleicht auch noch besser zu spielen, das funktioniert nicht. Als junger Spieler hast du in deren Augen noch nichts geleistet, da musst du dich ganz hinten anstellen. Du musst dir dann sogar auch mal Sachen gefallen lassen, für die du gar nichts kannst. Es sei denn, du bist Messi.

Apropos Messi: Wann haben Sie auf dem Bolzplatz aufgehört, ein anderer zu sein, ein Star?

Ich habe damit noch nicht aufgehört! Wenn wir heute im Training Faxen machen, dann rufen wir uns immer noch die Namen von anderen Spielern zu, wenn Sie verstehen, was ich damit meine. Als ich neulich gegen den Rechtsaußen von Besiktas Istanbul gespielt habe, sagte ich in die Runde: Jetzt spiele ich mal wie Kylian Mbappé.

...den neuen Stürmerstar von Paris Saint-Germain...

Ja, und der ist noch drei Jahre jünger als ich. Sie sehen also, dass es keine Rolle spielt, wie klein oder groß man selbst ist, wie jung oder alt. Weil es einfach witzig ist und Spaß macht in dem Moment.

Sie wollen so sein wie Mbappé?

Nein. Ich bin Timo Werner. Aber es macht einfach Spaß beim Bolzen nach dem Training bekannte Namen zu rufen, das heißt nicht, dass man genauso sein will.

Schnell sind sie beide. Ab wann wussten Sie, dass Schnelligkeit Ihre Waffe ist?

Relativ früh. Ich bin eigentlich schon immer der Schnellste in meinen Mannschaften gewesen. Selbst als ich hochgezogen wurde und Mitspieler hatte, die zwei Jahre älter waren. Sie werden lachen, aber mit zehn, elf Jahren war ich der Größte im Team. Ich bin relativ schnell gewachsen, hatte dann aber auch schnell mein Maximum erreicht. Körperlich wurde ich überholt, im Sprint nie.

Ihre beste 100-Meter-Zeit?

Ich glaube 10,9.

Über 30 Meter sind sie mit 3,7 Sekunden so schnell wie Usain Bolt.

Daraus mache ich mir nichts, das sind einfach gute Gene. Bolt kommt hintenraus.

Wie empfinden Sie Ihren steilen Aufstieg?

Ich weiß nicht, ob es ein Glück war, dass ich schon so früh Profi geworden bin. Ich spiele jetzt im fünften Jahr Bundesliga, mit 21. Es ist viel passiert. Aber ich bin dankbar dafür, ich habe viel gelernt. Ich habe gelernt, dass der Fußball manchmal auch nicht gut sein kann, dass der Fußball einem in Phasen manchmal sogar ein Stück weit die Lust nimmt. Aber auch durch diese Momente musst du durch.

Kamen Ihnen nie Zweifel?

Doch auch, aber nie an meinen Qualitäten. Es ist nicht einfach, sich mit 16, 17 oder 18 körperlich so zu schinden, sich auch mental zu belasten. Ich habe dann einen Schritt gewagt, bin nach Leipzig, wo niemand wirklich wusste, in welche Richtung das geht. Heute kann ich sagen, dass ich meinen Anteil zur Vize- Meisterschaft geleistet habe.

Von Oliver Kahn weiß man, dass es ihn motivierte, wenn die Stimmung in fremden Stadien gegen ihn war. Seit einer Schwalbe vor einem Jahr werden Sie angefeindet. Können Sie Kahn verstehen?

Ich habe nie eine solche Art von Motivation gebraucht, ich habe eine hohe Eigenmotivation, ob Heimspiel oder auswärts. Wenn ich auf dem Feld bin, ist es mir herzlich egal, ob ich ausgepfiffen werde. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Es ist immer schöner, wenn einem die Fans zujubeln. Aber vor dem Tor kannst du dir nur selbst helfen. Mir kam nie der Gedanke, vor den Pfiffen einzuknicken, oder eine Extra-Motivation rauszuziehen. Mein Traum als kleiner Junge war immer, in der Bundesliga zu spielen. Das habe ich geschafft, und das lasse ich mir von niemanden nehmen.

Im Sommer gelang Ihnen mit dem Confed-Cup-Sieg der Durchbruch in der Nationalmannschaft. Wenig später mussten Sie im Spiel in Istanbul mit Schwindelgefühlen vom Platz. War alles ein bisschen zu viel?

Es hatte sich einfach vieles summiert. Ich habe in diesem Jahr sehr viele Spiele gemacht. Und ich sage Ihnen, für sein Land zu spielen war für mich noch mal eine ganz andere Aufregung als in der Bundesliga. Bei dem einem reißt dann mal der Muskel, ich habe Schwindelattacken wegen einer Blockade der Halswirbelsäulenmuskulatur bekommen. Letztlich war die Ursache dafür aber ein sehr hartes Foul gegen mich im Confed-Cup.

Der Chilene Gonzalo Jara rammte Ihnen seinen Ellenbogen ins Gesicht.

Ich habe erst später Bilder davon gesehen. So, wie der Kiefer rüberklappte muss ich von Glück sagen, dass ich ohne Kieferbruch da rausgekommen bin. Rücken, Hals, Kiefer – alles war in Mitleidenschaft gezogen.

Wie schätzen Sie Ihre Chancen ein, im nächsten Sommer zum deutschen WM-Kader zu gehören?

Wenn ich sagen würde, sie stehen nicht gut, dann würde ich lügen. Ich glaube schon, dass ich ein guter Kandidat bin, wenn ich in der Verfassung von heute bleibe.

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