3:2-Auswärtssieg zum Ende der Hinrunde: Hertha BSC überrascht bei RB Leipzig in Unterzahl
Obwohl die Berliner 85 Minuten in Unterzahl spielen müssen, gewinnen sie in Leipzig. Matchwinner ist ein alter Leipziger Bekannter.
Davie Selke nahm einen ungewohnten Laufweg – es war genau der richtige. Der Stürmer von Hertha BSC startete aus dem Leipziger Strafraum und lief im Vollsprint Richtung Trainerbank. Es handelte sich tatsächlich um die des Berliner Fußball-Bundesligisten. Selke hat noch bis zum Sommer in Leipzig gespielt, es wäre also kein Wunder gewesen, wenn er instinktiv auf Ralph Hasenhüttl, den Trainer von Rasenballsport, zugerannt wäre. Und es wäre auch kein Wunder gewesen, wenn er sein Tor nur dezent zur Kenntnis genommen hätte, anstatt ausgelassen zu jubeln. Doch Selke legte wie üblich Zeige- und Mittelfinger an die Stirn wie bei einem militärischen Gruß. „Es hat ihm sichtlich Spaß gemacht“, sagte Herthas Manager Michael Preetz. Nicht nur ihm.
Als Selke knapp 25 Minuten vor dem Ende das Feld verließ, gab es wütende Pfiffe von den heimischen Anhängern unter den 36 109 Zuschauern. „Das können sie gerne so machen, wenn sie wollen“, sagte er. Zumal es einen besseren Beleg für die starke Leistung des Berliner Stürmers gar nicht hätte geben können. Davie Selke erzielte zwei Tore zum überraschenden 3:2 (2:0)-Erfolg der Berliner. „Es war schön für mich, dass ich die zwei Dinger machen konnte“, sagte er. „Für Hertha. Beim letzten Mal war es gegen Hertha.“
Sein frühes Tor nach fünf Minuten war der Auftakt einer aufregenden Partie. Die Berliner hatten ihre Glücksgefühle über das 1:0 noch gar nicht richtig verarbeitet, da mussten sie auch schon den ersten Rückschlag einstecken. Jordan Torunarigha musste gegen Timo Werner ins Sprintduell, der Nationalstürmer stürzte, weil Torunarigha ihn an der Wade erwischt hatte – und Schiedsrichter Frank Willenborg zeigte dem 20-Jährigen die Rote Karte. Eine harte Entscheidung, die zum Unverständnis von Manager Preetz auch vom Videoassistenten nicht revidiert wurde. Fast 85 Minuten musste Hertha in Unterzahl spielen.
„Riesenrespekt für die Mannschaft, wenn man weiß, wie schwer es ist, in Leipzig zu bestehen“, sagte Selke. „Das spricht für den Charakter der Mannschaft.“ Trainer Pal Dardai verzichtete nach dem Platzverweis auf einen Wechsel, verteilte die verbliebenen Spieler stattdessen neu übers Feld. Fabian Lustenberger rückte in die Innenverteidigung, Valentino Lazaro und Alexander Esswein unterstützten Arne Maier im defensiven Mittelfeld. Das 4-3-2 sah aus wie ein Tannenbaum ohne Spitze. Natürlich machten die Leipziger nun ordentlich Druck, aber bis zur 30. Minute hielten die Berliner den Vizemeister weitgehend von ihrem Tor fern. Dem Ziel am nächsten kam Diego Demme, der den Pfosten traf.
Hertha mit großer Leidenschaft
Zu diesem Zeitpunkt stand es allerdings bereits 2:0 für die Berliner, die bisher nicht nur alle Pflichtspiele (zwei) gegen Leipzig verloren hatten, sondern auch in beiden Fällen deutlich unterlegen waren. Dass sie diesmal fast die komplette Partie in Unterzahl bestreiten mussten, machte die Sache naturgemäß nicht einfacher – umso wichtiger war es, dass sie ihre raren Chancen entschlossen nutzten. Drei Bälle flogen in der ersten Halbzeit auf das Tor von Peter Gulasci, zwei waren drin. Das 2:0 resultierte aus einem Freistoß von Valentino Lazaro: Salomon Kalou stieg höher als Willi Orban und wuchtete den Ball ins Tor.
Hertha trat mit großer Leidenschaft auf. Vor allem Selke tat sich durch seinen unbändigen Eifer hervor. Er stürzte sich in jeden Zweikampf, ging weite Wege und zog immer wieder Fouls. „Er hat ein gutes Spiel gemacht heute. Glückwunsch“, sagte Hasenhüttl. Selkes Kollegen waren nicht minder fleißig. Daran änderte auch der nächste Rückschlag nichts. Kurz vor der Pause wurde Peter Pekarik von Naby Keita mit gestrecktem Fuß an der Hüfte erwischt. Der Slowake musste zur zweiten Halbzeit mit einem Pferdekuss in der Kabine bleiben. Seinen Platz in der Viererkette übernahm Valentino Lazaro.
Lazaro und Selke, beide mit Red-Bull-Vergangenheit, teilen sich bei Auswärtsspielen das Zimmer. Am Sonntag haben sie sich ausgemalt, wie geil das wohl wäre, wenn Selke zwei Tore gelängen und Lazaro zwei Assists. Genauso kam es, weil Selke nach einer Ecke von Lazaro am langen Pfosten recht frei stand und überlegt zum 3:0 einschieben konnte. Und beinahe hätte der Mann, den sie im Sommer bei RB ohne größeren Trennungsschmerz haben gehen lassen, sogar noch ein drittes Tor erzielt. Selke lief alleine auf Gulasci zu – und traf nur den Außenpfosten. Kurz darauf verkürzte Orban per Kopf auf 1:3. Knapp 25 Minuten waren es noch, aber auch die überstand Hertha. Mit großer Leidenschaft. Und auch ein bisschen Glück, weil Marcel Halstenberg zwar noch auf 2:3 verkürzte, die Nachspielzeit zu diesem Zeitpunkt aber fast schon abgelaufen war.