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Bei den Fans in den Stadien kommt der Videobeweis noch nicht sonderlich gut an.
© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Videobeweis in der Fußball-Bundesliga: Lutz Fröhlich: „Es geht um einen behutsamen Umgang mit dem Videoassistenten"

Schiedsrichter-Chef Lutz Fröhlich spricht im Interview über die Probleme mit dem Videobeweis, klare Fehlentscheidungen und den Streit der Referees.

Herr Fröhlich, wären Sie eigentlich sehr enttäuscht gewesen, wenn es im letzten Bundesligaspiel des Jahres keinen Wirbel um den Videobeweis gegeben hätte?

(Lacht) Nein, warum enttäuscht? Spielen Sie auf die Rote Karte für Jordan Torunarigha von Hertha BSC an? Natürlich war das eine Entscheidung, die den Spielverlauf beeinflusst hat, aber die hat der Schiedsrichter auf dem Platz so getroffen, wie er die Szene gesehen hat. Daher war es eher exemplarisch positiv, dass sich der Videoassistent nicht eingebracht hat.

Warum?

Die Entscheidung war nicht offensichtlich klar falsch. Damit ist der Vorgang für den Videoassistenten schon erledigt. Er soll in solchen Situationen ja nicht eingreifen.

Nach dem Spiel waren die Verantwortlichen von Hertha BSC davon ausgegangen, dass es zumindest einen Kontakt des Schiedsrichters mit dem Videoassistenten gegeben hatte.

Ja, und das ist auch vollkommen okay. Bei einer solch wichtigen Entscheidung ist das aber eher im Sinne einer Absicherung zu sehen.

Es gab auch Bilder, die auf ein Foul von Timo Werner an Torunarigha hindeuten – und nicht umgekehrt.

Genau das zeigt doch, dass es eben keine klare Fehlentscheidung war. Es gibt Perspektiven, die in unterschiedliche Richtungen führen. Wenn dem so ist, kann eine Entscheidung logischerweise nicht klar falsch gewesen sein.

Sie haben sich Anfang des Monats mit den Vereinsvertretern getroffen. Welchen Eindruck haben Sie dabei von der Stimmung in der Liga gewonnen?

Mein Eindruck ist, dass alle die positiven Seiten des Videoassistenten sehen, aber auch der Meinung sind, dass an der einen oder anderen Stelle nachjustiert werden muss, um eine einheitliche und für alle Beteiligten jederzeit verständliche Anwendung zu erreichen.

Lutz Fröhlich (60) arbeitet seit mehr als einem Jahr als Chef der Schiedsrichter. Seit Kurzem ist er auch für das Projekt Videobeweis in der Bundesliga verantwortlich.
Lutz Fröhlich (60) arbeitet seit mehr als einem Jahr als Chef der Schiedsrichter. Seit Kurzem ist er auch für das Projekt Videobeweis in der Bundesliga verantwortlich.
© Andreas Arnold/dpa

Wie bewerten Sie insgesamt die Entwicklung?

Sehr gut. An den letzten vier Spieltagen der Hinrunde gab es einen deutlichen Trend zu mehr Akzeptanz. Nur im Spiel Gladbach gegen Schalke hatten wir einen Vorgang, über den heftig diskutiert wurde. Auch hier ging es um die Frage: War es offensichtlich klar falsch, dass der Schiedsrichter den Zweikampf bei der Balleroberung vor dem Strafstoß hat laufen lassen?

Was folgt für Sie daraus?

Die Videoassistenten dürfen nicht zu schnell auf ein Bild abheben, das beweisen könnte, dass der Schiedsrichter falsch liegt und eine andere Entscheidung womöglich die bessere wäre. Das Kuriose an der Szene in Mönchengladbach ist, dass man zwei Perspektiven hat: Die eine legt den Schluss nahe, dass es einen Körpereinsatz des Schalkers Caligiuri gegeben hat, die andere ein heftiges Rempeln des Gladbachers Wendt. Wenn man zwei sich widersprechende Perspektiven hat, kann die Entscheidung des Schiedsrichters nicht klar falsch sein.

Was heißt das konkret?

In solchen Fällen wäre es wichtig, dass der Schiedsrichter beim Review immer auch die Perspektive anfordert, die seiner eigenen Perspektive auf dem Spielfeld am nächsten kommt. Wenn er danach zu der Auffassung gelangt, seine Entscheidung unverzüglich ändern zu müssen, sollte er dies auch tun.

Bisher war es also eher so, dass der Videoassistent dem Schiedsrichter die Szene aufspielt, die zeigt, dass er falsch gelegen hat.

Verständlicherweise. Es geht nicht um Bestätigung der Entscheidung. Es geht um Widerlegung. Wenn aber unterschiedliche Perspektiven zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, sollte die Entscheidung so bleiben, wie sie der Schiedsrichter auf dem Feld getroffen hat. Weil sie dann eben nicht klar falsch gewesen ist.

Welche Probleme oder Herausforderungen sehen Sie sonst noch für den Schiedsrichter auf dem Platz?

Die Kommunikation ist ganz wichtig: kurze und klare Sätze, eindeutige Aussagen in der Beschreibung des Sachverhaltes, die richtige Fragestellung. So wie im Cockpit eines Flugzeuges. Im Moment wird noch zu viel auf der Bestätigungsebene kommuniziert. Das muss nicht sein und führt eher vom Ziel weg.

Wird der Videoassistent aus Ihrer Sicht zu oft bemüht?

Wir sind diesbezüglich auf einem guten Weg. Seit dem elften, zwölften Spieltag stellen sich die Schiedsrichter auf dem Feld wieder deutlich mehr als Herr des Geschehens dar. Aber das kann noch weiter ausgebaut werden. Nehmen Sie die Elfmetersituation bei Stuttgart gegen Bayern am letzten Spieltag. Das Foul ist offensichtlich. Der Schiedsrichter hat eigentlich einen guten Einblick. Da sollte man ihn ermutigen, von sich aus auf Strafstoß zu entscheiden und sich nicht auf den Videoassistenten zu verlassen. Die abwartende Haltung ist nicht gut.

Täuscht der Eindruck, dass die Kommunikation inzwischen weniger vom Schiedsrichter auf dem Feld ausgeht?

Nein, der Eindruck täuscht nicht, aber das ist auch ein normaler Prozess. Der Videoassistent ist eine neue Funktion im Schiedsrichterteam. Da wird dann auch einmal mehr Rücksprache gehalten als einmal zu wenig. Zum Ende der Hinserie ist das aber weniger geworden.

Die neue Definition des internationalen Regelboards Ifab lautet: Ein klarer Fehler liegt vor, wenn der Schiedsrichter seine Entscheidung nach Ansicht des Bildmaterials unverzüglich ändern würde. Reicht Ihnen das?

Es ist noch etwas abstrakt und muss mit konkreten Beispielen gefüllt werden. Wir werden die kurze Spielpause nutzen, um noch einmal alle Spielvorgänge der Hinrunde auszuwerten, einzuordnen und unsere Erkenntnisse dann auch dem Ifab zur Verfügung zu stellen. Dann wird die Definition sicherlich konkreter, auch für die Fußballfans.

„Das sieht schon etwas düster aus“

Seit der Berliner Referee Manuel Gräfe dem Tagesspiegel zu Saisonbeginn ein Interview gegeben hat, in dem er seinen ehemaligen Chefs schwere Vorwürfe machte, kommt es unter den Schiedsrichtern zu Auseinandersetzungen.
Seit der Berliner Referee Manuel Gräfe dem Tagesspiegel zu Saisonbeginn ein Interview gegeben hat, in dem er seinen ehemaligen Chefs schwere Vorwürfe machte, kommt es unter den Schiedsrichtern zu Auseinandersetzungen.
© dpa

Wissen Sie, welche Erfahrungen andere Verbände mit dem Videobeweis gemacht haben?

Die unterscheiden sich eigentlich nicht von unseren Erfahrungen, höchstens in der öffentlichen Wirkung, weil das mediale Interesse in Deutschland doch am intensivsten ist.

Würden Sie jetzt schon eine Prognose wagen, was im März passiert, wenn das Ifab über die Testphase entscheidet?

Mit dem Videoassistenten kann ein Mehrwert für den Fußball generiert werden. Es geht aber um einen behutsamen Umgang damit und um die richtige Justierung. Das braucht Zeit. Immerhin konnten in dieser Bundesliga-Saison mehr als 75 Prozent der klaren Fehlentscheidungen korrigiert werden – ein sehr gutes Argument für den Videoassistenten.

Sie haben Ihre Sympathie für eine Challenge-Regelung wie im Tennis oder Hockey erkennen lassen. Aber dafür scheint sich das Ifab nicht erwärmen zu können.

Die Philosophie des Ifab ist: Die Spieler sollen sich möglichst auf ihr Spiel konzentrieren, die Trainer konzentrieren sich auf ihre Mannschaft, und die Schiedsrichter sind für die regeltechnischen Entscheidungen zuständig. Das kann ich absolut nachvollziehen.

Dafür könnten die strittigen Szenen auf den Videowänden im Stadion gezeigt werden, im Sinne einer größeren Transparenz. Halten Sie es für möglich, dass das schon zu Beginn der Rückrunde eingeführt wird?

Das glaube ich nicht.

In den Stadien gibt es eine große Ablehnung gegen den Videobeweis. Ist der emotionale Aspekt bei den Fans, der den Fußball so haben will, wie er immer war, vielleicht unterschätzt worden?

Es ist schon so, dass der Fußballfan seinen Sport sehr traditionell halten möchte. Dazu zählen auch die Diskussionen über Fehlentscheidungen des Schiedsrichters. Diese Diskussionen aber bleiben dem Fußball erhalten. Und generell glaube ich nicht, dass die Fans diese Neuerung so vehement ablehnen, wie es dargestellt wird: Gerade erst habe ich die Umfrage einer Nachrichtenagentur gelesen, bei der 64 Prozent den Einsatz des Videoassistenten generell für richtig halten. Nur 17 Prozent waren dagegen.

Sind Sie glücklich mit den Bildern, die vom Videoassistenten-Raum in Köln im Fernsehen gezeigt werden?

Zugegeben, das sieht schon etwas düster aus. Ein dunkler Raum und viel Schatten. Aber generell ist es gut, dass Bilder von dort gezeigt werden. Das erhöht die Transparenz. Es gibt nichts zu verbergen. Dort wird hochprofessionell gearbeitet.

Inwiefern haben die atmosphärischen Störungen in der Schiedsrichtergilde in die Debatte um den Videobeweis hereingespielt?

Atmosphärische Störungen sind nie gut. Und bei einem so wichtigen Projekt ist es erst recht wichtig, dass das Team in eine Richtung denkt und handelt. Fakt ist, dass die atmosphärischen Störungen dem Ansehen der Schiedsrichter geschadet haben und das hat das Team insgesamt, die Assistenten eingeschlossen, nicht verdient. Aber wir arbeiten daran.

Was macht Sie zuversichtlich? Wenn man sich die Vorwürfe anschaut, die Manuel Gräfe gegen Ihre Vorgänger im Amt, aber auch gegen seinen Kollegen Felix Zwayer erhoben hat, scheint es doch sehr tiefe Verletzungen zu geben.

Erstmal wird aktuell die Sachlage detailliert geklärt, die hinter den öffentlichen Vorwürfen steckt. Ist das geschehen, kommt man vielleicht auch an die Verletzungen ran. Aber es wäre falsch, den Prozess jetzt durch weitergehende öffentliche Aussagen zu begleiten.

Sehen Sie wirklich die Chance, dass sich das Verhältnis zwischen Gräfe und Zwayer wieder normalisiert?

Natürlich ist das sehr schwierig, aber ich will das nicht ausschließen.

Der DFB hat sogar seine Ethikkommission mit Klaus Kinkel an der Spitze mit dem Fall betraut. Viele haben sich gewundert, dass er nur einen Tag gebraucht hat, um das Problem aus der Welt zu schaffen – was offensichtlich nicht passiert ist.

Die Beteiligten sind offensichtlich der Meinung, dass es für sie so nicht funktioniert hat, wie sie sich das erhofft haben. Jedenfalls nicht nachhaltig. Aber genau das ist unser Ziel, deswegen läuft auch aktuell die Aufklärung durch einen Juristen.

Anfang Januar findet das Trainingslager der Schiedsrichter auf Mallorca statt. Die „Bild“-Zeitung hat berichtet, dass zwei Psychologen zur Mediation eingeflogen werden.

Auf Mallorca stehen zwei Themen im Vordergrund: Teamentwicklung und Videoassistent. Wobei das eine schon mit dem anderen zusammenhängt. Denn wenn jeder sein eigenes Ding macht, können wir auch den Videoassistenten nicht auf Linie bringen. Das Ziel ist, dass wir nach Mallorca wieder ein Team auf einem gemeinsamen Weg haben.

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