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Kein leichtes Spiel. Manuel Gräfe leitete das Pokal-Halbfinale zwischen Bayern und Dortmund in der vergangenen Saison.
© dpa

Bundesliga-Schiedsrichter Manuel Gräfe: "Es ging zu oft nach Gusto, nicht nach Leistung"

Schiedsrichter Manuel Gräfe spricht im Interview über seine früheren Chefs, Seilschaften, den Hoyzer-Skandal und den Videobeweis.

Herr Gräfe, die neue Bundesligasaison beginnt für Sie am Sonntag mit dem Spiel zwischen dem SC Freiburg und Eintracht Frankfurt. Das klingt sehr entspannt nach den Stürmen, die Sie zum Ende der vergangenen Spielzeit zu überstehen hatten.

Pardon, da muss ich Sie korrigieren. Freiburg – Frankfurt war letzte Saison ein sehr hitziges Spiel. Aber Sie meinen sicher die Story mit dem HSV. Das war halb so wild. Da ist in der Öffentlichkeit einiges aufgebauscht worden.

Ihre Ansetzung für das Relegations-Verhinderungsspiel zwischen Hamburg und Wolfsburg hat nicht jedem eingeleuchtet, nachdem Sie den HSV schon vor zwei Jahren in der Relegation in Karlsruhe gepfiffen haben. Ein von Ihnen verhängter und nicht ganz unumstrittener Freistoß kurz vor Schluss half dem HSV dabei, den schon fast sicheren Abstieg noch einmal zu verhindern.

Und was soll daraus jetzt folgen? Dass ich nicht unvoreingenommen in ein Spiel gehe? Sorry, aber das ist respektlos! Im Besonderen mir gegenüber, im Allgemeinen aber auch gegenüber der Institution Schiedsrichter. Was glauben manche eigentlich, wie ein Schiedsrichter in ein Spiel geht? Für uns geht jedes Spiel bei 0:0 los, da gibt es keine Vorgeschichte und keine offenen Rechnungen. Wenn ich nicht jeden Spieler gleich behandeln würde, müsste ich meine Pfeife sofort an den Nagel hängen. Wenn es um die Spieler geht, kommt interessanterweise niemand auf solche Ideen. Mo Dahoud ist gerade aus Gladbach nach Dortmund gewechselt. Darf der jetzt nicht gegen seine alten Kumpels spielen, weil er da voreingenommen ist? Ein Schiedsrichter will dasselbe wie ein Spieler: Immer eine fehlerfreie Leistung bringen!

Wenn Sie einen umstrittenen Elfmeter für oder gegen den HSV gegeben hätten, wäre das Geschrei groß gewesen.
Jeder, der in diesem Spiel etwas Umstrittenes oder Falsches entschieden hätte, hätte doch ein Problem gehabt. Ob ich nun ein bisschen mehr am Pranger gestanden hätte, spielt für mich persönlich keine entscheidende Rolle. Zudem habe ich habe ein paar Wochen vorher den HSV in Augsburg gepfiffen, auch das war ein vorentscheidendes Spiel, aber niemand hat ein Wort gesagt. Der DFB hat das vor dem letzten Spieltag doch ganz deutlich kommuniziert: Es musste ein Mann mit Akzeptanz und viel Erfahrung pfeifen, und davon haben wir nicht mehr so viele. Deniz Aytekin und Felix Brych kamen nicht in Frage, weil der eine das DFB-Pokalfinale pfeifen sollte und der andere das Endspiel um die Champions League. Das sind Karriere-Höhepunkte, in die man auf keinen Fall mit einem eventuell negativen Erlebnis gehen sollte. Und das kann bei so einer brisanten Paarung leicht passieren.

Ist Ihre Ansetzung innerhalb des DFB kontrovers diskutiert worden?
Nein, warum sollte sie? Um es mal ganz klar zu sagen: Brisant war das Spiel HSV – Wolfsburg, nicht die Schiedsrichter-Ansetzung. Ich hatte in den Wochen zuvor einige brisante Spiele, unter anderem kurz zuvor das Pokal-Halbfinale zwischen Bayern und Dortmund, und es wurde allgemein bestätigt, dass ich das gut gemacht habe. Sonst hätte unser Schiedsrichterchef Lutz Fröhlich mich nicht mit der Leitung dieses Spiels betraut. Seitdem er die Verantwortung trägt, geht es ausschließlich nach Leistung.

Das war früher nicht so, als Hellmut Krug bei der Deutschen Fußball-Liga und Herbert Fandel beim DFB das Sagen hatten?
Ich glaube nicht, dass wir Schiedsrichter damals sehr positiv wahrgenommen wurden. Es gab keine Transparenz, keine Bereitschaft, sich zu öffnen. Es ging zu oft nach Gusto und nicht nach Leistung. Da sind Leute in Positionen gekommen, für die sie einfach nicht gut oder weit genug waren. So etwas geht eben eine Zeit lang gut, wenn man sie intern und extern schützt, aber irgendwann fällt es dann auf. Andere, bessere Schiedsrichter wiederum wurden nicht entsprechend ihren Möglichkeiten eingesetzt oder gefördert, ich denke da nur zum Beispiel an Marco Fritz, der hat für mich das Potenzial, Spiele zu leiten wie früher Knut Kircher. Auch Bibiana Steinhaus ist Jahre lang in der zweiten Liga geblieben. Jetzt, nach nur einem Jahr unter der neuen Führung, darf sie auf einmal in der Ersten Liga pfeifen. Das ist exemplarisch.

Schiedsrichter werden wie die Spieler sehr subjektiv beurteilt.
Ja, aber Schiedsrichter haben eigentlich ein gutes Gespür, was die Einschätzung ihrer Leistungen betrifft. Und wenn über einen Schiedsrichter fast alle gleich denken, ob nun positiv oder negativ, aber die alte Kommission konträr, dann spricht das doch Bände. Und es fällt doch auf, dass in den vergangenen Jahren alle, die nicht uneingeschränkt auf einer Wellenlänge mit der Führung lagen, also nicht zu allem ja und amen gesagt haben, auf verschiedenen Ebenen bearbeitet wurden. So wie es zum Beispiel Babak Rafati widerfuhr, und er war nicht der einzige.

Rafati hat die damalige Führung scharf kritisiert, er fühlte sich gemobbt und hat ein viel beachtetes Buch darüber geschrieben.
Babak hatte nicht in allem, aber in vielen Punkten Recht. Er empfand die Atmosphäre als so bedrückend und belastend, dass er sich das Leben nehmen wollte. Muss ich mich nach so einem einschneidenden und schockierenden Vorfall auf der Leitungsebene nicht zumindest einmal hinterfragen? Kann es nicht vielleicht doch sein, dass ich etwas falsch gemacht habe? Ich bin der Meinung, dass schlechter Führungsstil automatisch zu schlechten Leistungen führt. Vergleichen Sie doch mal aus Schiedsrichtersicht die letzten beiden Spielzeiten. 2015/16 war der negative Höhepunkt einer Fehlentwicklung, 2016/17 unter neuer Führung dann bis auf sehr wenige Ausnahmen sehr gut. Lutz Fröhlich...

... der im Sommer 2016 das Amt als Schiedsrichter-Chef übernahm ...

... lässt die Leute machen und er hat ein Auge für Talente. Benjamin Cortus und Harm Osmers hatten als Aufsteiger eine sehr gute erste Bundesligasaison. Osmers durfte am drittletzten Spieltag Spiel Ingolstadt – Leverkusen pfeifen. Ein Spiel, in dem es für beide Mannschaften um sehr viel ging. Er hat das sehr gut gemacht, weil er das Vertrauen von Lutz Fröhlich spürt. Genau dieses Vertrauen hat er mir für das Spiel HSV – Wolfsburg geschenkt. Trotz der medialen Vorgeschichte, die beim DFB eben keine war.

Dieses Vertrauen haben die Schiedsrichter unter Fandel und Krug nicht gespürt?
Die beiden haben sich ihre Schiedsrichterliste so zusammengebastelt, wie sie es wollten. Es ging nicht vorrangig nach Leistung und deshalb zu Lasten des Fußballs, wie man ja auch an dem Leistungsabfall bis zum Sommer 2016 merkte. Belege für diverse Eingriffe in den letzten Jahren gibt es genügend.

Woran machen Sie das fest?

Es würde reichen, die Beobachtungsbögen bestimmter Beobachter zu bestimmten Schiedsrichtern zu überprüfen. Glauben Sie mir, das würde Sie sehr überraschen!

Wen meinen Sie konkret?
Interessanterweise haben sich Herbert Fandel und Hellmut Krug unter anderem sehr stark bemüht um die Förderung von Felix Zwayer...

... Ihrem Berliner Kollegen, der Sie einst bei der Aufklärung der Affäre um Robert Hoyzer unterstützte.

Das sehe ich mittlerweile aufgrund der Faktenlage anders. Ich habe ihn damals am Anfang noch gegen Hoyzers Anschuldigungen verteidigt, weil ich ihn für unschuldig hielt. In den Gerichtsakten aber wurde später festgehalten, dass Zwayer bei einer Spielmanipulation von Hoyzer als Linienrichter dabei war und vorher von ihm Geld angenommen hatte. Das von der Berliner Staatsanwaltschaft eingeleitete strafrechtliche Verfahren gegen ihn wurde wegen geringer Schuld eingestellt, aber auch eine juristisch geringe Schuld in Zusammenhang mit manipulierten Spielen ist für mich zu viel. Zwayer ist vom DFB wegen grob sportwidrigen Verhaltens zu sechs Monaten Sperre verurteilt worden, weil er dieses Geld angenommen und die ihm bekannten Manipulationen Hoyzers nicht sofort dem DFB gemeldet hat. Jetzt frage ich Sie: Wie kann so jemand bis in die Spitze der deutschen Top-Schiedsrichter kommen? Kann es vielleicht sein, dass Fandel und Krug dort einen Mann haben wollten, der ihnen zu bedingungsloser Loyalität verpflichtet war?

Hellmut Krug ist gerade erst von der DFL zum DFB zurückgekehrt. Er amtiert jetzt unter Fröhlichs Leitung als Chef-Instruktor.

Das kann ich persönlich nicht nachvollziehen, aber ich muss ja nicht jede Entscheidung richtig finden. Gerade erst hat Krug erzählt, die deutschen Schiedsrichter würden den Videobeweis besser handhaben, als das zuletzt beim Confed-Cup zu beobachten war. Das hat uns national unter Druck gesetzt und uns internationalen Schiedsrichtern sicherlich nicht gerade geholfen. Man hat das als typisch deutsche Überheblichkeit kritisiert. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass zum Beispiel die Holländer den Videobeweis schon etwas länger praktizieren. Warten wir doch erst mal ab, wie es bei uns läuft. Bei einer anonymen Umfrage unter allen Schiedsrichtern hatten vor eineinhalb Jahren zwei Drittel ein Problem mit Krug und seinem Stil. Im vergangenen Winter waren es immerhin noch 50 Prozent aller Bundesligaschiedsrichter.

Und der DFB trägt Schuld daran?
Nein, da dürfen Sie nicht verallgemeinern. Ich bin der DFB-Spitze sehr dankbar für das, was sie Anfang 2015 in Angriff genommen hat. Damals haben Wolfgang Niersbach und Helmut Sandrock dafür gesorgt, dass die Schiedsrichterführung nicht mehr autark im DFB agieren kann. Seitdem beobachtet der DFB die Lage sehr genau und schickt zu jedem Lehrgang hochrangige Vertreter. Genauso handhaben das auch Reinhard Grindel und Friedrich Curtius. Herr Grindel hat zuletzt beide Sommerlehrgänge besucht und eine beeindruckend offene Rede gehalten, in der er kritisch anmerkte, was nicht lief und noch besser werden muss, aber auch, was jetzt offensichtlich auf einem guten Weg ist. Seit der Amtsübernahme von Lutz Fröhlich wird die Professionalisierung, Modernisierung und Transparenz im Schiedsrichterwesen konsequent vorangetrieben. Einer allein wird es aber schwer haben. Persönlich habe ich nichts gegen Hellmut Krug und Herbert Fandel. Ich messe sie nur an dem, was sie geleistet und wie sie geführt haben. Ich hoffe, die beiden hinterfragen sich auch mal selbstkritisch und gehen den neuen Weg mit. Das wäre im Interesse der Schiedsrichterei und damit, noch entscheidender, im Interesse des Fußballs.

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