Von der Macht des Geldes: Lars Windhorst und Hertha BSC – Fluch oder Segen?
Hertha BSC will mit Investor Lars Windhorst zum „Big City Club“ werden. Ein Pro und Contra, wie realistisch das Vorhaben ist.
Es war die Bundesliga-Sensation des Jahres: Lars Windhorst steigt bei Hertha BSC ein und will einen „Big City Club“ etablieren. Stehen die Berliner nun vor einer großen Zukunft oder führt der Weg ins Verderben? Die unterschiedlichen Meinungen von Claus Vetter und Stefan Hermanns.
PRO: „Hertha kann hipp werden. Dank Lars Windhorst“
Wer sagt: „Ich hab Karten für Hertha“, der bekommt oft zu hören: „Gegen wen spielen die denn?“ Seit Jahrzehnten ist das so. Die Gegner aus München, Dortmund oder Gelsenkirchen sind für viele Menschen, die ins Olympiastadion gehen, aufregender als die Mannschaft aus Berlin. Denn die hat keinen Glanz, es fehlen ihr die Erfolge, die wiederum die Popularität befeuern. Der letzte große Titel von Hertha BSC? Liegt bald ein Jahrhundert zurück. 1931 wurde der Klub zum zweiten und bis jetzt letzten Mal Deutscher Meister im Fußball. Seitdem ist viel passiert, in Deutschland sowieso und im deutschen Fußball auch.
Bei Hertha ist wenig passiert: In den Siebzigern flackerte der Klub kurz einmal auf, wurde 1975 Meisterschaftszweiter und dann gab es noch eine gute Saison unter Trainer Lucien Favre (2008/2009). Ansonsten hat die Hertha fast immer eine Nebenrolle im deutschen Fußball gespielt.
Hertha BSC hat mit Windhorst nichts zu verlieren
Es ist überfällig, dass Hertha mal wieder eine Hauptrolle spielen kann. Und das geht im Kapitalismus mit guten Ideen und mit – Geld. Denn: Ohne Geld ist es im kapitalistischen Fußball schwer möglich, gute Ideen zu realisieren. Ein Pro und Contra, ob ein solventer Mäzen Hertha auf dem Wege zu Erfolg und Glanz helfen kann, kann es also nicht geben.
Die Frage, ob Lars Windhorst im laufenden neunten Jahrzehnt ohne Hertha-Titel der richtige Mann ist, um Hertha den längst überfälligen Glanz zu verleihen, ist erlaubt. Und sie kann bejaht werden. Hertha hat nichts zu verlieren und kann mit dem neuen Investor nur gewinnen.
Der Klub kann Schluss machen mit dem unromantischen Rumhampeln zwischen Platz neun und der Zweitklassigkeit! Dank Geldgeber Windhorst darf bei Hertha endlich einmal groß gedacht und geprahlt werden. Der Investor gibt den Weg vor. Richtig, kotzt es raus, sagt ruhig „Big City Club“! Her mit dem neuen Stadion, aber pronto! Macht Euch nicht klein bei Hertha, das steht uns in Berlin nicht gut zu Gesicht im Fußball, da haben wir uns viel zu lange weggeduckt.
Dass Berlin nun fast täglich mit großen Spielernamen in Verbindung gebracht wird, ist schon Teil eins der glanzvollen Zukunft von Hertha. Nach Granit Xhaka und Mario Götze soll nun angeblich auch Julian Draxler so gut wie in Berlin sein. Das hat „Le Parisien“ gerade erst berichtet. Womöglich hat die größte Pariser Tageszeitung in ihrer immer noch eine Viertelmillion Abonnenten starken Print-Ausgabe das Wort „Hertha“ zum ersten Mal in diesem Jahrzehnt gedruckt, und sicher gibt es Anhänger von Paris Saint-Germain, die bis zur vergangenen Woche von der Existenz des größten Berliner Fußballklubs kaum etwas wussten.
Hertha wächst – auf jeden Fall schon einmal in der Wahrnehmung. Und selbst wenn der aktuell gehandelte Kevin Strootman, niederländischer Nationalspieler und noch in Marseille, in der kommenden Saison und auch in den zehn Jahren danach nicht nach Berlin kommt, so hat er Hertha immerhin international ins Gespräch gebracht. So wie Hertha nun auch national als Klub auftaucht, der wahrgenommen wird.
Vorbei sind die Zeiten, als die Berliner auswärts als Kassengift verschrien waren. Nun kennen alle Menschen im Lande zumindest schon mal den Namen des Berliner Trainers. Jürgen Klinsmann hat Hertha auf die Landkarte der Bundesliga gebracht, was wiederum ohne seinen Freund Lars Windhorst nicht möglich gewesen wäre. Denn ohne Windhorst wäre ein Klinsmann gar nicht in Berlin.
Geld ist die Grundlage des Geschäfts, und wann immer Geld im Geschäft ist, besteht ein Risiko. Natürlich kann es auch gewaltig in die Binsen gehen mit Lars Windhorst. Es muss nicht jedem gefallen, dass die geschäftliche Vita des neuen großen Mannes Brüche aufweist. Dass er einst von Helmut Kohl gelobt wurde, kann auch irritieren. Und klar gibt es Negativbeispiele, aber bei vielen von ihnen hat schon vor dem Einstieg eines Investors wenig gestimmt – siehe zum Beispiel 1860 München.
Ohne Windhorst kriecht Hertha zurück ins graue Mittelfeld
Windhorst, das muss man ihm zugutehalten, hat seine Versprechen bisher wahr gemacht und die Gelder immer pünktlich an den Klub überwiesen. Und selbst wenn die Traum-Transfers, die deshalb nun möglich erscheinen, ein Traum bleiben sollten, ist das nicht schlimm. Schließlich hat Hertha nichts zu verlieren außer seiner langweiligen Mittelmäßigkeit. Ins graue Mittelmaß kann der Klub immer wieder zurückkriechen, sollte es mit Windhorst doch nicht klappen.
Und überhaupt: Bei Real Madrid und beim coolen FC Liverpool sind ja auch nicht nur selbstlose Investoren am Werk, die kein Geschäft mit dem Fußball machen wollen. Wer Fußballromantik sucht und von elf Freunden träumt, der sollte sich abseits des europäischen Spitzenfußballs umschauen. Hier darf nur mitspielen, wer es sich leisten kann – und es wird Zeit, dass die größte Stadt Kontinentaleuropas mitspielen darf. Wir sind ja in Berlin und nicht in Sinsheim.
Es ist einfacher, etwas Neues schlecht zu machen, als sich auf das Neue zu freuen und damit seine Unwägbarkeiten in Kauf zu nehmen. Fest steht: So wie es bei Hertha gelaufen ist, konnte es nicht weitergehen. Insofern nehmen wir Windhorst und seine Unwägbarkeiten in Kauf – in der starken Hoffnung, dass Hertha endlich wachsen kann und groß wird. Hertha kann richtig hipp werden. Dank Lars Windhorst. Claus Vetter
CONTRA: „Windhorst geht es in erster Linie ums Geld“
So emotional wie im November bei der Mitgliederversammlung hat man Werner Gegenbauer selten erlebt. Der Präsident von Hertha BSC stand am Rednerpult, „Begrüßung“ stand auf der Tagesordnung; „Grundsatzreferat“ hätte besser gepasst.
Es ging bei Gegenbauers Ausführungen um Investor Lars Windhorst, der mit seiner Tennor Holding im Sommer bei dem Berliner Fußball-Bundesligisten eingestiegen ist und für 224 Millionen Euro 49,9 Prozent der Anteile an der Hertha BSC KGaA erworben hat. Es ging um die neuen finanziellen Möglichkeiten, die sich dem Klub dadurch nun bieten. Gegenbauer war es wichtig, seine Botschaften zu transportieren. Er sprach laut, er schrie fast. „Wir sind nicht Spielball, sondern Treiber dieser Entwicklung“, sagte er. „Wir behalten das Kommando.“
Wer schreit, der lügt, heißt es im Volksmund. Zwischen Juni und November waren sie bei Hertha tatsächlich der Überzeugung, mit Windhorsts Einstieg einen Riesendeal gemacht zu haben. Das Geld auf dem Konto, das Sagen – der 50+1-Regelung sei Dank – weiterhin bei der Vereinsführung. Wo also soll das Risiko sein?
Windhorst mischt mit und treibt zur Eile
Vielleicht sehen sie die Angelegenheit im Klub nach den praktischen Erfahrungen der vergangenen Wochen inzwischen ein bisschen anders. Windhorst scheint sich nämlich keineswegs mit der Rolle des stillen Teilhabers zufrieden geben zu wollen. Er mischt mit und treibt zur Eile. Das unterscheidet ihn von KKR, einem gesichtslosen Finanzinvestor, der zuvor Anteile bei Hertha erworben hatte und sich relativ lautlos wieder verabschiedete, nachdem er seinen Schnitt gemacht hatte. Windhorst tickt anders. Und das dürfte eigentlich niemanden überraschen.
Wer sich ein bisschen mit Windhorsts Vita beschäftigt hat, der weiß, dass es ihm in erster Linie um Geld geht und Profit sein Antrieb ist. Sein Ego aber ist ihm auch nicht ganz unwichtig. Schon als Teenager war Windhorst, das Wirtschaftswunderkind der Ära Kohl, ein Medienphänomen, und man hat von ihm nie vernommen, dass ihm die öffentliche Aufmerksamkeit in irgendeiner Weise unangenehm gewesen wäre.
Windhorst hat Hertha gleich zu Beginn der Zusammenarbeit ein paar entscheidende Botschaften mitgegeben, sozusagen die Leitplanken eingeschlagen, zwischen denen sich der Verein künftig zu bewegen hat. „Big City Club“ hat Windhorst Hertha genannt, die Champions League dauerhaft als Ziel ausgegeben – und damit vor allem bewiesen, dass ihm eines fehlt: Ahnung vom Fußball. Windhorst ist ein weiteres Beispiel von erfolgreichen Wirtschaftsmenschen, die glauben, dass der Fußball nach denselben Regeln funktioniert wie ein erfolgreiches Unternehmen. Wie überzogen seine Ansprüche sind, zeigt ein Blick auf die vergangenen zehn Jahre.
In dieser Zeit hat sich Hertha nämlich exakt ein Mal für einen Europapokal qualifiziert; nicht für die glänzende Champions League, sondern für die leicht schmuddelige Europa League. Und selbst dort ist die Mannschaft schon in der Vorrunde an Schwergewichten wie Östersunds FK und Sorja Luhansk kläglich gescheitert. Nur weil man hohe Erwartungen weckt und ambitionierte Ziele ausgibt, spielt eine Mannschaft nicht automatisch erfolgreich Fußball.
Hertha muss jetzt mit diesen überzogenen Ansprüchen zurechtkommen; die Häme über den „Big City Club“ ist angesichts des mäßigen Tabellenstands noch das geringste Problem. Viel gravierender sind die Einmischungen ins operative Geschäft, die sich aus den Erwartungen des Investors ergeben und die vor allem den Arbeitsbereich von Manager Michael Preetz betreffen. Ein Trainer wie Bruno Labbadia erschien dem Geldgeber als unwürdig für einen „Big City Club“; es sollte wenigstens Niko Kovac sein, der immerhin schon mal die Bayern trainiert hat. Oder eben Jürgen Klinsmann.
Windhorst hat Klinsmann Anfang November bei Hertha als Aufsichtsrat seines Vertrauens installiert. Die Vereinsführung wurde von diesem Schritt vollkommen überrascht. Schon das hätte ihr ein Indiz dafür sein können, wie sich Windhorst die Zusammenarbeit vorstellt. Er will nicht einfach abnicken, was andere entscheiden; er will mitbestimmen. Und mit Klinsmann hat er inzwischen sogar einen Mann in der Kabine.
Hertha BSC könnte enden wie 1860 München
Um zu erkennen, wie irrwitzig das Ganze ist, muss man nur einmal das Worst-Case-Szenario durchspielen. Mal angenommen, es ginge mit Klinsmann zu Beginn der Rückrunde doch wieder bergab, er verlöre die Mannschaft, weswegen sich Preetz zu einem weiteren Trainerwechsel gezwungen sähe: Wie sagt er’s Windhorst? Und wie wohlwollend würde der Dann-Wieder-Aufsichtsrat Klinsmann künftig wohl die Arbeit des Managers Preetz beurteilen?
Windhorsts Einfluss ergibt sich nicht aus den Anteilen, die er an der KGaA besitzt; da kann er immer noch überstimmt werden. Der Einfluss resultiert aus dem Geld, das er in den Verein investiert hat und von dem Hertha zu einem gewissen Grade abhängig ist. Beim TSV 1860 München verfügt der jordanische Investor Hasan Ismaik dank der 50+1-Regelung auch nur über eine Minderheitsbeteiligung. Das hat ihn nicht davon abgehalten, die Vereinspolitik zu bestimmen, seine Leute in Schlüsselpositionen zu installieren – und Sechzig damit ins Verderben zu stürzen. Stefan Hermanns