Jürgen Klinsmann ist Trainer bei Hertha BSC: Berliner Fußballträume werden wahr
Der Mitbesitzer träumt von Real Madrid, doch Hertha BSC verliert gegen Augsburg. Kann Jürgen Klinsmann den Klub aus der Bedeutungslosigkeit führen?
Als Jürgen Klinsmann seine Arbeit bei Hertha BSC aufnimmt, wird es schlagartig hell. Die Blitze flackern, seine Augen tun es auch. Klinsmann hat fast in Brusthöhe in die Hand von Michael Preetz eingeschlagen. In dieser Position verharren beide eine Zeitlang. Ein Pulk von Journalisten und Fotografen hat Klinsmann in Empfang genommen. Allein 15 Kamerateams sind dabei.
Die Exegeten der Hertha-Geschichte streiten noch, ob es die mediale Aufmerksamkeit für den Berliner Fußball-Bundesligisten je zuvor so groß gewesen ist. Die einen sagen: Ja, als Otto Rehhagel im Frühjahr 2012 als neuer Trainer vorgestellt wurde. Die anderen behaupten: Nicht mal bei Rehhagel war der Auflauf so groß.
Jürgen Klinsmann ist eben „ein Mann mit einer enormen Strahlkraft“, sagt Michael Preetz, der Manager von Hertha BSC. Aus seinem Lächeln wird jetzt ein breites, stolzes Lachen, als ob ihm noch einmal bewusst werden würde, was da gerade passiert.
Neben ihm auf dem Podium sitzt Jürgen Klinsmann. Welt- und Europameister als Spieler. Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft. Bundestrainer beim Sommermärchen 2006, Trainer beim Rekordmeister Bayern München. Und seit Mittwochvormittag nun Trainer von Hertha BSC, dem Tabellenfünfzehnten der Bundesliga, der zwar mitten im Abstiegskampf steht und trotzdem hohe Ansprüche hat.
„Es ist ein schönes Gefühl, auch eine Ehre, mithelfen zu dürfen“, sagt Klinsmann. „Berlin wartet auf etwas Großes.“
Jürgen Klinsmann war als Kind selbst Hertha-Fan
Anderthalb Stunden vor der ersten Trainingseinheit mit seiner neuen Mannschaft wird der Nachfolger von Ante Covic der Öffentlichkeit vorgestellt. Klinsmann, 55, trägt einen hellblauen Pullover mit Reißverschlusskragen, ein dunkelblaues Sakko darüber.
Er lächelt, gibt sich freundlich und demütig. Er erzählt von seiner Verbindung zu diesem Klub, von seinem Vater, der in Eberswalde aufgewachsen ist und Hertha-Fan war. Von seinem ersten Stadionbesuch als Achtjähriger, als er mit einer blauweißen Fahne im Stuttgarter Neckarstadion eine 0:4-Niederlage gegen den VfB miterlebte. Von seinem Sohn Jonathan, der bis zum Sommer insgesamt zwei Jahre bei Hertha unter Vertrag stand. Klinsmann selbst ist seit 2004 Vereinsmitglied mit der Mitgliedsnummer 18, der Nummer, die er früher auch als Stürmer auf dem Rücken trug.
Es sind nette Anekdoten, aber dass Jürgen Klinsmann auch anders kann, dass er ein Mann mit klaren Vorstellungen ist, das hat er oft genug bewiesen. Der neue Trainer wird bei Hertha nicht gebraucht, um gute Laune zu verbreiten. „Es ist keine einfache Aufgabe, das ist uns allen bewusst“, sagt er.
Nur drei Tage und drei Trainingseinheiten sind es bis zu seinem ersten Spiel, am Samstag gegen Borussia Dortmund. Vor zehn Jahren war Klinsmann zuletzt beruflich im Olympiastadion. Mit den Bayern traf er damals auf Hertha BSC und verlor 1:2. Trainer der Berliner war Lucien Favre, auf den er nun auch am Samstag bei seinem Debüt für Hertha treffen könnte – falls Favre nicht vorher noch entlassen wird.
Die Lage in Dortmund gilt als ernst; in Berlin war sie seit dem vergangenen Sonntag, seit der 0:4-Niederlage in Augsburg, noch ein bisschen ernster. Schon unmittelbar nach dem Spiel sei er mit Klinsmann in Kontakt getreten, berichtet Manager Preetz, habe ihm ein, zwei Fragen gestellt und seine grundsätzliche Bereitschaft abgefragt. Es ist Preetz offensichtlich wichtig, dass er als treibende Kraft hinter der Personalie gesehen wird. Man könnte schließlich auch auf eine andere Idee kommen. Und das liegt vor allem an Lars Windhorst.
Windhorst ist im Sommer mit seiner Tennor Holding als Investor bei Hertha BSC eingestiegen. In zwei Schritten hat er für insgesamt 224 Millionen Euro 49,9 Prozent der Anteile an der Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) erworben. Und er hat Klinsmann als Aufsichtsrat der KGaA installiert. Auch das war ein Indiz dafür, dass sich Windhorst nicht als stiller Teilhaber sieht. Der 43-Jährige hat von Hertha als „Big City Club“ gesprochen, er sieht den Verein über kurz oder lang als regelmäßigen Vertreter in der Champions League und damit auf derselben Stufe wie Paris St. Germain oder Real Madrid.
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Mit solchen Träumen konnte die Realität bei Hertha BSC zuletzt nicht mehr ganz mithalten. Nach vier Niederlagen hintereinander stürzten die Berliner in der Bundesligatabelle auf Platz 15. Ein Abstieg ist aktuell realistischer als eine Qualifikation für einen europäischen Wettbewerb, Hertha ist im Moment mal wieder Big Lachnummer. Angesichts dieser Bilanz war Trainer Ante Covic, der erst seit dem Sommer im Amt war, nicht mehr zu halten.
Die Machtverhältnisse bei Hertha BSC haben sich verändert
Dass Windhorst Klinsmann für einen Aufsichtsratsposten bei Hertha gewinnen konnte, unterstreicht seine Ambitionen. Der Investor denkt groß. Und Klinsmann ist ein großer Name. Hertha selbst wurde von der Personalie lediglich in Kenntnis gesetzt. Welche Konsequenzen sie haben könnte, ist der Vereinsführung wohl erst jetzt so richtig bewusst geworden. Noch vor zweieinhalb Wochen, bei der Mitgliederversammlung, versuchte Präsident Werner Gegenbauer den Eindruck zu zerstreuen, dass nun fremde Mächte im Verein das Sagen hätten. „Wir sind nicht Spielball, sondern Treiber dieser Entwicklung!“, rief Gegenbauer in den Saal. „Wir behalten das Kommando.“
Die Entscheidung in der Trainerfrage zeigt, dass die Dinge nicht ganz so einfach sind. Man kann die Bestellung Klinsmanns nicht nur als Ausdruck der gewachsenen Ansprüche deuten, sondern auch als Ausdruck der veränderten Machtverhältnisse im Klub. „Es gibt keine Machtübernahme“, sagt Preetz. „Es gibt ein Miteinander.“ Lars Windhorst sei jedenfalls ganz angetan gewesen, von der Idee, Klinsmann als Trainer zu installieren.
Windhorst hat klare Vorstellungen, er mischt sich ein und erhöht das Tempo. Mit den üblichen Verdächtigen, mit Leuten wie Bruno Labbadia oder Roger Schmidt, wollte sich die Investorenseite für die Position des Trainers offenbar nicht zufriedengeben. Wenigstens Niko Kovac sollte es sein, der bis vor wenigen Wochen noch als Trainer des großen FC Bayern München tätig war und der gezeigt hat, dass er Titel gewinnen kann. Aber Kovac wollte nicht. Nach anderthalb Jahren bei den Bayern sehnt er sich nach ein bisschen Ruhe und Zeit mit der Familie. Dass er Hertha mitteilte, in dieser Saison nicht wieder als Trainer arbeiten zu wollen, erwischte den Klub unvorbereitet.
Zwei Tage – seit Covics letztem Auftritt am Montagvormittag – waren die Dinge in der Schwebe. Aus Herthas Vereinsführung drang nichts nach außen: kein Votum pro Covic, keins gegen ihn, nur Gerüchte. Würde Ante Covic am Samstag, im Heimspiel gegen Borussia Dortmund, vielleicht doch noch an der Seitenlinie stehen müssen, weil Hertha auf die Schnelle keine andere Lösung präsentieren kann? Es wäre eine ziemliche Blamage für Manager Michael Preetz gewesen.
Wenn man die Zeichen und die neuen Machtverhältnisse bei Hertha BSC richtig deutet, darf sich auch Preetz als Geschäftsführer Sport seines Postens nicht mehr allzu sicher sein. Seit zehn Jahren ist er im Amt, er hat zwei Abstiege zu verantworten und diese nur überlebt, weil Präsident Gegenbauer ihn in Zeiten der Krise immer gestützt hat. Weder personell noch strukturell hat es bei Hertha in dieser Zeit gravierende Veränderungen gegeben. Die wichtigsten Entscheidungen wurden im kleinsten Kreis geregelt. Und auch um weitere sportliche Kompetenz neben dem Geschäftsführer Sport hat sich Hertha nie bemüht.
Jürgen Klinsmann hat Erfahrungen mit Systemen, die sich irgendwann nur noch um sich selbst drehen. Als er 2004 Bundestrainer der schwer gestürzten Fußball-Nationalmannschaft wurde, konzentrierte er sich nicht nur auf das sportliche Fortkommen des Teams, er kündigte bei seinem Amtsantritt an, dass er beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) jeden Stein umdrehen werde. Und tatsächlich brachte Klinsmann den selbstgefälligen Laden wieder zum Schwingen. Er ebnete der Moderne den Weg in die Frankfurter Otto-Fleck-Schneise – und das gegen massive Widerstände des Establishments.
Ohne Klinsmanns Ideen wäre Deutschland kaum Weltmeister geworden
Vieles, was heute selbstverständlich ist, hat Klinsmann damals eingeführt. Und ohne ihn und seinen Impuls, die Dinge grundlegend zu ändern, wäre Deutschland 2014 vermutlich nicht Weltmeister geworden. Auf Klinsmanns Drängen wurde mit Oliver Bierhoff erstmals ein Manager für die Nationalmannschaft eingestellt, der noch heute im Amt ist. Joachim Löw, 2014 Trainer der Weltmeistermannschaft, war Assistent unter Klinsmann und dessen explizite Wahl. Der DFB hätte damals lieber Holger Osieck, einen Gewährsmann von Franz Beckenbauer, als Co-Trainer und Aufpasser an seiner Seite gesehen.
Bei Hertha springt Klinsmann nur bis zum Saisonende als Trainer ein – aller Wahrscheinlichkeit nach, um den Platz für den eigentlichen Wunschkandidaten Niko Kovac freizuhalten. Aber auch wenn er nur für ein paar Monate in Berlin einschwebt, wird sich Klinsmann nicht damit begnügen, die Dinge einfach nur zu verwalten. „Wenn ich so etwas übernehme, dann mach ich das nicht halb, dann mach ich das hundertprozentig“, sagt er.
Und er macht es auf seine Weise. Auch bei Hertha wird er – wie in der Nationalmannschaft und wie später bei den Bayern – von einem Stab begleitet, der komplett seinen Vorstellungen entspricht. Alexander Nouri und Markus Feldhoff sind seine Co-Trainer, bei Bundestrainer Löw hat er – zumindest bis Weihnachten – Torwarttrainer Andreas Köpke abgeworben, dazu soll der frühere Hertha- und Nationalspieler Arne Friedrich eine Art Teammanager werden, oder, wie Klinsmann es ausdrückt, „Performance Manager“. Das müsse sich entwickeln, aber er habe eine klare Idee im Kopf, wie die Rolle ausgefüllt werden soll.
Es dämmert schon, als Klinsmann um vier Uhr am Nachmittag auf den Trainingsplatz tritt. Die Einheit wurde in das Amateurstadion auf dem Olympiagelände verlegt, weil es nur dort ein Flutlicht gibt.
Es hat angefangen zu regnen. Trotzdem sind knapp 200 Zuschauer gekommen. Für Hertha ist das eine ganze Menge. Nouri versammelt das Team um eine Taktiktafel, erklärt die erste Übung mit dem Ball. Jürgen Klinsmann schlendert als Letzter herbei. Er stellt sich an den Rand, tritt mit der Fußspitze ein Loch im Rasen zu und hört schweigend zu.
„Ich stehe da und beobachte“, sagt Klinsmann über seine Idee, wie er die Rolle als Cheftrainer auftreten will. „Ich hab’s gern, wenn ein Assistenztrainer das laute Wort hat. Meine Stimme hören die Spieler oft genug.“