Krise in der Krise: Klubs und Spieler entzweit – Wie geht es weiter im deutschen Eishockey?
Mitten in der Coronavirus-Krise tobt im deutschen Profi-Eishockey ein Streit zwischen Klubs und Spielern – um eine Zukunft, die keiner kennt.
Als am Nachmittag des 8. März über das Eis gekurvt wurde, war die Welt in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) noch in Ordnung. Die Hauptrunde mit satten 52 Spielen hatten die 14 Mannschaften ordentlich hinter sich gebracht. Die Zuschauerzahlen waren wieder einmal gut gewesen – waren wieder einmal nach dem übermächtigen Fußball die besten im Lande für eine Mannschaftssportart. Ein paar Tage später sollte dann in den Play-offs der Deutsche Meister ausgespielt werden, der Höhepunkt jeder Eishockeysaison, dem die Fans entgegenfieberten.
In Berlin zum Beispiel hatten die Eisbären an jenem Sonntag am 8. März vor 14.200 Zuschauern in Play-off-Vorfreude in der Arena am Ostbahnhof gerade die Fischtown Pinguins aus Bremerhaven 4:3 geschlagen. Eisbären-Trainer Serge Aubin plauderte danach über die Vorbereitung auf den Viertelfinalgegner, das „werde schwer“ für seine Mannschaft gegen die starke Düsseldorfer EG salbaderte Aubin im handelsüblichen Sportsprech. Auch sein Kollege aus Bremerhaven, Thomas Popiesch, plauderte trotz der Niederlage schon gut gelaunt über die weiteren Ambitionen seines Teams in der Endrunde. „Wir gehen den Eisbären wenigstens erst mal aus dem Wege“, sagte er.
Als erste deutsche Profiliga brach die DEL ihre Saison ab
In die Plauderstimmung fiel dann aber eine Frage, die Thomas Popiesch sichtlich verunsicherte. Ob der Liga nicht ein Saisonabbruch drohe, wollte ein Reporter wissen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn habe doch soeben wegen des sich ausbreitenden Coronavirus Großveranstaltungen mit mehr als 1000 Besuchern untersagt. Popiesch wirkte irritiert: „Saison abbrechen? Das wäre natürlich ... äh, sehr schade.“
Glauben wollte der Trainer aus Bremerhaven zu diesem Zeitpunkt daran nicht. Zwei Tage später wurde die Spielzeit in der DEL für beendet erklärt. Die Fans der Eisbären hatten am Sonntag das letzte Saisonspiel gesehen, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen.
Eishockey ohne Zuschauer, das geht nicht im deutschen Eishockey, das sehr stark auf das Geld vom bezahlenden Fan angewiesen ist. Die DEL reagierte daher als erster Mannschaftssport im Lande auf die schwelende Coronavirus-Pandemie und zog einen Schlussstrich. Seitdem ruht der Puck. Und keiner weiß in der Liga, wie und wann es weitergehen soll.
Die Liga sortiert sich in ihrer Verunsicherung immer wieder neu, der geplante Start für die kommende Saison am 18. September erscheint derzeit unrealistisch. Inzwischen gibt es Überlegungen, erst im Dezember zu beginnen und die Play-offs erneut nicht auszuspielen.
Das Problem ist nur: Die Klubs haben Spieler unter Vertrag, die sie auch entlohnen müssen. Doch das ist ohne Zuschauereinnahmen und womöglich wegbrechenden Sponsorengeldern für die meisten Klubs kaum möglich. Die Vereine hatten daher die Spieler aufgefordert, unter anderem auf 25 Prozent ihres Gehalts zu verzichten, was bei den Profis nicht gut ankam. Die Spieler gründeten eine Gewerkschaft. Nun tobt um die Zukunft ein Streit, dessen Ende nicht in Sicht ist.
Der Schaden für die Liga sei „massiv“, hatte DEL-Geschäftsführer Gernot Tripcke schon im März gesagt. Es könne bei der Lizenzierung für die kommende Saison „für den ein oder anderen sehr eng werden“. Und damit meinte Tripcke noch die Klubs, zwei Monate später wurde es aber auch für die Spieler sehr eng.
Um eine Lizenz zu erhalten, sollten die Vereine eine Einigung mit den Profis in Sachen Gehaltsverzicht darlegen. Vorbild für diese Offensive der DEL war das „Escrow“-System in der National Hockey-League (NHL) in Nordamerika, nach dem den Spielern nur ein Teil der Spielergehälter garantiert ausbezahlt wird.
Weil vorher niemand weiß, wie viel die Liga verdienen wird, zahlen die Spieler einen Teil ihres Gehalts ein. Erst mit Geschäftsabschluss wird entschieden, wie viel sie davon zurück bekommen. Allerdings sind die nordamerikanischen Verhältnisse kaum übertragbar, dort wird durch Merchandising und Fernsehübertragungen Geld mit dem Sport verdient. Mit Geisterspielen, die in Deutschland nicht rentabel wären, soll die Saison in der NHL nun daher bald fortgesetzt werden.
Die Aufforderung zum Gehaltsverzicht setzte die Spieler hierzulande unter Druck. Angeblich wurde ihnen von Seiten der DEL sogar gedroht, dass derjenige, der das Papier nicht unterschreibe, keinen Job mehr in der Liga bekäme. Was, hart gesprochen, einem Berufsverbot nahekommt.
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Darüber hinaus war von einer Obergrenze pro Spieler von monatlich 2900 Euro netto im Falle der Kurzarbeit die Rede – wenn nicht wie geplant gespielt werden kann. Dass ist im Profieishockey eine lächerlich geringe Summe, womit die Liga nicht im Entferntesten mit den Gehältern der großen europäischen Ligen mithalten könnte.
Fressen oder sterben? Weder noch. Viele Spieler fühlten sich überrumpelt, es gab Widerstand. An sich sei es ja zu verstehen, dass die Klubs nun Probleme hätten, sagt Nationalspieler Moritz Müller, seit gut 15 Jahren in der Liga aktiv und zudem Mannschaftskapitän der Kölner Haie. „Wir sehen schon, dass das Coronavirus alle trifft, auch unsere Branche, und sind uns in dieser Situation bewusst, dass wir unseren Teil dazu beitragen müssen. Das machen wir auch.“
Die DEL-Profis wollen eine Spielergewerkschaft gründen
Doch war der geforderte Verzicht auch für Müller inakzeptabel. Der 33-Jährige initiierte mit seinem ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Patrick Reimer aus Nürnberg eine Spielergewerkschaft. „Wir sind jetzt gerade in der Gründungsphase, werden ein ganz normaler Verein mit sieben Mitgliedern am Anfang sein und dann wird es darum gehen, die eingetretenen Spieler bestmöglich zu vertreten“, sagt Müller.
„Bei uns wissen die Spieler schon ganz genau, dass der Markt anders ist als etwa in Nordamerika, dort wird viel Geld mit dem Eishockey verdient. In Deutschland bleibt nicht so viel übrig. Es geht uns daher eher darum, zum Beispiel bei der Ausbildung Hilfestellungen zu geben, was etwa den zweiten Bildungsweg angeht. So können sich besonders junge Spieler parallel zur Profikarriere aufstellen. Dann gibt es kostenlose Rechtsberatung, ein Ärztenetzwerk und viele Möglichkeiten. Das wollen wir alles abdecken.“
Moritz Müller hätte noch viele andere spannende Dinge zur Situation zu sagen. Aber das ausführliche Interview, das er mit dem Tagesspiegel geführt hat, wurde von seinem Klub, den Kölner Haien, nicht autorisiert. Es zeigt, wie groß die Spannungen in der Branche sind.
Allerdings gibt es auch Stimmen aus Kreisen der Liga, die sagen, dass die Spieler den Ernst der Lage nicht erkannt hätten. Ein ehemaliger Profi aus der Liga, der namentlich nicht erwähnt werden möchte, sagt, die Spieler sollten sich nicht so anstellen. „Die haben doch keine Ahnung. Die Verluste werden in jedem Fall groß sein, auch wenn wieder gespielt werden kann. Wer glaubt, dass die Hallen voll werden, nur weil es wieder erlaubt ist, der ist schlicht naiv.“
In der DEL gibt es unterschiedliche Krisenmodelle
Zudem seien von der Kurzarbeiterregelung vor Trainingsbeginn am 1. August nur die Profis von Red Bull München hart getroffen. Alle anderen Klubs in der Liga zahlen – wenn sie denn überhaupt Verträge über zwölf Monate und nicht nur über acht Monate abschließen – im Sommer weniger Geld an ihre Profis als in der laufenden Saison.
Insofern sei das mit dem Kurzarbeitergeld für die meisten nicht so schlimm. Wobei auch von Klub zu Klub andere Modelle verhandelt wurden. Manche Klubs stocken das Kurzarbeitergeld auf, die zunächst geforderte Verzichtmarke liegt nicht mehr bei allen Teams bei 25 Prozent.
Nun gibt es Eishockey-Unternehmen, die von ihrem finanziellen Hintergrund solider aufgestellt sind als andere, wie eben Red Bull München oder die Adler Mannheim, gefördert von SAP-Gründer Dietmar Hopp. Auch bei den Eisbären ist die Welt noch in Ordnung, sagt Geschäftsführer Peter John Lee. „Wir warten mal ab, wie sich die kommenden drei, vier Wochen entwickeln. Es gibt ja immer mehr Lockerungen, irgendwann dürfen auch wieder Zuschauer in die Hallen.“
Dafür haben die Eisbären auch schon verschiedene Modelle, falls nur ein kleiner Teil der Sitze in der Arena am Ostbahnhof angeboten werden kann. Eine Idee wäre, die Arena virtuell auszuverkaufen und gegebenenfalls unter allen Teilnehmern die zugelassenen Tickets zu verlosen – allerdings haben die Berliner gut ein Drittel ihrer Kapazitäten an Dauerkartenbesitzer vergeben. Einfach wird das also nicht.
Hilfe aus der Politik für die Sportarten unterhalb des Fußballs ist angekündigt, eine Soforthilfe wird allerdings kaum den gesamten Etat eines Klubs finanzieren können, der mitunter schon im niedrigen zweistelligen Millionenbereich liegt. Noch in diesem Jahr, sagt Peter John Lee, müsse Eishockey mit Zuschauern wieder möglich sein, damit die Liga überleben könne. Sonst wird es Insolvenzen geben, dann werden die in GmbHs organisierten Teams in der Liga so auseinanderfallen wie die Vereine in der Volleyball-Bundesliga, die in der Viruskrise schon von zwölf Teilnehmern auf neun zusammengeschrumpft ist.
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Peter John Lee ist sich trotz „positiver Entwicklung“, was die Gesamtsituation hierzulande mit dem Coronavirus betrifft, „nicht sicher“, ob es im September den Saisonstart überhaupt geben könne. Großveranstaltungen werden zu diesem Zeitpunkt – Stand jetzt – in Berlin nicht erlaubt sein. Die Eisbären könnten also zumindest bis zum Dezember keine Heimspiele austragen, was abenteuerlich wäre. „Wir hoffen halt, dass die Zeit für uns spielt und die Lockerungen vielleicht doch früher kommen“, sagt Lee.
Es ist eine Hoffnung auf dünnem Eis. Aber warum sollte es dem Eishockey auch besser gehen als vielen anderen Unternehmen in der Unterhaltungsbranche? Den allmächtigen Fußball mal ausgenommen, der spielt in Deutschland in anderen finanziellen Sphären. Und: Jede Krise beinhaltet Chancen. Womöglich ist diese Situation im deutschen Eishockey eine Gelegenheit für hiesige Nachwuchsspieler, wenn sich einige der vielen ausländischen Profis in der DEL zu schade dafür sind, für weniger Geld als bisher über das Eis zu flitzen.